Bayern 2 - Kulturjournal


19

Digitales Selbst Theaterprojekt "Privacy" zu Daten und Identität

Im Internet hinterlassen wir mit jeder Aktion eine Datenspur - und bekommen damit eine digitale Existenz. Wie privat ist unser Privatleben also noch? Das Künstler-Kollektiv "satellit produktion" hat einen Selbstversuch gestartet.

Stand: 16.11.2016

Theaterprojekt "Privacy" mit Matthias Renger und Lotte Lindenborn | Bild: Judith Buss

Voll einsteigen in die Produktion eines digitalen Selbst - oder ganz aussteigen? Das "Privacy"-Projekt von Regisseurin Ana Zirner, Dramaturgin Martina Missel und dem Choreografen David N. Russo hat beides ausprobiert: Zirner hat über zehn Monate ihr Daten-Ich im Netz bloßgelegt, indem sie alle ihre Daten auf einer Webseite veröffentlichte, Missel stellte sich die entgegengesetzte Aufgabe, möglichst wenige Datenspuren zu hinterlassen, indem sie sich zum Beispiel aus sozialen Netzwerken zurückzog. Die Erfahrungen beider Perspektiven sind in ein Theaterstück eingegangen, das nun in München uraufgeführt wird.

Der "normkonforme" Mensch

Ana Zirner

Für Ana Zirner war ihr Alter-Ego vor allem durch Zahlen und Werte definiert, die mehr und mehr ihr Leben bestimmten: Sie benutzte ein Fitnessarmband und Apps, die die Nährwerte ihrer Lebensmittel festhielten, ließ ihr Herz-Kreislauf-System, ihren Stoffwechsel, ihre Gefäße - kurz: ihr "body age" ausmessen und klassifizieren. Eine vertrackte Kategorie bei all dem ist, wie sich für Ana Zirner herausgestellt hat, die Kategorie des "Normbereichs": Quantifizierte Erfassung ermittelt immer einen statistischen Mittelwert, und der wird schnell als geltende Richtschnur verinnerlicht. Für Zirner wurde es, auch dort, wo sie es besser wusste, immer mehr ein Ziel, ihre Werte etwa durch Training oder Ernährungsumstellung so zu "korrigieren", dass sie eben dieser Norm entsprachen. Noch folgenreicher als für Körpermessungen ist die Herrschaft des "Normbereichs", wenn es um Persönlichkeitsbilder geht. Das erlebte Zirner bei ihrer Anmeldung in einem Partnerschaftsportal: Nachdem sie 78 Fragen zu ihrer Person beantwortet hatte, errechnete das System, dass sie beispielsweise überdurchschnittlich extrovertiert sei. Ein Ergebnis, das mit dem Subtext verkündet wird, an dieser Abweichung doch bitte zu arbeiten ...

Digitale Selbstbestimmung

Martina Missel

Zirners Erfahrung legt eine interessante Dialektik unseres digitalen Selbst offen: Einerseits sind Apps sehr anschmiegsam ans eigene Leben anzupassen, andererseits etablieren sie dann doch eine überpersönliche Norm und pflanzen sie tief genug in ein intimes Selbstverhältnis ein. Auch die Frage, wer in diesem Prozess eigentlich die Kontrolle worüber hat, ist nicht einfach zu beantworten: Die digitalen Hilfsmittel sollen dem Einzelnen selbstbestimmtes Handeln erleichtern, zugleich unterwerfen sie ihn sehr bald ihrer eigenen Logik. Martina Missel hat in ihrem Part des gemeinsamen Experiments der Theatermacher versucht, sich der digitalen Erfassung möglichst weitgehend zu entziehen: Sie meldete sich bei Facebook ab, löschte Whatsapp, benutzte keine Google-Dienste mehr. Ganz einfach war das nicht, weil sich etwa auch ihre Freunde und Mailpartner auf ihren digitalen Rückzug einstellen mussten. Und dass sie sich nicht durch Selftracking optimieren wollte, hat ihr auch schon mal Kommentare zu ihrem angeblich ungesunden Lebensstil und seinen Folgen eingebracht.

Leib und Seele vermessen

David N. Russo

Für das Theaterstück, für das die Künstler ihre Selbstversuche heranziehen, haben sie ein Paar erfunden, das sich über ein Dating-Portal kennenlernt. Der Algorithmus hat errechnet, dass Mia und Finn zu 94% zusammenpassen, außerdem haben sie bereits digital kommuniziert, bevor sie das erste Mal aufeinandertreffen. Natürlich wird es dann im richtigen Leben doch alles nicht so ganz einfach. Das digitale Abbild wirkt sogar spannender als der echte Mensch - auch das eine Erfahrung, die sich in sozialen Netzwerken durchaus sehr real machen lässt. Für die Protagonisten in "Privacy" ist es mit der computergestützten Liebe aber noch nicht zu Ende, nachdem die Auswertung ihrer Daten sie zusammengebracht hat: Sie lassen sich gegenseitig so freischalten, dass sie jederzeit den Herzschlag des anderen sehen können, und natürlich ist das ein Schritt zur Überwachung. Choreograf David N. Russo gibt all den abstrakten Themen des "Privacy"-Projekts durch seine Rolle auf der Bühne eine physische Dimension: Er ist als Figur "SMART" mit von der Partie, eine Figur zwischen Gerät und App. Für sie hat Russo eine Ausdrucksform gefunden, die unsere digitale Praxis in die ganz analogen Bewegungen des Körpers übersetzt.

"Privacy"

Uraufführung am Samstag, den 26. November 2016 in der Galerie der Künstler München
Mit Lotte Lindenborn, Matthias Renger, David N. Russo
Regie: Ana Zirner
Dramaturgie: Martina Missel
Weitere Aufführungen am 27., 28. und 29. November

Informationen und Tickets:

Kulturjournal

Das digitale Selbst: Das Theaterprojekt "Privacy"
Von Laura Freisberg

Sonntag, 20. November 2016, 18:05 Uhr, Bayern 2


19