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Diskussion über BIPAM Gesundheitsförderung: So kann sie gelingen!

Ein neues Bundesinstitut soll dafür sorgen, dass Krebs-, Demenz- und Herz-Kreislauferkrankungen besser vorgebeugt wird. Doch Kritiker sehen den Schlüssel zur nachhaltigen Prävention woanders: in einer effektiven Bewegungs- und Gesundheitsförderung.

Von: Veronika Scheidl

Stand: 17.10.2023

Deutschland gibt mit rund 5.000 Euro pro Einwohner so viel wie kein anderes Land in der EU für Gesundheit aus. Trotzdem liegt die Lebenserwartung der Deutschen nur knapp über den EU-Durchschnitt. Woran liegt das? Tun wir zu wenig, um uns gesund zu halten?

Krankheiten verhindern: Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik

Krankheiten verhindern, bevor sie entstehen – das wäre ein Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik. Und genau den möchte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit der Neugründung eines Instituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin, kurz BIPAM, erreichen.

"Da geht es im Wesentlichen um drei große Krankheitsgruppen die Krebserkrankungen, die Demenzerkrankungen und die Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und diese drei großen Krankheitsgruppen machen mehr als 75 Prozent der Todesfälle pro Jahr in Deutschland aus."

Prof. Dr. med. Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister (SPD)

Ab 2025 soll das BIPAM seine Arbeit aufnehmen – und die öffentliche Gesundheit nachhaltig stärken, die Lebensqualität der Menschen steigern und die Kosten im Gesundheits- und Sozialsystem reduzieren.

Kritik am neuen Bundesinstitut BIPAM

Der Münchner Sport- und Gesundheitswissenschaftler Filip Mess begrüßt das neue Institut zwar, ist aber dennoch sehr skeptisch. Denn der Fokus liege auch hier weiter zu sehr auf der rein medizinischen Vorsorge – und weniger auf der Gesundheits- und Bewegungsförderung, die aber essentiell sei für eine effektive Vorbeugung von Krankheiten. Darum fordert Mess, dass das BIPAM interdisziplinär aufgebaut sein sollte.

"Wir bräuchten neben der Expertise der Medizin auch die Gesundheitswissenschaft, die Sportwissenschaft, Public Health, so dass Gesundheit ganzheitlich gesehen wird. Und dann eben auch die Bevölkerung wirklich aus einem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis unterstützt wird, also mit einer physischen Komponente, mit einer psychischen, aber auch mit einer sozialen Komponente."

Prof. Dr. rer.soc. Filip Mess, Professor für Sport- und Gesundheitsdidaktik, Technische Universität München

Auch das Bayerische Gesundheitsministerium sieht die Pläne rund um das neue BIPAM skeptisch. "Es ist zu befürchten, dass der One-Health-Gedanke untergraben wird, bei dem Mensch, Umwelt und Tier gemeinschaftlich betrachtet werden. Der One-Health-Ansatz ist essentiell, um die globale Gesundheit zu verbessern", teilt das Ministerium mit. Zudem dürften sich Gesundheitsförderungs- und Präventionsansätze nicht nur auf krankheitsbezogene Prävention beschränken, sondern müssten auch lebensweltbezogene und verhältnispräventive gesundheitsförderliche Zielsetzungen verfolgen.

Gesundheitsförderung von Kindesbeinen an

Auch Sport- und Gesundheitswissenschaftler Filip Mess betont, dass die Menschen in ihrer Lebenswelt abgeholt werden müssen. Für ein effizientes und nachhaltiges Gesundheitssystem sei ein Faktor besonders entscheidend: Prävention beginne bereits im Kindesalter. Viel Bewegung, gesundes Essen – all das müsse entsprechend früh gefördert werden, sagt Mess.

"Wir wissen, dass gerade kleinere Kinder sich an Rollen und Modellen orientieren, die für sie wichtig sind. Und da sind die Lehrkräfte, aber natürlich auch die Eltern zuhause gefordert. Wenn die Eltern selbst aktiv sind und sich gesund ernähren, dann wissen wir, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Kinder entsprechend von diesen Modellen lernen und Verhaltensweisen annehmen."

Prof. Dr. rer.soc. Filip Mess, Professor für Sport- und Gesundheitsdidaktik, Technische Universität München

Erfolgreiche Prävention im Erwachsenenalter

Gesundheits- und Bewegungsförderung geht im Erwachsenenalter weiter – und auch hier müssen die Menschen motiviert und mit bedarfsgerechten Angeboten abgeholt werden. Dass das gelingen kann, zeigt das seit vielen Jahren erfolgreiche Erlanger Präventionsprojektes "BIG" – das steht für Bewegung als Investition in Gesundheit.

"Das Ziel von BIG ist zum einen, Frauen in sozial schwächeren Stellungen dazu zu bringen, sich körperlich zu bewegen. Das sind Frauen, die bestimmte Barrieren haben, um überhaupt körperlich aktiv zu werden. Darunter fallen geringes Einkommen, aber auch ein Migrationshintergrund. Man spricht die Sprache nicht, man kann sich ein Angebot, einen Kurs nicht leisten, oder ist alleinerziehend, hat die Zeit einfach nicht."

Dr. phil. Maike Till, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Department für Sportwissenschaft und Sport, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Stadt Erlangen trägt das erfolgreiche Projekt "BIG"

Niederschwellige und günstige Projekte wie "BIG" sind deswegen wichtig. Ursprünglich als Projekt zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg entwickelt, wird "BIG" mittlerweile von der Stadt Erlangen getragen. Das Angebot für die Frauen ist vielfältig: Sportkurse wie Zumba, Yoga, Schwimmen oder Fußball, aber auch Kochkurse oder ein gemeinsames Frühstück.

"BIG" gibt es in sieben weiteren bayerischen Städten – doch an anderen Standorten konnte das Projekt nicht erfolgreich verankert werden, sagt Sportwissenschaftlerin Maike Till, die sich um die Koordination und den Ausbau von "BIG" kümmert.

"Das Ganze kann nur gelingen, wenn die Politik und auch die ganze Struktur bereit sind für eine Veränderung. Die bloße Förderung von Projekten führt dazu, dass die Projekte nach zwei oder drei Jahren wieder verpuffen."

Dr. phil. Maike Till, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Department für Sportwissenschaft und Sport, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Regelmäßige Bewegung soll Demenz vorbeugen

Ein weiteres Erlanger Projekt soll sich ebenfalls an mehreren Standorten in Bayern etablieren: "GESTALT" ("Gehen, Spielen und Tanzen als Lebenslange Tätigkeiten") ist ein Kurs zur Demenzprävention und richtet sich an Frauen und Männer über 60 Jahren, die bislang kaum oder nicht körperlich aktiv sind.

Die regelmäßige Bewegung in der Gemeinschaft tut den Menschen gut, stärkt sie für ihren Alltag – und es zeigen sich nachweisbare Effekte, sagt Kursleiterin Krystyna Papayannis. "Wenn ich früher gesagt habe, steht gerade, nehmt die Arme hoch, dann standen da ein bisschen krumme Gestalten vor mir. Jetzt wissen sie, worauf es ankommt, versuchen das Beste draus zu machen. Und auch bei unseren Merkspielen ist es besser geworden", sagt Papayannis.

Merkfähigkeit und Motorik in einer Gemeinschaft

Die Kursleiterin macht viele verschiedene Übungen vor, die Teilnehmerinnen kommen ordentlich ins Schwitzen. Denn sie müssen nicht nur die Bewegungen nachmachen, sondern sich auch die Reihenfolge merken.

"Da nimmt unsere Trainerin uns sehr her. Sie hängt so fünf Sachen aneinander, wir müssen uns eine Farbe merken, den Namen der Nachbarin. Und dabei zur rechten Seite laufen oder Schritte zurück. Sachen, die uns herausfordern."

Regina Barthel aus Erlangen, seit zwei Jahren Teilnehmerin am GESTALT-Kurs

Die Kombination aus Bewegung und Denkspielen in der Gemeinschaft soll sich positiv auf die Prävention einer Demenzerkrankung auswirken. Darum ist auch die 83-jährige Erika hier.

"Wenn man allein ist, Kreuzworträtsel, lesen und Fernsehschauen bringt ihnen nicht viel, aber hier die Gemeinschaft allein macht sehr viel aus."

Erika, GESTALT-Kurs-Teilnehmerin

Programme sollten kooperieren und sich verzahnen

Auch das "GESTALT"-Projekt wird von der Stadt Erlangen getragen. Damit es sich an zehn weiteren Standorten in Bayern etablieren kann, wird das Projekt aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenkassen gefördert. Sportwissenschaftler Filip Mess begrüßt solche Förderungen – er sieht aber auch hier Verbesserungsbedarf.

"Viele Programme laufen parallel und es ist ressourcenintensiv. Wenn man da stärker kooperieren und sich verzahnen würde, voneinander und miteinander lernen würde, dann glaube ich, wären auch da die Gelder, die zur Verfügung gestellt werden, deutlich besser eingesetzt."

Prof. Dr. rer.soc. Filip Mess, Professor für Sport- und Gesundheitsdidaktik, Technische Universität München


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