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Nervensystem Bewegung kann Symptome des Parkinson lindern

Alleine in Bayern leben etwa 61.000 Parkinson-Patienten. Die Symptome sind unterschiedlich: Die meisten Betroffenen leiden unter Bewegungsverlangsamung, Steifigkeit und Zittern. Aber auch Schluckbeschwerden, eine eingeschränkte Mimik, Depressionen und Schlafstörungen können die Erkrankung begleiten. Trotz deutlicher Fortschritte im Verständnis und in der Therapie gibt es bis heute keine Heilung. Eine wichtige Säule der Behandlung ist ausreichende körperliche Aktivität – das zeigt jetzt auch eine neue große Cochrane-Studie.

Von: Julia Richter

Stand: 17.07.2023 14:54 Uhr

Parkinson – komplexe Ursachen

Bei Christine Borst kam die Diagnose überraschend: Die heute 69-Jährige stand damals voll im Leben, hatte keine sichtbaren Beschwerden: Gemerkt hat sie es an einer Riechstörung – kein seltenes Symptom.

"Ich bin in einem Seminar, in das ich jedes Jahr fahre, in den Kräutergarten gegangen und hab gerochen an den Kräutern und denke mir: Irgendwie riechen die nicht mehr. Und dann bin ich heim und hab meiner Schwester, die auch an Parkinson erkrank ist - vor mir - davon erzählt. Da sagt sie: Du, geh zum Neurologen, das kann ein Anzeichen für Parkinson sein."

Christine Borst, Patientin

Die Untersuchung bei der Neurologin bestätigt den Verdacht. Neben motorischen und neurologischen Tests, kommt in der Regel auch bildgebende Diagnostik zum Einsatz.

"Die Entstehung ist komplex, mit vielen Faktoren, Interaktionen. Ein Teil ist sicher die Vererblichkeit. Zudem spielen entzündliche Prozesse eine Rolle, die Eiweißstoffe wie das alpha-Sinuclein verändern, die damit zum Beispiel von Entzündungen im Darm ins Gehirn wandern und dort ganz bestimmte Nervenzellen, die Dopamin herstellen, blockieren."

Prof. Dr. med. Claudia Trenkwalder, Neurologin, Gräfelfing

Im Alltag merkt Christine Borst den Parkinson inzwischen vor allem am fehlenden Gleichgewichtssinn. Außerdem sind ihre Bewegungen verlangsamt. Dass sie trotzdem noch recht fit und mobil ist, verdankt sie nicht nur ihren dopaminhaltigen Medikamenten sondern auch ihrem täglichen Bewegungsprogramm, davon ist sie überzeugt.

Bewegung als wichtige Säule der Therapie

Das belegt auch eine neue große Cochrane-Studie: Fast 8.000 Patientendaten aus knapp 160 Einzel-Studien wurden dafür zum ersten Mal systematisch ausgewertet.

"Sport bewirkt ganz viele Prozesse im Gehirn, v.a. eine Stimulation. Die Stimulation bewegt sich einerseits auf der neuralen Ebene, das heißt andere Nervenzellen/Netzwerke werden angestoßen. Das ist die sog. Plastizität, die dadurch verbessert wird. Aber natürlich auch auf der Durchblutungsebene. Die Durchblutung wird einfach besser im Gehirn. Diese beiden Prozesse arbeiten ineinander."

Prof. Dr. med. Claudia Trenkwalder, Neurologin, Gräfelfing

Die Parkinson-Selbsthilfegruppe aus Karlsfeld-Dachau trifft sich mehrmals die Woche für gemeinsame Aktivitäten: Los geht es am Karlsfelder See zum Nordic Walking. Die Kombination aus Bewegung und Gesang fördert das flüssige Laufen: Der akustische Reiz hilft, in Bewegung zu kommen.

"Hirn braucht Bewegung. Bewegung braucht Hirn. Das zeigt sich bei allen Lebenssituationen, und wenn ich diese Bewegung morgens nichts habe, dann funktioniert das Hirn im Regelfall und für das, was ich tun will, nicht so gut."

Karl Walter, Gründer der Parkinson-Selbsthilfe-Gruppe Karlsfeld-Dachau

Die Cochrane-Studie zeigt: Durch Bewegung verbessern sich sowohl motorische Fähigkeiten als auch die Lebensqualität. Die Art der Bewegung scheint dabei zweitrangig zu sein. Das kann auch Waltraud Lucic bestätigen, für sie haben die regelmäßigen Treffen inzwischen einen sehr hohen Stellenwert:

"Als ich das erste Mal mit denen mitgegangen bin, da hab ich weinen müssen. Weil ich mir gedacht habe: Wie können so kranke Menschen so singen, wie kann man so fröhlich sein? Aber du kannst es vergessen. Die Gruppe stärkt unwahrscheinlich."

Waldtraud Lucic, Mitglied der Parkinson-Selbsthilfe-Gruppe Karlsfeld-Dachau

Besonders wirksame Bewegungsangebote

Experten sind sich sicher, dass vor allem sogenannte großamplitudige Bewegungen sinnvoll sind: Christine Borst schwört auf Tai Chi und ein spezielles Bewegungsprogramm für Parkinson, das sogenannte BIG-Training. Die Übungen kann sie ganz einfach alleine zu Hause auf der Matte machen.

"Es sind eigentlich alle Sportarten, die zu einer strukturellen fließenden Bewegungsübung führen, die regelmäßig gemacht werden, positiv. Dazu gehören Bewegungen im Wasser, also Wassergymnastik, aber auch das Tanzen, intensives Fitnesstraining."

Prof. Dr. med. Claudia Trenkwalder, Paracelsus Kompetenznetz Parkinson, Kassel

Die Selbsthilfegruppe bietet neben dem Nordic Walking auch noch gemeinsame Ergotherapie und Tanzen an: Der Neuro-Tango ist bei den Patenten besonders beliebt.

"Tanzen ist erst einmal deswegen gut, weil die Leute lernen, ihr Gleichgewicht zu schulen. Und ganz wichtig beim Parkinson: Die meisten Leute haben oft Blockaden und die Musik gibt den Impuls, sich in Bewegung zu setzen. Also, Tanzen ist für mich die beste Medizin. Und durch das Einstellen auf mein Gegenüber – auf den Partner – werden zugleich die Spiegelneuronen angeregt."

Brigitte Reuter, Therapeutin für Neurotango, München

Auch für die Psyche ist das gut, denn Tanzen setzt Dopamin frei. Hier klappt einiges, woran im Alltag nicht mehr zu denken ist.

"Sehen Sie: Ich stehe! Das kann ich ja normal gar nicht mehr. Durch das, dass Hubert mich trägt, trägt er mich durch den Tanz."

Waldtraud Lucic, Selbsthilfe-Gruppe Karlsfeld-Dachau

Messung von Bewegung auf die Symptome

Am Universitätsklinikum Marburg können Parkinson-Forscher genau messen, welchen Effekt Bewegung auf die Symptome hat. Dazu trägt der Parkinson-Patient Volkmar Prettin während seiner stationären Therapie einen speziellen Sensor am Schuh. Entwickelt wurde der Chip mit Wissenschaftlern aus Bayern.

"Unsere Sensoren können in der Tat Geschwindigkeit aber natürlich auch Beschleunigung wahrnehmen. Und darüber können wir in die verschiedenen Raumrichtungen Bewegung genau nachvollziehen und zwar auf den Millimeter genau – über den ganzen Tag. Und das bedeutet, dass wir damit genau schauen können, wie ist die Schrittlänge, wie ist die Schrittgeschwindigkeit, gibt es eine Asymmetrie in dem ganzen drin und überhaupt: Wie viel bewegt sich unser Patient."

Prof. Dr. med. Lars Timmermann, Direktor für Neurologie, Universitätsklinikum Marburg

In der Komplextherapie stehen täglich Sporteinheiten auf dem Programm. Neben Übungen in der Ergotherapie spielt Volkmar Prettin viel Tischtennis. Das ist auch zu Hause seine große Leidenschaft.

"Der Ball ist ja schnell, der ist ja sehr schnell. Man muss also schnell reagieren, mit dem Kopf dabei sein. Links – rechts – links, bisschen zurück, wenn der Ball lang kommt. Und am Anfang, wenn man noch zittrig ist, dann ist man so ein bisschen eingeschränkt. Aber nach 5 bis 10 Minuten ist man dann drin im Flow und dann geht’s rund."

Volkmar Prettin, Patient

Damit ist er nicht allein – Tischtennis erfreut sich unter Parkinson-Patienten großer Beliebtheit. In vielen Städten gibt es mittlerweile Ping-Pong-Vereine speziell für Parkinson-Betroffene.

"Wir müssen gucken, ob der Ball gerade auf uns zukommt, wir müssen schnell reagieren – und Bewegungen, die wir vielleicht aus der Kindheit schon abgelegt haben, quasi aus dem Regal nehmen und sagen, die brauche ich aber jetzt wieder. Die werden wieder reaktiviert und man macht das miteinander. Und miteinander eben halt nun Tischtennisspielen, das bedeutet Zufriedenheit. Und Zufriedenheit im Gehirn ist Dopamin."

Prof. Dr. med. Lars Timmermann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Berlin

Nach zwei Wochen Therapie können sich die Effekte sehen lassen. Bei Volkmar Prettin legte etwa die Schrittweite pro Fuß durchschnittlich um ca. 10 cm zu. Für einen Parkinsonpatienten – enorm. Auch bei anderen Parametern konnte er sich messbar verbessern:

"Wir glauben auch, dass es eine Rolle haben kann in der Prävention des Parkinsons, wenn wir auch an der Stelle noch nicht so ganz sicher sind. Wenn man schon Parkinson hat, hilft es auf jeden Fall. Da ist unsere Empfehlung jeden Tag mindestens 30 Minuten und wir empfehlen da, das zu machen, was einem Freude macht aber was einen natürlich auch nicht gefährdet."

Prof. Dr. med. Lars Timmermann, Direktor für Neurologie, Universitätsklinikum Marburg

Fazit:

Bewegung ist bei Parkinson sinnvoll und wirksam. Im Prinzip kann jeder Patient profitieren – in jedem Stadium – angepasst an seine Bedürfnisse und an seine Vorlieben – damit man es auch regelmäßig macht.


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