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Ungarn Volksabstimmung gegen Migrantenquote

Diese Grenze, die ungarisch-serbische, sei nicht abschreckend genug. Jetzt soll ein zweiter Zaun hier entstehen, ein noch robusterer. Und Ministerpräsident Orban geht noch weiter.

Von: Darko Jakovljevic

Stand: 02.10.2016 | Archiv

Grenzzaun in Ungarn | Bild: BR

"Kommen mehrere Hunderttausend Migranten, da helfen schöne Worte überhaupt nicht. Dann müssen wir sie mit Gewalt aufhalten. Und das werden wir auch tun."

Viktor Orban, Ministerpräsident Ungarn (26.8.2016)

Im Grenzgebiet, die Asylantragszone: Pro Tag werden 30 Asylsuchende durchgelassen. Andere versuchen es illegal nach Ungarn, werden meist erwischt. Unzulässige Abschiebungen nach Serbien sollen sich hier abspielen. Sonst ist die Grenze unter Kontrolle.

Anders sieht es hier aus: in den täglichen Regierungsspots zum Referendum. Hier wird die Flüchtlingskrise reduziert auf Terror in Europa. Auch Ungarn sei in Gefahr. Deshalb ein Nein zur Flüchtlingsquote der EU. Orban selbst bringt es so auf den Punkt:

"Wer soll entscheiden, mit wem wir in Ungarn zusammenleben? Das ungarische Parlament? Oder jemand in Brüssel?"

Viktor Orban, Ministerpräsident Ungarn (24.9.2016)

Was aber bezweckt Orban damit? Denn Ungarn sollte nach vorläufigen EU-Plänen gerade mal 1294 Flüchtlinge aufnehmen und hat sogar dagegen geklagt, vor dem Europäischen Gerichtshof. Außerdem: innerhalb Ungarns sind ohnehin wie hier im Camp in Bicske nicht einmal mehr als hundert Migranten übrig. Sie alle sollen bald verschwinden, das Camp soll zugesperrt werden. Überhaupt sind nur wenige im Land, denn wer reinkam, verschwand oft in Richtung Westeuropa, meist mit Hilfe von Schleppern.

Trotz allem: die Abstimmung läuft. Und Ungarns ehemaliger Ombudsmann für Minderheiten ist sich sicher: Egal, wie es ausgeht, allein die Kampagne gegen Migranten ist wichtig:

"Das ist einzig allein für Fidesz, die Regierungspartei, und ganz persönlich für Herrn Orban wichtig, weil er dadurch seine Machtposition stärken möchte. Es ist der einzige Grund, wofür wir einen hohen Preis zahlen."

Jenö Kaltenbach,ehemaliger Ombudsmann für Nationale Minderheiten

Wie etwa Familien, die direkt betroffen sind, wie hier in Bicske: Jeder im Ort kennt und schätzt Hausarzt Doktor Osama Bourgla. Vor 30 Jahren kam er aus Syrien zum Medizinstudium nach Ungarn, heiratete eine Ungarin, sie bekamen fünf Kinder. Alle wuchsen hier auf, in Bicske, ohne Probleme. Für Osama Bourgla als Zugewanderten wurde Ungarn zur Heimat. Doch seit der Flüchtlingskrise ist jetzt alles anders. Sein Sohn meldet sich per Skype, denn seine ungarische Frau und die Kinder haben Ungarn verlassen. Schuld ist die Hetze im Land gegen Migranten:

"Auf einmal ist überall dieser Hass in Ungarn. Niemand kann Dir Sicherheit geben, wenn Du draußen auf der Straße bist. Warum? Weil jeder in Ungarn Angst hat vor Terroristen, was jetzt in Hass umschlägt. Deswegen wollten wir für uns einen sicheren Platz, wo wir sicher leben können, unabhängig von unserer Hautfarbe."

Osama Bourgla

Auch das überall in Ungarn: Plakate mit Parolen der Regierung, die große Teile der Bevölkerung verunsichern. Und die Verunsicherten kommen meist hierher, zu Bürgerveranstaltungen der Orban-Partei Fidesz, die schon seit Wochen überall im Land für das Referendum werben. Hier sind gleich zwei Fidesz-Abgeordnete gekommen: die eine vom ungarischen, die andere vom Europaparlament, die in Brüssel war, wie sie sagt, als die Terroranschläge passierten:

"Und seitdem habe ich das Gefühl, es hätte auch mich treffen können. Jeden kann es treffen, zu jeder Zeit und an jedem Ort. Das ist es, wogegen wir uns wehren und beim Referendum mit Nein stimmen sollten."

Kinga Gal, Fidesz-Europaabgeordnete

"Dieses Referendum, was sie hier veranstalten, ist ein Zirkus. Ich werde meine Stimme nicht abgeben."

Janos Hajnol

"Unter uns ist ein Mann, der hier offen sagt, dass er nicht mit unserer Politik einverstanden ist. Er gehört aber zu einer kleinen Minderheit."

Monika Dunai, Fidesz-Parlamentsabgeordnete

Janos, hier also der einzige Referendumsgegner. Weil er nicht still hielt, nun das: "Verschwinden Sie!", sagt eine Frau. Ein Mann: "Bitte seht doch: Das ist ein Spinner, ein Verwirrter. Aber das ist nicht typisch für Ungarn." Und eine Frau winkt ab: "Lass doch. Das Fernsehteam ist doch auch von der Lügenpresse. Sie gehören auch zu den anderen." Ein Mann greift den Andersdenkenden an: "Du Abschaum, was fällt Dir ein? Nicht nur als Ungar, auch als Mensch bist Du nur Dreck. Hat die Opposition Dich hierher geschickt?"

Janos Hajnol verteidigt sich: "Ich habe auch das Recht, hier zu sprechen." Der Mann kontert: "Scher dich zum Teufel. Ich bin ganz sicher, man hat Dich geschickt, Du mit deiner dreckigen Visage."

Janos Hajnol resigniert: "Soll ich ehrlich sein? Ich hab‘ mich an solche Beschimpfungen gewöhnt."

Ähnlich geht es Osama Bourgla. Doch er hat keine Kraft mehr, sich gegen die landesweite Hasskampagne der Regierung zu stellen. Stattdessen plant er, seine Arztstelle hier aufzugeben und nach England zu gehen, zu seiner Familie. Doch dort eine neue Heimat finden, ist gar nicht leicht:

"Ich bin hier, aber ich weiß nicht, was wird morgen, was wird in einem Jahr? Jeden Morgen wache ich auf in der Hoffnung, dass die ungarische Regierung sich entschuldigt, denn dann könnte ich meine Frau anrufen und ihnen Bescheid sagen, dass sie alle nach Hause kommen können."

Ottilia Bourgla-Dienes

Ein Wunsch, der wohl so nicht in Erfüllung gehen wird, auch nicht nach dem Referendum. Und: Für ihn ist inzwischen egal, wie die Abstimmung ausgeht, denn sein Traum, seinen Lebensabend in seiner Heimat Ungarn zu verbringen, ist geplatzt.


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Thomas, Dienstag, 04.Oktober 2016, 14:10 Uhr

2. Eine Watschn für Herrn Orban und seine Innenpolitik.

Für mich sieht das Ergebnis dieser Volksabstimmung mehr nach einer Watschn für Herrn Orban´s Innenpolitik aus als dass die Ungarn mehrheitlich für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen gestimmt hätten. Das jedenfalls lese ich aus der geringen Wahlbeteiligung.

Wie auch immer, im europäischen Rahmen gesehen hat Herr Orban Recht. Wenn keiner Widerstand gegen die Politik von Merkel und Juncker leistet, dann schafft das nur noch mehr Anreize für potenzielle Wirtschaftsflüchtlinge den Weg über das Mittelmeer nach Europa, sprich in die EU zu suchen.

spunny, Dienstag, 04.Oktober 2016, 13:23 Uhr

1. Die Ungarn können nichts dafür

Eigentlich ist das alles sehr traurig. Den Ungarn einen Vorwurf wegen ihrer ablehnenden Haltung zu Flüchtlingen zu machen, ist ungerecht. Unter Orban wurde die Medien- und Pressefreiheit abgeschafft, die Justiz und Verwaltung auf seinen Kurs gebracht und entsprechend entmachtet oder umgebaut. Wie sollen sich die Ungarn eine wirklich objektive Meinung bilden unter dieser jahrelangen Dauer-Propaganda seitens Orbans Regierung. Das hat schon begonnen mit der Hetze gegen die in Ungarn lebenden Sinti und Roma, über Antisemitismus, EU-Hetze, bis zur heutigen generellen Ausländer-, Flüchtlings- und Islam-Feindlichkeit.