Bayern 2 - Nachtmix


5

David Bowie Cause we are lovers, and that is the fact!

Major Tom, Ziggy Stardust, ein Young American und ein Diamond Dog: David Bowie ist einer jener Heroes, die die Popmusik nachhaltig und immer wieder verändert, vorangebracht haben. Nach 10 Jahren bringt er ein neues Album heraus.

Von: Michael Bartle

Stand: 28.02.2013 | Archiv

David Bowie | Bild: picture-alliance/dpa

Dieser Text ist für alle...

"...deren Herz beim ersten Takt von Five Years immer noch einen Sprung macht."

Mark Spitz

„5 Years“ ist einer der besten Bowie-Songs überhaupt. Mit einem einfachen Trick verschiebt Bowie den Alltag in etwas leicht Surreales, aber absolut Bedeutsames: Die Story geht so: Ein junger Typ wandert ziellos durch die Straßen, auf einmal sieht er einen Zeitungsboy mit der Ausgabe von morgen wedeln. Die große Schlagzeile: Unsere kleine, feine Erde wird nur noch 5 Jahre existieren. Es scheint keine Ente zu sein, denn der Zeitungsboy weint und weint und weint.

5 Years – thats what we’ve got.

Und auf einmal betrachtet der Junge die Welt mit anderen Augen.

All the nobody people all the somebody people, I never thought I need so many people.

Und beginnt die Welt, deren Ende bevorsteht, zu vermissen. Beginnt, sich von seiner Liebe zu verabschieden:

I kiss you, you are beautiful, I want you to walk. We’ve got five years, that’s all we have got.

Mit "5 Years" beginnt Bowies 5. Album "Ziggy Stardust and The Spiders From Mars".

Freak Folk und Space Pop im Jahr 1969

Cover der Musikzeitschrift "Musikexpess" von 1973.

Tatsächlich war das Album ein Befreiungsschlag für Bowie. Sein Debüt "Space Oddity" warf zwar 1969 eine Top 5-Platzierung für den Titeltrack ab, das Album war aber seiner Zeit voraus und blieb weitestgehend unbeachtet. Zu Unrecht, denn "Space Oddity" hatte neben dem Überhit "Major Tom" schon eine ganze Menge toller Freak Folk mit in der Raumkapsel – man höre sich nur die Space Opern „Cygnet Committee“ an oder den „Wild Eyed Boy From Freecloud“ oder das herzige „God Knows I’m Good“.

Schon vor "Space Oddity" hatte Bowie Musik gemacht unter den Namen „Davy Jones And The King Bees“ und „Davy Jones and The Lower Third“, sich dabei aber noch nicht wesentlich unterschieden von all den anderen britischen Band der 60er Jahre. "Space Oddity" war sein erstes Statement als eigenständiger Künstler. Seine trotz aller Chamäleonhaftigkeit unverwechselbare Handschrift hat Bowie dann allerdings kurz für ein Rockalbum an den Nagel gehängt. Und für „The Man Who Sold The World“ doch eher nur mittelmäßiges Songs zuwege gebracht. Deshalb machen wir hier im auch einen großen Bogen darum und springen zu "Hunky Dory".

Dieses kleine, feine Folkalbum hatte eine ganze Handvoll großer Bowie-Songs, aber nach der musikalischen Achterbahnfahrt der beiden Vorgänger nahm niemand wirklich Notiz davon. Zu Unrecht, denn der Überkitsch-Song „Live On Mars?“, der Ohrwurm „Changes“ und die süffisanten Hommagen „Song For Bob Dylan" und „Andy Warhol“ wären heute noch für jede aktuelle Folkband absolute Raketen.

I Like Your Shoes: Das Warhol-Bowie Gipfeltreffen endet unentschieden

"Hunky Dory" war zunächst nur ein Kritikerfolg, das Album verkaufte bescheiden, David war als Bowie fast schon gescheitert, nun musste etwas Größeres her. Der Starman Ziggy Stardust – Bowies Alter Ego, ein Kunstprodukt, das er gegen das Authentische, den Prog-Irrsinn und den Rockerschweiß setzt.

Um ein wenig die Werbetrommel zu rühren, wird Bowie von seinem umtriebigen Manager Tony De Fries nach New York geschickt. Er soll wichtige Szenetypen treffen. Der Name Bowie soll in New York die Runde machen.

Am 14. September 1971 kommt es in New York zu einem Gipfeltreffen, im dem die Rollen allerdings klar verteilt sind. Der noch etwas schüchterne Bowie trifft Andy Warhol in seiner Factory. Bowie in Schlapphut und Schlabberhose, er hat aber gut recherchiert und sich die langen blonden Haare wie die Hollywood Diva Veronika Lake aufgebretzelt. Bowie macht Warhol seine Aufwartung, sagt ihm, dass er ein großer Bewunderer seiner Kunst sei. Warhol entgegnet, dass er ein großer Bewunderer von Bowies gelben Lederschuhen sei. Touché!

In einem Zündfunk Interview mit Karl Bruckmaier wird Bowie 1993 Rache nehmen – Warhol, wird er sagen, habe ihm damals nicht besonders imponiert.

Ziggy macht seinen Schöpfer berühmt und killt ihn dabei fast

Die "Ziggy Stardust"-Platte war dann natürlich Bowies große Verwandlung. Bei Liveshows trugen er und seine Spiders From Mars Superman-artige Ganzkörper-Space-Anzüge und Plateauschuhe, die in den Himmel reichten. Großspurig, grell, flamboyant. Bei einer Pressekonferenz in Texas erscheint er in Frauenkleidern. David Bowie gibt sich mehrdeutig, macht rum mit seiner sexuellen Orientierung, als Höhepunkt des Skandals outet sich der frisch Verheiratete in einem Interview als "schwul". Ziggy Stardust als queere Figur, nicht nur in der Musik, auch in Gender-Fragen ist Bowie seiner Zeit 20 Jahre voraus. Aber Bowie selbst hätte sich beinahe verlaufen im Spiegelkabinett seiner Identitäten.

Er habe sich in große Gefahr gebracht und sich beinahe mit Drogen zugrunde gerichtet, sagt Bowie in einem Zündfunk-Interview. Er habe damals gedacht, als Künstler müsse er Tabus brechen und die dunklen Seiten der Welt, die finsteren Winkel der eigenen Persönlichkeit bereisen. Nur so habe er die synthetische Persönlichkeit, die er sich für sich und Ziggy ausgedacht habe, glaubhaft verkörpern können. Die Kunstfigur Ziggy wird er gleich noch sagen, sei dazu da, die Grenzen zwischen Bowies Künstler-Leben und seinem privaten Leben zu verwischen. Aber das auszuhalten, das habe ihm beinahe den Tod gebracht.

Rock’n Roll Suicide – das Schluss-Stück von "Ziggy Stardust and The Spiders From Mars". Eines der besten und wichtigsten Alben aller Zeiten. Bowies Durchbruch – und trotzdem damals nur auf Platz 5 der englischen und Platz 75 der US-amerikanischen Charts. Auch wenn Bowie von seinem Alias Ziggy Bowie fast gekillt worden wäre: Drei weitere Alben lang wollte er seine zweite Ziggy Haut nicht abstreifen; "Alladin‘ Sane", die Cover-Platte "Pin-Up", und "Diamond Dogs", alle drei keine unbedingten Meisterwerke, alle drei aber durchaus mit Songs, für die andere töten würden.

Young Americans: Dem Retro-Trend voraus

Mit der Soul- und Crooner Platte „Young Americans“ bricht Bowie schließlich wieder zu neuen Ufern auf. Die Geschichtsschreibung ist sich uneinig: "Young Americans" sei lediglich eine Fingerübung, ein Genre-Exercise in Sachen Philly Soul, bei der lediglich zwei, drei Songs stehen bleiben. Das sagen die einen. Ich bin anderer Meinung: Natürlich versucht er auf der Platte, schwarze Soulsänger nachzuahmen, klingt dabei aber so sehr bei sich wie selten sonst. Wie so oft funktioniert auch hier die Bowie-Aneignung, die Grenzüberschreitung nahezu perfekt: Das Titelstück und Songs wie „Fascination“ mit der funky Gitarre von Carlos Alomar und David Sanborn am sleazy Saxofon sind unglaublich gut arrangierte Nummern!

Von Salon ins Sanatorium

David Bowie 1987.

Wenn „Young Americans“ David Bowies Salonplatte war, dann befinden wir uns auf „Station To Station“ eher in einem Luxussanatorium. Bowie lebt in LA in einem Anwesen am North Doheny Drive, verdrückt Swimming Pools voller Kokain, die Kokain-Paranoia wird nahezu unerträglich und noch dazu gesteigert, dass Bowie mit schwarzer Magie herummacht. Zeitweise befürchtet er, dass Fans seinen Samen rauben wollen um daraus den Antichrist zu basteln.

Los Angeles sei die abscheulichste Pissrinne der Welt wird Bowie später über diese Station seines Lebens sagen. Die Stadt sei wie ein Film mit einem korrupten und kaputten Drehbuch. Aber die Platte „Station To Station“ ist dennoch der Hammer. Musik mit einer gepflegten Verkommenheit und Exzentrik, alles auf Zeitlupe heruntergedimmt. Gemacht von einem sonnenbebrillten Sich-Selbst-Überschätzer, der sich von livrierten Krankenpflegern in das grelle Sonnenlicht eines Sanatoriumsparks hinaus schieben läßt. Darauf die immer noch zitierfähigen Zeile:

 „The Return of the Thin White Duke Throwing Darts In Lovers Eyes“.

Unterschätzte, große Platte, die es in den Bestenlisten nie so recht mit den anderen Bowie Meisterwerken aufnehmen darf. Bowie hat sein eigenes perfektes Vakuum geschaffen.

Low: New Wave und Krautrock

David Bowie, 1970

Und dann geschieht das Unfassbare: Bowie wird der Popmusik noch ein weiteres Mal entscheidend voraus sein: Mit dem Umzug nach Berlin und der Zusammenarbeit mit Brian Eno gelingt ihm mit „Low“ nicht nur ein schon fast ikonographisches Cover: Selten hat es eine idealtypischere Verkörperung des Popstars als Alien gegeben. Und dann die Musik, die schon Postpunk war, bevor all die Punks auch nur ihre Sicherheitsnadeln desinfizieren konnten. Für ein paar Momente floss alles zusammen: Das Haus der Kunst und Kraftwerk, Neu! mit ganz neu und ganz Alt, Arroganz und Experiment. Mundharmonika und Keyboard. Was für ein Hallogallo! „Low“ war Bowies Zeugungsakt für Bands wie Wire und Franz Ferdinand. David Bowie hat mit seiner ersten Berlin-Platte eine New Wave begonnen deren Zukunft heute noch nicht vorbei ist.

Helden in Berlin

Nach seiner schwierigen Zeit in LA war Berlin der ideale Platz, um halbwegs unerkannt durch Berlin zu stromern. Mit dem unverbesserlichen Haudrauf Iggy Pop und einer Assistentin zieht David Bowie im August 1976 in eine Altbauwohnung mit 7 Zimmern in die Hauptstraße 155 nach Berlin Schöneberg. Gemeinsam mit Iggy macht Bowie ordentlich die Gegend unsicher, weitest gehend in Ruhe gelassen von dem, wie er im Zündfunk-Interview sagt, erfreulicherweise Schulter zuckenden und blasierten Berlinern. Bowie beginnt eine Affäre mit Romy Haag, einem stadtbekannten Transvestiten, schaut gelegentlich in der gerade eröffneten Schwulenbar „Anderes Ufer“ vorbei, später abends betrinken sich Iggy und Ziggy im SO 36 oder ziehen noch ins Dschungel. Wer Glück hat, kann Iggy dabei erleben, wie er mitten in der Nacht und ziemlich hinüber Frank Sinatra Medleys trällert.

Bowie hat nicht nur den manchmal enervierenden Iggy und eine nach wie vor ausgeprägte Kokain-Sucht an der Backe, sondern auch den ein oder anderen Rechtsstreit mit seinem Ex-Manager und seiner Ex-Frau Angie. Dennoch: wann immer Bowie mit Eno und Tony Visconti in den Hansa-Studios aufnimmt, soll er ungemein konzentriert und diszipliniert gewesen sein. „Always Crashing The Same Car“, so will es die Legende, dreht sich um eine Berliner Nacht, in der sich Bowie von seinem Dealer übers Ohr gehauen fühlte und dafür Rache nehmen wollte. 10 Minuten lang soll Bowie immer wieder mit seinen Mercedes das parkende Dealer Auto gerammt haben, bevor er Hals über Kopf floh.

Bowie mit seiner damaligen Frau Angela, 1973

Ein wenig tritt Bowie mit dem darauf folgenden Album Heroes dann auf der Stelle – ähnlich wie auf „Low“ sind auch auf Heroes etwa die Hälfte der Stücke krautrockende Instrumentals, die er zusammen mit Brian Eno entworfen hatte. Aber natürlich ist auf „Heroes“ der Ausnahmesong, der immer noch unsterbliche Titeltrack, der Bowie-Signature-Song, den man sich hoffentlich nie kaputt hören kann. „Heroes“ ist zunächst eine Verbeugung vor der Düsseldorfer Band „Neu“ und deren Song „Hero“. Bowie erzählt von einem Liebespaar, das Bowie in Berlin wohl direkt aus den Fenstern des Hansa-Studios beobachtet haben soll. Es trifft sich jeden Tag an einem wahrhaft unwirtlichen Platz. Direkt an der Mauer unterhalb der Wachtürme an einer Parkbank – aber dieser Liebe kann nichts und niemand etwas anhaben. So wenig wie diesem Überhit. “Cause we are lovers, and that ist he fact”

Where Are We Now?

Lodger schließlich, die dritte Platte daraus, ist gleichzeitig die seltsamste. Bowie unternimmt musikalische Ausflüge nach Afrika und in die Türkei, auch hier ist er wieder Vorreiter einer neuen Weltmusik to come. Und im Song "DJ" würdigt er die neue, wichtige Rolle der Star-DJs, lange bevor Plattenunterhalter wie Sven Väth oder DJ Hell zu Superstars werden. Und "Boys Keep Swinging" kommt tatsächlich mit einen bass-getriebenen Swing und ist ein ziemlicher Hit

David Bowie und seine Frau Iman, 2005.

Die 80er Jahre, dieses artifizielle Jahrzehnt schien wie gemacht für David Bowie. Aber genau zu dem Zeitpunkt, als all die anderen Bands endlich Bowie so halbwegs eingeholt hatten, wurde er langsam alt und müde und kam nicht mehr wirklich zurück – sieht man mal von dem Mainstream Hit "Let’s Dance" ab.

Nun bringt Bowie also am 8. März 2013 ein neues Album heraus, auf dem er sich in der Single „Where are we now“ an seine Berlin-Zeiten zurück erinnert. Ziggy, der Mann aus der Zukunft, blickt etwas nostalgisch zurück. Nicht zum ersten Mal, und es kommt etwas überraschend, denn streng genommen hat David Bowie schon 1980 dem ganzen Retro-Wahn den Zahn gezogen. Auf Ashes To Ashes entlarvt er sein früheres Alter Ego: “We know Major Tom’s a junkie! “

Ashes To Ashes

David Bowie – am 8.März wird er nach zehn Jahren ein neues Album herausbringen. Lassen wir uns überraschen – aber diesem Mann würden wir ein mittelmäßiges Album locker verzeihen. Meine Lieblings-Bowie Songs kann man auch auf unserem Zündfunk-Angebot auf dem Streamingdienst Spotify nachhören.


5