MOBY – Resound NYC

Moby hat weitere Hits neu eingespielt – diesmal von 1994 - 2010: ohne Elektronik, mit Orchester. Statt ihm singen FreundInnen oder von ihm geschätzte Stimmen wie Gregory Porter, Lady Blackbird, Damien Jurado, Danielle + Elijah Ponder oder Ricky Wilson (Kaiser Chiefs). Sein 20. Studio-Album ist auch eine Hommage an seine Heimatstadt NYC. "Bevor ich Punkrock für mich entdeckte, war ich im Classic Rock zu Hause", sagt Moby. "Mein 1. Konzert war 1978 Yes im Madison Square Garden. Es war also mehr als verlockend, sich noch einmal mit meinen Liedern auseinanderzusetzen und zu gucken, ob sie einer traditionelleren, nicht-elektronischen, orchestralen Bearbeitung standhalten." Früher fertigte er Remixe für Michael Jackson oder Freddie Mercury an – nun also mal andersrum. Moby sagt: "Wenn man sich die Neunziger in Erinnerung ruft … Bill Clinton war Präsident, die Rave-Szene war dieses utopische Idyll, die Sowjetunion war Geschichte und der Klimawandel nur der Gedanke für ein Buch, das Al Gore schreiben wollte. Das Potenzial unserer Welt und unserer Kultur zu feiern, das war Musikmachen damals. Heute ist es fast eine Zuflucht in einer erschreckenden, manchmal apokalyptischen Welt." Eine wie zu erwarten: elegische Zeitreise. Aber zum Teil verdammt aufgedonnert: klar, Moby lässt sich fürs Cover auch vorm Empire State Building ablichten, will uns akustisch überwältigen. (7,3 von 10 Punkten)

RAHILL – Flowers at your Feet

Mein Favorit diese Woche: Rahill - iranisch-amerikanische Entdeckung, früher Sängerin der US-Garage-Girl-Band ´Habibi´. Die Gitarren sind leiser - es grooved vielmehr auf ihrem Solo-Debüt. Rahill mag gern unterschiedliche Dinge - von Fussball („Futbol“) bis Pasolini-Filme. Und hat zuhause schon ordentlich Fans. Beck ist als Duett-Partner in „Fables“ zu hören. Hier kommen Vintage-Sounds von Pop bis Soul vor. Und manchmal erinnert man sich an 90er-TripHop von Luscious Jackson, der New Yorker Girl-Band aus dem Beastie Boys-Umfeld. Zb bei „I Smile For E“ – keine Ecstasy-Hymne, sondern ein Lied über ihre verstorbene Tante Elaheh. „Als Einwanderer-Kind verbindet mich der Sport, der Fussball mit meiner gesamten Familie im Iran.“ Und dieses Album „Flowers at your Feet“ wird die Fans von Rahill Jamalifard aus New York verbinden – in aller Welt – zu einer hoffentlich großen Familie. (8,2 von 10 Punkten)

ALISON GOLDFRAPP – The Love Invention

Die Sängerin des englischen Synthie-Pop-Duos ´Goldfrapp´, das seit dem Millennium Hits wie „Ooh La La“, „Lovely Head“ oder „Strict Machine“ aufgefahren hat. Goldfrapp sind Grammy-nominert und Glastonbury-erprobt. Fünf Jahre nach ihrem letzten Duo-Werk hören wir die Stimme von Alison Goldfrapp also wieder – und anders: im Vergleich zur Band, die gern elegisch, elegant und zurückhaltend elektronisch daherkommt, klingt sie allein nach Dancefloor-Feier. Ausgelöst durch die beiden Songs, die sie für die aktuelle Röyksopp-Platte einsang. „Ich wollte etwas machen, das clubbig mit nem Acid-Touch, klingt. Aber aus dem Gesang sollte Erleuchtung kommen, eine Spannung, eine euphorische Freiheit“. Geholfen haben ihr Club-Produzenten wie Claptone oder Paul Woolford, die wir aus dem House- und Techno-Kontext kennen: „ich liebe die brodelnde Energie, die Paul eingebracht hat. Ich kann es kaum erwarten, unseren Song ´Fever´ auf einem verschwitzten Dancefloor zu hören.“ Erinnert an „erwachsene Disco“ von Roísín Murphy oder Annie. Bisweilen reduziert sie das Tempo auch für Synthie-Pop-Balladen. Interessant – aber doch gefällig gemacht. Deshalb: demnächst sicher auf einem Tanzboden in Ihrer Nähe. (7,7 von 10 Punkten)     

FEINE SAHNE FISCHFILET – Alles Glänzt

Seit 15 Jahren ist die MeckPom-Punkband nun unterwegs: inklusive eigenem Label, eigenem Festival („Wasted in Jarmen“) und eigenem Dok-Film: Landsmann Charly Hübner drehte „Wildes Herz“ über Sänger Monchi. Der war zuvor mit seinem Buch „Niemals Satt - Über Den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage“ Platz 1 der Spiegel Bestseller-Liste geworden. In den letzten fünf Jahren war es aber musikalisch eher ruhig: 2021 stiegen zwei Mitglieder aus. Feine Sahne machen nun weiter – mit neuem Gitarristen Hauke Segert, der nur 10 Min von Monchi in Rostock entfernt wohnt. Auf „Alles Glänzt“ geht es inhaltlich um Freundschaft, Liebe, Tod, Aktivismus, Rechte, Greenwashing, Seenotrettung. Musikalisch bleiben sie zwischen Punk und Ska, Trompeten und großen Gesten. Wie hat Daniel Richter, der Hamburger Maler und Eigner des Buback-Labels in der 30-Jahre-Buback-Sendung im Zündfunk/Bayern2 gesagt: er mag das männliche Mitgröhlen im „Verbrüderungs“-Rock nicht. Er wird diese Platte aus ästhetischen Gründen verabscheuen, aus politischen Gründen jedoch hochhalten. Ab nächster Woche touren FSF das Album – z. T. per Open-Airs. Am 25.8. z. B. auf dem Schloss Kaltenberg. Die Platte hat das Zeug, FSS zum ersten Mal Nummer 1 in den deutschen Albumcharts zu machen. (7,4 von 10 Punkten)

COMPANION SONGS – Paper Parachute

Das Debüt des Kölner Duos um Marco Mlynek und Max Andrzejewski, den wir von anderen Projekten kennen: von Jazz-Formationen Pranke bzw Hütte – mit letzterem heimste Max vor zehn Jahren den Neuen Deutschen Jazzpreis ein. Companion Songs widmet sich experimentellen Folk-Rock/komplexem Math Rock. Ein Album, dessen Lieder die Kunst demonstrieren, Haken zu schlagen, förmlich zu stolpern aber sich locker wieder zu fangen. Es erscheint auf dem Berliner Label Akkerbouw, auf dem Schauspielerin Sandra Hüller ihre erste und einzige Platte veröffentlichte. Marco und Max kennen sich schon lange – aus Teenager-Tagen. Auf „Paper Parachute“ knüpfen sie an ihre erste EP aus dem Jahr 2021 an. Wir hören repetitive Rhythmen und hypnotische Gitarren, wir denken an den Krautrock Kölner und Postrock Chicagoer Schule. Gefragt, was wichtige Einflüsse für die Platte waren, heisst es: Animal Collective, Big Thief, Nick Drake. Wie der Name schon sagt: Companion Songs liefern, die einen begleiten wollen. (8,0 von 10 Punkten)

SOFTEE – Natural

Die New Yorkerin dockt mit ihrem zweiten Album nun beim deutschen Label CitySlang an (Caribou, José Gonzáles, Roosevelt). Softee, die Nina Grollman heisst, hat die Platte in Berlin aufgenommen. Nina hat davor viel erlebt: während des Lockdowns erlebte sie die Trennung einer langjährigen Beziehung – mit anschliessendem sich-sofort-neu-Verlieben. Ihre neue Liebe und Verlobte, die Regisseurin Machel Ross, drehte den Clip zur Single „Come Home“. Nina, die non-binär ist, steht für 80´s-Synthie-Pop, für funky DIY-Indie, lesbar auch für die R´n´B-Fans von Heute. Aufgenommen wurde „Natural“ in Berlin mit Kollaborateur/Co-Producer sweetbbyi. Herauskommt ein locker-flockig erscheinendes Album, so als ob ihr die Melodien nur so zufliegen würden. Diese frische Stimme werden wir aus diesem Pop-Jahr mitnehmen. (7,9 von 10 Punkten)

OVAL – Romantiq

Der Pionier der „Fehlertronica“, der Glitch-Sounds (mit den leichten Aussetzern) aus den 90ern ist zurück. Markus Popp hat sich längst weiterenwickelt und seine Arbeitsweise perfektioniert. Seine Digital-Spinett-artigen Sounds vermengen sich mit avantgardistischen Ambient-Klängen, die jede Kunstausstellungseröffnung gehaltvoller erschienen liessen, liefe die Platte bei der Vernissage im Hintergrund. Es gibt wenige Künstler wie der Berliner, die derart dezent und dominant zugleich komponieren können. Selbst bei geringer Lautstärke entfalten sich die Ideen. Nicht erst seit „Romantiq“. Entstanden aus einer audiovisuellen Zusammenarbeit mit dem Digital-Künstler Robert Seidel für die Eröffnung des Deutschen Romantik-Museums in Frankfurt. In „Zauberwort“ tauchen Schnipsel einer Opernsängerin auf. Exotica-Momente gehen in „Wildwasser“ auf, „Rytmy“ spiegelt Nostalgie ins Heute. Seidels visueller Blick aufs Thema taucht z. T. in den Videos zur Platte auf. Oval bleibt eine Bank in seinem Genre. (8,4 von 10 Punkten)

JAMES ELLIS FORD – The Hum

Wir kennen ihn von seinem Electro-Duo Simian (Mobile Disco) und ihrem Nuller-Jahre-Indie-Disco-Schlager „We Are Your Friends“. Während die Depeche-Mode-Fans sagen: das ist doch der Produzent der letzten beiden DM-Alben! Auch die Gorillaz, Foals und Arctic Monkeys waren schon bei dem Briten zum Aufnehmen im Studio. Bzw er mit ihnen auf Tour: Ford ist Mitglied des Arctic Monkeys-Ablegers The Last Shadow Puppets. Und vielleicht hat er deshalb von großen Pop-Gesten die Schnauze voll, denn er vermeidet auf seinem Solo-Debüt klassische Hit-Momente. Man hat das Gefühl: hier musste sich jemand mal frei spielen. Ob er die Simian Mobile Disco noch einmal anwerfen kann? Schwierige Frage: bei seinem SMD-Partner Jas Shaw wurde eine seltene Krankheit diagnostiziert. Auch das trieb Ford zum Solo-Debüt. Auf dem er zum ersten Mal singt. Sehr erwachsener Pop – seine Stimme klingt etwas nach David Sylvian. Für ihn ist es ein „Liebesbrief an die palästinensischen Wurzeln meiner Frau und meines Sohnes“. Und eine Verbeugung vor britischen Vorbildern wie Brian Eno oder Robert Wyatt, der in den 60/70ern in England für den sogenannten Canterbury Sound statt – sprich der Mix aus Psychedelic, Folk und Prog-Rock. Auch Soft Machine, Kevin Ayers und Steve Hillage zählten hierzu. Das hört also jemand, der schon alles gehört hat. Und seine Nische sucht. (7,8 von 10 Punkten)

OVERMONO – Good Lies

Wer wissen will, wo sich die britische Dance-Music im Moment befindet: das ist dein Album der Saison! Das Brüder-Duo aus Wales liefert ultrahocherhitzte Tunes mit hochgepitchten und tiefer gelegten Bässen ab. Wer Thom Yorke remixt, mit Joy Orbison arbeitet und von XL unter Vertrag genommen wird, hat etwas richtig gemacht. Das vielseitige Debüt zwischen House, Garage und UK Funky bringt Ed und Tom Russell nun Bookings von großen Festivals: Primavera Spanien, Maifeld Derby (16.6. Mannheim), Montreux Jazz und Fuji Rock in Japan: "in den letzten zwei Jahren haben wir so viel Zeit auf der Straße verbracht und Musik gemacht, wann immer wir konnten. Das ständige Umherziehen war immer sehr inspirierend und hat uns dazu gebracht, viel zu experimentieren und Spaß daran zu haben, wie wir Akkorde oder abgehackte und gepitchte Vocals kreieren. Dieses Album ist wirklich eine Liebeserklärung an die bisherige Reise und zeigt, wohin wir die Dinge führen wollen.“ Mein Favorit ist „Is U“ bei dem sie eine Zeile den englischen Alternative R´n´B-Sängerin Tirzah sampeln. (8,1 von 10 Punkten)

MD PALLAVI & ANDI OTTO - Songs for broken Ships

Schöne Überraschung: ein deutsch-indisches Duo. Pallavi & Otto trafen sich vor zehn Jahren an einem Theater in Indien. Sie erhielten Künstler*-Residencies an den Orten des / der anderen: MD in Hamburg, Andi in Bangalore. Und begannen 2016 mit dem Musik machen - nun das Debüt des Duos. MD Pallavi, Sängerin/Filmemacherin/Schauspielerin/Performerin singt, z. T. auch lautmalerisch. Und Andi Otto, Cellist/Komponist/DJ, steuert die Sounds – meist elektronischer Art – bei. Manchmal erscheint es als eine Art fein gewobener Folktronica-Teppich. Gern auch im Nicht-4/4-Takt. Danke für die interkontinentale Bereicherung! (7,7 von 10 Punkten)

LP GIOBBI – Light Places

Dieses Debüt ist wohlvorbereitet: nach unzähligen Maxis und Koops mit Dance-Stars wie Pete Tong und Tensnake nun der erste Longplayer von Leah Chisholm aus L.A. Die Produzentin, DJ und Aktivistin liefert ein Dance-Album ab, das Fans von Odesza, Bicep oder Tsha gefallen sollte. „Light Places“ ist ihren Eltern gewidmet, die sie freigeistig in Oregon erzogen – zwei Deadheads – Fans der Grateful Dead. Ihre Tochter hat heuer schon das „Garcia“-Album veröffentlicht – lauter Remixe von Solo-Songs des Grateful Dead-Sänger Jerry Garica. „Light Places“ steht aber auch für ihre Lichtliebe: „ich bin eine Sucherin von Lichtplätzen – sowohl im Physischen als auch im Göttlichen“. Stroboblitz und Discoflash an für diese Platte, auf der Gäste wie Georgia, Sofi Tukker oder DJ Tennis zu hören sind – und die z. T. in Flugzeugen, über den Wolken – auf Reisen der Jetsetterin entstanden sind. Auch wenn mir der Sound mindestens eine Spur zu charts-orientiert geraten ist: auf einem der Release-Dates in den USA wäre ich gern zugegen: LP Giobbi (sprich: El Pi Dschi-obi) fährt mit DJ Tennis in einem besonders ausgestatteten Wohnwagen durchs Land und hält an sehenswerten Orten für Performances an: von Joshua Tree über New Orleans bis zum Museumsort Marfa. (7,5 von 10 Punkten)

AMILLI - Soami

Mit ´Rarri´ landete sie einen/den ersten deutschen R´n´B-Songs im internationalen Gewand. Amilli war gerade mal 18, als sie die WDR 1 Förder-Krone 2019 und den „Preis Für Popkultur“ einheimste – für den tollen Song bzw ihre „Wings EP“. Sie wurde sie mit Jorja Smith und Lana Del Rey verglichen. Und zu Lollapalooza, C/o Pop und Reeperbahnfestival eingeladen. Nun bringt die aus Bochum stammende Sängerin ihr Debüt. Es entstand größtenteils bei ihr zuhause und in einem Ferienhaus auf dem Land. Die Stimmung ist angenehm relaxt-zuückgenommen, die interessant-brüchige Stimme steht im Vordergrund. Amilli vertraut ihrer Intuition. Sie singt von Fernbeziehung, flüchtigem Flirt und neuem Selbstbewusstsein. Kein schnell und frech hingerotzter Hit-Nachzügler, eher Erwachsenwerdungsprozess. Und musikalisch emanzipiert. Favorit: StuckInMyHead, das mit leichten Drum´n´Bass-Beats aus dem R´n´B-Pop-Kontext davonhoppelt. (7,6 von 10 Punkten)