Bayern 2 - Nachtstudio


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Zukunft eines toten Helden Peter Weiss, die Kunst und der Widerstand

Er droht aus dem Bewusstsein zu verschwinden, der einst viel besprochene, immer umstrittene Schriftsteller Peter Weiss. Genau der richtige Zeitpunkt, sich an den Autor der "Ästhetik des Widerstands" und den Vater des Dokumentartheaters zu erinnern.

Von: Thomas Kretschmer

Stand: 04.05.2017 | Archiv

Der Schriftsteller Peter Weiss mit seiner Frau Gunilla Palmstierna-Weiss 1965 in Berlin | Bild: picture-alliance/dpa

"Gegensätze prägen ihn und machen ihn schwer konsumierbar. Die künstlerischen Antworten, die er gegeben hat, sie sind heute zum Teil veraltet. In der Nachfolge von Weiss hat sich das dokumentarische Theater fortentwickelt, seine Mittel erneuert und sich den Lebenswirklichkeiten seiner Protagonisten weiter angenähert. Doch die Fragen, die er stellte, und die Unbedingtheit, die ihn prägte in seinem Umgang mit der Welt, die haben noch heute ihre Gültigkeit. Sie haben sie mehr denn je, denn an Unverbindlichkeit – heute sagt man eben Multioptionalität – herrscht wahrlich kein Mangel in diesen Zeiten. Gute Zeiten also für einen kategorischen Imperativ, der nichts weniger als den selbstverschuldeten Ausgang des Menschen aus seiner Unmündigkeit in den gegenwärtigen Zeiten anmahnt, sehr bestimmt, sehr genau und sehr klar."

Thomas Kretschmer

Haltung zeigen, Stellung beziehen zu den Geschehnissen in der Welt, das kann nur, wer gelernt hat, sich auszudrücken. Das war eine der wesentlichen Intentionen des Schriftstellers Peter Weiss, dessen kategorischer Imperativ lautete: "Du musst lesen, du musst dich bilden, du musst dich auseinandersetzen mit den Dingen, die auf dich zukommen, du musst Stellung ergreifen, du darfst nicht sitzen und alles nur auf dich zukommen lassen, du darfst dich vor allen Dingen nicht dem Gedanken hingeben, dass Mächtige über dir sind, die doch alles bestimmen."
Ein großer Satz. Klingt wie unser heutiger Sound der Selbstoptimierung, besitzt aber, genau gelesen, genug widerständiges Potential, um wie eine Gräte im Hals sich quer zu legen. Denn das, was Peter Weiss wollte, ist Emanzipation und kritisches Bewusstsein - gerade auch für alle jene, die von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen worden sind. Für Weiss war das Weiterbilden, das Kämpfen in Gruppen das genaue Gegenteil von individueller Selbstoptimierung, die höchstens dem Einzelnen nützte. Denn auch wenn es heute kaum noch jemand zu glauben scheint: Die Dialektik der Aufklärung hat es so gewollt, dass diese großen Ziele allein durch Selbstemanzipation und Selbstverbesserung nicht zu erreichen sind. Der Igel des Kapitalismus ist immer schon vorher da.

"Wie kann ich das ausdrücken?"

Peter Weiss, die Kunst und der Widerstand

Mit Verena Fiebiger, Thomas Loibl und Thomas Kretschmer, BR 2016, 55'
Die Produktion steht ab Sendung 7 Tage zum Download bereit.


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