BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Bildung und gleiche Chancen für alle! Und sie geben nicht auf

Taube Menschen konnten und können ihren Traumberuf oft nicht ausüben. Der Grund: Immer wieder verhindern Diskriminierungen, dass sie in der Schule, in der Berufsausbildung oder im Studium ihr Potential voll ausschöpfen können. Das hat Folgen - bis zur Rente. Sophia, Jeanette und Christian: Drei Menschen mit ganz besonderen Eigenschaften, kämpf(t)en gegen diese Diskriminierungen und für mehr Chancengleichheit - bei Behörden und auch vor Gericht.

Von: Katharina Putz

Stand: 06.07.2023

Wissen über Gehörlosigkeit und Gehörlosenkultur, aber auch das Bewusstsein für das, was Gehörlose erlebt haben und heute noch erleben - das fehlt an vielen Stellen in der Gesellschaft! Und dort treffen hörende Menschen Entscheidungen.

Entscheidungen, die dann bedeuten, dass ein tauber Mensch nicht zu der angestrebten Ausbildung und zu seinem Traumberuf kommt - und sich (wie früher) mit wenigen, geringer bezahlten Job-Möglichkeiten zufrieden geben soll. Weniger Einkommen - geringe Rente. Das war und ist für sehr viele die Realität. Doch manche setzen sich zur Wehr und kämpfen für ihre Rechte.

Sophia Mushold träumt von Kunst, Design und Illustration

Talent hat sie, auch kennt Sophia das Ziel und was gefordert ist: nämlich eine Ausbildung. Den Platz dort hat sie bekommen, die Dozenten von sich überzeugt, den Dolmetscherpool zusammengetrommelt, die Ausbildung startet bereits - doch der Antrag für die Dolmetscherkosten wird beim Jobcenter abgelehnt. Sie solle eine Ausbildung für Behinderte machen. Was Einfaches.

Ihre Dolmetscher*innen arbeiten bereits zwei, drei Monate auf Rückstellung für Sophia - weil sie beeindruckt sind von Sophias hoher Motivation, alles für ihren Traum zu tun. Doch die Kostenzusage kommt nicht: Das Sozialamt lehnte ab. Das Bafög-Amt lehnte ab. Corona kommt hinzu. Doch obwohl Sophia ohne Dolmetschende vor dem Bildschirm und während der Zoom-Meetings inzwischen gar nichts mehr versteht, ist für sie an aufgeben nicht zu denken. Sie kämpft weiter, inzwischen mit einer Rechtsanwältin an ihrer Seite. Und sie gewinnt.

Jeanette Dümichen will Erzieherin werden

Als sie nach ihrem Schulabschluss Träume hat, sagt man auch ihr im Arbeitsamt, sie solle sich einen Beruf für Hörgeschädigte aussuchen. 15 Jahre lang ist sie Zahntechnikerin, aber unglücklich darüber.

2012 bewirbt sie sich dann in einem bilingualen Kindergarten und wird als pädagogische Hilfskraft eingestellt. Für Jeanette ist klar: sie will aber Erzieherin werden, also auch mehr Verantwortung und eine bessere Bezahlung. Doch an diese Ausbildung und an die benötigten Gelder für Dolmetscher*innen zu kommen, wird auch bei Jeanette zu einem jahrelangen Kampf.

"Das Sozialamt Dresden verlangte ein medizinisches und ein psychologisches Gutachten. Ich wurde komplett durchgecheckt und musste meine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Alles an mir wurde überprüft. Mir wurden sehr viele Fragen gestellt. Plötzlich wurden sogar meine Arme vermessen. Ich dachte: was ist denn das? Ich kam mir vor wie in der Nazi-Zeit. Was hat denn meine Armlänge mit meiner Ausbildung zur Erzieherin zu tun? Und was mit meinen Kompetenzen?"

Jeanette Dümichen

Jeanette zieht mehrfach vor Gericht.

Christian Ebmeyer kämpft für Gesetzesänderungen

Christian setzt sich für die Opfer einer rein lautsprachlichen Erziehung ein. In seiner Kindheit sollte auch er sprechen lernen - mit allen Mitteln. Und auch Christian hat daran nur leidvolle Erinnerungen. In der Schule lag der Fokus vor allem darauf - Bildung bekamen gehörlose Kinder kaum.

"Uns wurde damals gesagt, dass wir im Beruf nur dann eine Chance haben, wenn wir gut sprechen können. Ich versuchte es. Mein Traum war, Chef meiner eigenen Firma zu sein, selbständig zu arbeiten, im Verkauf tätig zu sein. Ich habe viel versucht, aber für Gehörlose gab es keine Chance. Es gab damals keine Dolmetscher. Meine Schriftsprachkompetenz reichte nicht aus. Ich merkte, das passt nicht; und dann habe ich mir die Frage gestellt, wer schuld daran ist. Warum klappt es bei mir nicht und auch nicht bei den anderen, die in meinem Alter sind? Wir hatten keinen Zugang zu guten und gut bezahlten Berufen. Viele von uns hatten Träume. Wir aber mussten uns mit wenigen Berufsmöglichkeiten begnügen. Wir hatten nur schlechte Möglichkeiten. Deutschland hat hier wirklich versagt. Und die Folgen spüren wir jetzt, jetzt haben wir nur eine kleine Rente."

Christian Ebmeyer, Beauftragter des Deutschen Gehörlosen-Bundes für die Opfer von Oralismus und Sprachentzug».

Nun möchte er ein Projekt starten, das Betroffenen hilft. An seine Seite hat er sich auch Politiker*innen geholt.


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