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Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Zweite Staatenprüfung Deutschlands

Im August musste Deutschland vor den Vereinten Nationen in Genf den Bericht für die 2. Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorlegen. Neben positiven Entwicklungen gab es Empfehlungen und Forderungen, die von der UN in einem 16-seitigen Papier formuliert worden sind.

Von: Thomas Zander

Stand: 13.10.2023

Kein Zweifel: Seit der 1. Staatenprüfung im Jahr 2015 hat sich die Situation für Menschen mit Behinderung verbessert. Trotzdem gibt es weiter deutliche Kritik an der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) - besonders in den Bereichen Bewusstseinsbildung, Barrierefreiheit im privaten Bereich sowie Bildung und Arbeit. Aber wer ist hierzulande eigentlich zuständig für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention? Und wie ist die Situation ganz konkret für die Gebärdensprachgemeinschaft?

Es sind drei verschiedene innerstaatliche Stellen, die nach Artikel 33 der UN-BRK für eine Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sorgen sollen – eine staatliche, eine unabhängige und eine koordinierende Stelle. Die Staatliche Anlaufstelle ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), die unabhängige Stelle wird vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) besetzt und die staatliche Koordinierungsstelle ist der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen.

Sehen statt Hören Moderator Thomas Zander fragte an verschiedenen Adressen und bei unterschiedlichen Personen nach, wie sie die Entwicklung bislang einschätzen – und wo es noch Defizite gibt.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)

Das BMAS hat eine schriftliche Stellungnahme verfasst. Darin betont das Ministerium, dass es sich auf den allgemeinen, inklusiven Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung fokussieren will. Das jetzige Werkstattsystem für Menschen mit Behinderung soll nicht ausgebaut, sondern reduziert werden. Das zweite Ziel ist die Reformierung des Behinderten Gleichstellungsgesetzes (BGG). Dabei soll das Thema Barrierefreiheit von Menschen mit Behinderung gefördert und Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen weiter abgebaut werden. Zum Thema Gebärdensprache wird die Kommunikationshilfenverordnung (KHV) evaluiert. Das soll neue Erkenntnisse und damit Verbesserungen bringen.

Komplette Stellungnahme der BMAS Format: PDF Größe: 93,63 KB

Deutsches Institut für Menschenrechte (DIMR)

Leander Palleit

Leander Palleit, Leiter der Monitoringstelle, hatte vor 14 Jahren kritisiert, dass Menschen mit Behinderung immer noch kein selbstverständlicher Teil einer inklusiven Gesellschaft in Deutschland sind. Außerdem monierte er, dass sowohl Politik als auch Gesellschaft zwar viel über Inklusion diskutiere, nötige Maßnahmen aber nicht konsequent umsetzt. Viel hat sich für ihn seither nicht geändert. "Ich würde das heute leider immer noch so formulieren müssen", sagt er. Mit dieser Meinung steht er nicht allein da. Auch der Ausschuss sieht noch deutliche Mängel: Gerade strukturell sei noch viel zu wenig passiert.

Auch wenn sich in den letzten Jahren einiges getan hat, in Sachen Gebärdensprachdolmetscher oder Untertitelung im Fernsehen, so steht laut Leander Palleit Deutschland bezüglich Gebärdensprachliche Identität und Gehörlosenkultur noch ziemlich am Anfang. "Es geht in Deutschland immer nur um die Nutzung von Gebärdensprache zum Informationsaustausch", betont er. Dabei werde aber nicht erkannt, welche soziale und auch kulturelle Dimension die Sprache hat. Das sieht der Leiter der Monitoringstelle derzeit als Hauptdefizit.

 Leander Palleit kritisiert auch, dass sich in Deutschland Förderschulen immer noch separat entwickeln. Er wünscht sich, dass Kinder mit Behinderungen mehr in Regelschulen integriert werden. "Das ist der Auftrag aus der Konvention. Wie das dann in der Praxis passiert, ich glaube, da gibt es verschiedene Ansichten. [,,,] Das ist eine schwierige Frage, aber man muss die lösen, und man muss beide Seiten zusammenbringen."

So sieht es auch der Prüfungsausschuss: In dessen Empfehlungen steht ausdrücklich, dass Deutschland an dieser Stelle mehr tun muss. Ein Teil der Lösung ist sicherlich, gesetzlich klarere Rahmenbedingungen zu schaffen.

Deutscher Gehörlosenbund e.V.

Helmut Vogel

Helmut Vogel, Präsident des Deutschen Gehörlosenbund e.V., hat die Prüfung natürlich auch genau verfolgt. "Erst einmal bin ich sehr froh, dass der Fachausschuss sehr gut vorbereitet war und gute Fragen gestellt hat", betont er. Doch das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend: Deutschland habe seine Hausaufgaben seit dem letzten Staatenprüfverfahren im Jahr 2015 nicht gemacht. Obwohl es im Bericht festgeschrieben ist, ist der Zugang zu Information in sehr weiten Teilen der Gesellschaft immer noch nicht barrierefrei. Und auch in Sachen Bildung bestehen immer noch Barrieren: Lehrer sind gebärdensprachlich noch viel zu wenig gebildet. Der dritte Kritikpunkt: Das politische Engagement tauber Menschen wird ausgebremst – es gibt keine politische Teilhabe, egal ob auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene. Selbst die Mitarbeit in Parteien werde dadurch behindert, so Vogel.

Mangelhaft ist auch die Entwicklung in Sachen Kultur: Hier muss laut dem Gehörlosenbund-Präsidenten das Recht umgesetzt werden, dass Gebärdensprache und die Gehörlosengemeinschaft entsprechend gefördert und geschützt wird als Kultur- und Sprachgemeinschaft. Das fehle komplett.

Es bestehen also immer noch große Defizite, gerade was den Stellenwert der Gebärdensprache anbelangt. Dabei hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier selbst betont, dass Deutsche Gebärdensprache keine Fremdsprache ist, sondern mit zu unserer deutschen Kultur und Sprache gehört. Ein Zeichen wurde diesbezüglich mit einem Antrag des Gehörlosenverbands Hamburg gesetzt:  DGS ist als immaterielles UNESCO-Kulturerbe in Deutschland anerkannt. „Die UNESCO ist ja auch eine internationale Organisation, daher ist das es ein wichtiger Schritt und zeigt Respekt für den Stellenwert der DGS für taube Menschen - gerade wenn es um den kulturellen Bereich und das kulturelle Erbe geht, weil es die Schönheit von Gebärdensprache hervorhebt“, freut sich Vogel. Dieser Schritt sei durchaus ein Aspekt der Bewusstseinsbildung für die Gesellschaft, ein Aha- Effekt, der zum Nachdenken anregen kann.

Trotzdem wurde im Oktober 2022 vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages festgestellt, dass die DGS weder als Amts- noch Minderheitensprache gelten kann. Für Helmut Vogel beruht diese Stellungnahme jedoch auf einem alten Stand. "Die Politiker hätten auch mit uns, dem DGB kooperieren können, weil wir zu dem Thema ja auch schon veröffentlicht haben und im Austausch mit der Politik waren“h", betont er. Die Berücksichtigung der DGS als immaterielles Kulturerbe werde gar nicht erwähnt.

Auch dass es in vielen Europäischen Ländern schon Gebärdensprachgesetze gibt, darauf wird nicht verwiesen. Nach wie vor würde auf die fehlende Schriftlichkeit von DGS hingewiesen, doch heutzutage könne das mit Hilfe der Technik gelöst werden: Man kann Filme erstellen, Videos verschicken. Die Stellungnahme sei laut Vogel also veraltet und von Vorurteilen behaftet. Damit war der deutsche Gehörlosen Bund nicht einverstanden und hat eine eigene Stellungnahme dazu verfasst.

"Wir werden weiterhin mit der Politik Kontakt halten und darauf hinweisen, dass es viel mehr braucht als nur das BGG, das Behinderten Gleichstellungsgesetz. Natürlich ist das ein wichtiges Gesetz, aber wir brauchen mehr für eine Weiterentwicklung unserer Belange.“"

Helmut Vogel, Präsident des Deutschen Gehörlosenbund e.V.

Prof. Dr. Christian Rathmann, Humboldt-Universität

Prof. Dr. Christian Rathmann

Prof. Dr. Christian Rathmann beschäftigt sich schon lange mit der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Sein Ziel ist es, dass DGS auch dort verankert wird. Der Grund: Der europäische Rat verfolgt das Ziel, die Minderheitensprachen zu schützen und zu fördern, die es in vielen Regionen in Europa gibt. Es geht darum, diese nicht nur zu Hause im privaten Bereich zu benutzen, sondern eben auch im öffentlichen Leben zu fördern und dafür zu sorgen, dass sie nicht eines Tages aussterben. Das gilt nicht nur für die DGS, sondern auch für alle anderen europäischen Gebärdensprachen.

 Bislang hat eine Aufnahme auf diese Liste jedoch nicht funktioniert. Die Gründe dafür sind bislang nicht veröffentlicht. „Klar ist, dass es sich um ein politisches Verfahren handelt, welches an bestimmten Stellen gebremst oder verzögert wird. Aber eine offizielle Begründung liegt nicht vor“, so Rathmann.  

Ein Argument der Europäischen Charta ist, dass nur Lautsprachen oder ethnische Zugehörigkeiten aufgenommen werden können. Doch laut Christian Rathmann ist das im Text der Charta so nicht konkret festgelegt. "Sicherlich ist der Ursprung der Bereich der lautsprachlichen Minderheitensprachen und man hat Gebärdensprachen am Anfang nicht mitgedacht und eine entsprechende Sensibilisierung könnte in diesem Bereich hilfreich sein. Betonen möchte ich gleichwohl nochmal, dass die Argumente, die vorgebracht werden, warum Gebärdensprachen nicht aufgenommen werden, uns bis dato nicht bekannt sind."

Die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache aus dem Jahr 2002 sei laut Christian Rathmann ein wichtiger Schritt gewesen, da sie jedoch im Zuge der Sozialgesetzgebung erfolgt sei, sei vieles – wie Bildung, kulturelle Förderung oder Medien - darin nicht geregelt. Ein Gebärdensprachgesetz sei seiner Meinung nach zwar nicht die Lösung, jedoch ein Teil der weiteren Sensibilisierung. Alles in allem stünde noch ein langer Weg bevor.

  Ein nächster Schritt …

Der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben für den 27. Februar 2024 zu einer Veranstaltung nach Berlin eingeladen. Titel: „Wie weiter nach der zweiten Staatenprüfung“. Dort werden Expertinnen und Experten über das weitere Vorgehen diskutieren. Sehen statt Hören wird berichten.


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