Bayern 2 - Die Welt am Morgen


8

Ende der Welt - Die tägliche Glosse Musikalische Revolution

Der Eurovisions-Song-Contest gilt als unpolitisches Hochamt des Kommerz. Zu Unrecht, denn in ihm schlummert geradezu umstürzlerisches Potential. Eine Glosse von Severin Groebner.

Von: Severin Groebner

Stand: 24.04.2024

Dass der Eurovisons Song Contest ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung ist, steht für alle Fans dieses televisionär Verbreiteten um-die-Wette-Trällerns ohne Zweifel fest. Aber heute - am 24.April - hat der ESC tatsächlich schon einmal Geschichte geschrieben. „Aber natürlich!“ werden die Fans von Flensburg bis Füssen jetzt ausrufen „Nicole 1982!“ Und tatsächlich konnte heute vor 42 Jahren Deutschland in Form eines erst 17jährigen Fräulein-Wunders den Gesangswettbewerb erstmals für sich entscheiden. Deutschland als Gitarre-spielender, blonder Friedensengel, das war neu. Es war diese neue deutsche Bescheidenheit, die damals Eindruck machte. Schließlich wünschte sich die junge Dame nur „ein bißchen“ Frieden.

Im Gegensatz zu Goebbels, der 39 Jahre zuvor im Sportpalast den „totalen“ Krieg gefordert hatte. „Totaler Frieden“ wäre sich vom Versmaß zwar auch ausgegangen, hätte aber in Zeiten atomarer Aufrüstung wahrscheinlich ganz andere Assoziationen geweckt.

Viel wichtiger allerdings war der Song-Contest Beitrag Portugals acht Jahre davor. Während nämliche eine Band namens „ABBA“ mit dem Titel „Waterloo“ den Wettbewerb am 6. April 1974 gewann, wurde der portugiesische Titel „E Depois de Adeus“ (Übersetzt: Und nach dem Abschied) heute vor 50 Jahren am 24. April um 22:55 nochmal im portugiesischen Radio gespielt. Und war damit das vereinbarte Signal an die aufständischen Truppen der portugiesischen Armee mit dem geplanten Staatsstreich zu beginnen, der in der Nelkenrevolution münden sollte. Eine Revolution, die die über 40 Jahre herrschende Militärdiktatur beendete. Man sieht: Der Eurovisonssongcontest kann auch zu etwas gut sein.

Man darf gespannt sein, welche politischen Umwälzungen Lenas „Like a Satelite“ auslösen könnte

Vielleicht wird man also in Zeiten, in denen die Demokratie zunehmend unter Druck gerät, all die Songs, die der ESC über die Jahrzehnte hervor gebracht hat, noch einmal brauchen können. Auch wenn man gespannt sein darf, welche politischen Umwälzungen Lenas „Like a Satelite“ auslösen könnte. Vielleicht als Soundtrack zu den revolutionären Raumfahrtplänen der CSU? Oder werden sich die vom  Übertourismus geplagten Regionen Italiens zu „Insieme“ gegen die Urlaubermassen erheben? Das österreichische Stehaufweiberl Conchita Wurst  hat ja mit  „Rise like a Phoenix“ zumindest schon eine Revolution der Geschlechterrollen angestoßen, wo Landsmann Udo Jürgens und sein Lied „Merci, Cherie“ nur in Schokoladeform unsterblich geworden sind.

Ist aber alles womöglich falsch gedacht. Denn der Portugiesische Titel belegte 1974 zusammen mit Norwegen, der Schweiz und Deutschland den hervorragenden 14. und damit letzten Platz. Es könnte also sein, daß erst Revolution in der Luft liegt, wenn es mal wieder heißt: „Germany - Zero Points.“


8