BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Corona und Senioren Von den Kontaktbeschränkungen besonders getroffen

Corona hat unser aller Leben grundlegend verändert. Doch während sich für viele das Leben langsam wieder normalisiert, müssen ältere Menschen immer noch mit starken Einschränkungen leben. Wie viel Schutz ist nötig und wie viel Freiraum möglich für Menschen, die nach wie vor zur Risikogruppe gehören? Sehen statt Hören besucht Bewohner im Heim, trifft alleinlebende Senioren zu Hause – und Menschen, die ihnen mit Engagement zur Seite stehen.

Stand: 24.06.2020

Alle, die ältere Familienangehörige haben, kennen das seit Wochen: Einkäufe an Türen hängen und dann in ausreichendem Abstand stehend, meist zwischen Tür und Angel, kurz erzählen. Häufig können wir auch nur über Telefon oder Videochat Kontakt halten. Wir alle leiden darunter, uns gerade nicht besuchen oder umarmen zu können. Zudem kommen manche ältere Menschen mit "der modernen Technik" nicht gut zurecht, dann entfällt auch ein Videoanruf. So geht es auch und besonders gehörlosen älteren Menschen.

Besuche auf Distanz

... die Scheibe trennt Oma und Enkel.

Christian Czerny besucht seine Oma zweimal pro Woche in einem Münchner Seniorenheim. Und auch sonst bekommt die alte gesellige Dame viel Besuch. Normalerweise. Doch derzeit ist nichts mehr normal. Es ist eine schwierige Zeit für die Oma, auch wenn sie mit ihrem Enkel regelmäßig skypt. Nach fast zehn Wochen kann Christian sie dann endlich zum ersten Mal wieder besuchen. Nicht im Zimmer, keine Umarmung, kein Spaziergang, getrennt durch eine Plexiglasscheibe und mit Mundschutz.

"Das ist für Frau Czerny nicht schön, und das ist für alle anderen Bewohner auch nicht schön. Es wird jetzt sehr deutlich, wie wichtig der Kontakt zu Angehörigen ist, wie wichtig soziale Kontakte sind. Wie wichtig auch Körperkontakt und Nähe sind. Das sind ja alles Dinge, die im Moment nicht möglich sind. Und es gibt schon Tage, da drückt es auf die Stimmung."

Michaela Stern, Heimleiterin

"[…] ich glaub, das ist schon schwer, weil sie war früher immer sehr viel unter Leuten, viel unter Menschen, Spazieren gehen, wandern und dadurch, dass sie das alles nicht machen kann, ist das für sie schon eine sehr große Belastung."

Christian Czerny, Enkel

Ohne Beschäftigung und Begegnung

Ungefähr 20 Mitarbeiter und Bewohner einer Einrichtung, in der gehörlose und schwerhörige Kinder und Erwachsenen mit zusätzlicher Behinderung leben, haben sich zu Anfang der Corona-Pandemie mit dem Virus infiziert. Das Virus konnte aber schnell in den Griff bekommen werden, denn durch die von Beginn umfänglich getroffenen Maßnahmen, sind die Betroffenen gut zu isolieren.

Der Speisesaal bleibt leer.

Seit Beginn der Pandemie ist hier einiges verändert: Hier trägt man schon eine Woche vor der Maskenpflicht den Mund-Nasen-Schutz. Die Werkstatt, die für viele wichtig in der Tagesstruktur ist, wird geschlossen. Die verschiedenen Wohngruppen dürfen sich nicht mehr treffen. Es fehlt schlichtweg die Beschäftigung. Allein in einem so genannten „Not-Raum“, der eingerichtet wird, können sich die Bewohner für ein paar Stunden bei einfachen Montagearbeiten ablenken.

Und es fehlt die Begegnung: Die große Begegnungsstätte, in der normalerweise gemeinsam gegessen wird, ist derzeit verwaist. Gegessen wird in den Wohngruppen. Die Bewohner dürfen nicht mehr selbständig einkaufen gehen oder sich eine Mahlzeit zubereiten. Trotzdem kam das Haus bislang gut durch die Krise.

"Wir hatten große Ängste, dass es zu Krisen kommt, gerade bei den schwerer behinderten Menschen, die ja auch das Verständnis für die Situation nicht haben: Bei den Autisten, wo plötzlich ein Tagesablauf ganz anders ist, psychisch Kranke. Es gab kaum Krisen hier in diesem Haus. Und ich führ es darauf zurück, dass von Anfang an gerade auch unsere Mitarbeiter mit einer positiven Einstellung an die Sache herangegangen sind und gesagt haben, das tragen wir gemeinsam. […] Es gibt ja jetzt außen diese Öffnungen und die Menschen mit Behinderung wollen jetzt auch eine Öffnung nach außen haben."

Heike Klier

Hilfe aus dem Gehörlosenzentrum

Das Gehörlosenzentrum in München ist Anziehungspunkt für viele. Es gibt Veranstaltungen, KoFos und Seniorentreffs, auch für Beratungsangebote oder die Bestellung von Dolmetschern kommen Gehörlose her. Derzeit ist hier nichts mehr los – was die Verantwortlichen sehr kritisch sehen. Gerade für die Senioren. Und deswegen wurde man hier sofort tätig.

"Wir haben uns als Vorstand und Geschäftsstelle sofort mit der Aufgabe befasst, wie wir die Senioren versorgen können. Als erstes mit Informationen. Und ebenso wollten wir auch praktische Hilfe und Unterstützung leisten– zum Beispiel beim Einkaufen. Wir haben ein Konzept entwickelt und es Schritt für Schritt umgesetzt. Zunächst mussten wir herausfinden, welche gehörlosen Senioren keine Angehörigen, Verwandte oder Freunde in der Nähe haben. Für diese Menschen haben wir Helfer organisiert, die einkaufen, die Zeitung bringen und sich mit ihnen unterhalten, sie fragen, wie es geht, ob sie Hilfe brauchen oder vielleicht ärztliche Versorgung."

Elisabeth Kaufmann, Gehörlosenverband München und Umland e.V. (GMU)

Hilfe aus der Gemeinschaft

Auch an anderen Stellen haben sich Menschen überlegt, wie sie Senioren beistehen und ihnen aus der Einsamkeit heraushelfen können. Bei der Evangelischen Gebärdensprachgemeinschaft (EGG) in Nürnberg gibt es normalerweise einen Besuchsdienst. Doch der muss wegen Corona eingestellt werden. Einfache Dienstleistungen werden trotzdem von Ehrenamtlichen erledigt – ohne direkten Kontakt. Einkäufe beispielsweise. Die Anfragen und Aufträge kommen meist per Fax zur Gebärdensprachgemeinschaft.

Rosa Reinhard besucht eine Seniorin.

Doch es gibt noch eine zweite Schiene, die man bei der Gemeinschaft unbedingt bedienen möchte: die allgemeinen Informationen rund um das Virus, die Beschränkungen, Lockerungen, Maßnahmen. Denn die Fernsehberichte reichen für viele ihrer Mitglieder keinesfalls aus. Die direkte Information übernimmt die Seniorenleiterin  der Gebärdensprachgemeinschaft. Eine große Hilfe.

"Der größte Bedarf war, sich in Gebärdensprache auszutauschen. Ich erinnere mich an eine Frau, der fast die Decke auf den Kopf gefallen wäre. Sie saß vor dem Fernseher, wo es kaum Dolmetscher gab. Sie hat kein Smartphone, nur Fax. Das ist alles. Sie war sehr einsam und freute sich, mit mir zu gebärden. Zwei Wochen später besuchte ich sie wieder, um über die neuesten Corona-Themen zu informieren. Sie war sehr interessiert und so bin ich ein drittes Mal hingefahren."

Rosa Reinhardt, Seniorenleiterin EGG

Gerade Senioren und Menschen mit Vorerkrankungen müssen weiter vorsichtig sein. Bis ein wirksamer Impfstoff gegen Covid-19 gefunden ist, werden wir wahrscheinlich weiter mit Einschränkungen leben müssen. Nach allen Erkenntnissen ist die Infektionsgefahr in Innenräumen bei direktem Kontakt höher als draußen. Also weiter Abstand halten und Masken tragen. In diesem Sinne: Bleiben Sie achtsam und gesund.


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