Momente des Aufbruchs gibt es immer wieder im Leben - die Geburt ist nur der allererste. Der Anfang eines jeden Aufbruchs gewissermaßen, weil sie der Aufbruch ins Leben überhaupt ist. Es folgen viele weitere: Kindergartenkind zu werden (…), mit einer bunten Schultüte in die Schule zu kommen, der Auszug aus dem Elternhaus, der Einzug in die erste gemeinsame Wohnung oder ein neu gebautes Haus. Auf eigentümliche Weise mischt sich in jeden Aufbruch ein Abschied. Man verlässt alte Ufer, bevor man sich zu neuen aufmacht. (…) Die Momente des Aufbruchs haben oft eine ganz besondere Energieladung: Da sind Mut, Abenteuerlust und eine kribbelige Aufregung. Aber auch eine riesige Portion Unsicherheit: "Wie wird es werden? Kann ich das überhaupt?" Oder eine Prise Verlustangst: "Warum gebe ich eigentlich all das auf, bin ich verrückt?" Im Aufbruch überwiegt jedoch eine starke innere, treibende Kraft, die sich von den Ängsten und Unsicherheiten nicht zurückhalten oder einschüchtern lässt. Wir alle sehnen uns nach guten Anfängen. Oder nach einem Anfang, in dem alles gut ist. Deswegen haben Menschen Rituale um diese Anfänge herum ersonnen. Im Kern sind diese Rituale religiös und bekennen: Wir wissen, dass wir bei unseren Anfängen im Leben nicht alles selbst in der Hand haben. Wir brauchen Schutz und Kraft von "anderwärts her".

Entnommen aus: Emilia Handke, Meike Barnahl "Dein Leben dein Moment. Rituale neu entdecken und individuell gestalten", Kösel Verlag, München 2023