Bayern 2 - Gedanken zum Tag


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Gudrun Sailer Gedanken zur Fastenzeit

Das Gebet um Selbstlosigkeit

Stand: 14.03.2024

Gedanken zur Fastenzeit | Bild: BR

14 März

Donnerstag, 14. März 2024

"Nichts ist gefährlicher und seelenmordender als die beständige Beschäftigung mit dem eigenen Wesen und Ergehen", schreibt Herman Hesse. Recht hat er. Frei werden von meiner Selbstbespiegelung, meinem Egoismus, vom Bohren in meinen Befindlichkeiten. Wegstreben von dem, was dunkel ist in mir, und mich neu ausrichten zum Licht. Das ist Fastenzeit. Man kann diese 40 Tage als Chance zur Befreiung auffassen: Ich will frei werden von dem, was mich klein und in mir verkrümmt hält. Gläubigen Menschen hilft bei diesem "Weg-von-mir-selbst-Programm" das Gebet, das zum inneren Putzplan vor Ostern gehört. Ich könnte zum Beispiel Gott darum bitten, dass ich es heute zuwege bringe, nicht meinen, sondern seinen Blick auf meine Mitmenschen einzuüben. Oder ich bitte darum, dass ich heute erkennen kann, wie viel von ihm, Gott, in der freundlichen Aufmerksamkeit anderer steckt, in der Freude und der Großzügigkeit, die ich an diesem Tag hoffentlich hie und da erfahren und ganz sicher brauchen werde. Es hilft aber auch schon, ehrlich auf mein tägliches Leben zu schauen und auf meine Gewohnheiten. Wenn ich den Tag beginne: Worauf lenke ich meine Gedanken? Was ist mir wertvoll, wofür nutze ich die Zeit, die mir geschenkt ist? Die Freiheit besteht darin, unser Leben zu einem Baum zu machen, hat einer der alten Kirchenväter gelehrt. Ein Baum, der Früchte des Lebens trägt, weil er über sich selbst hinausgewachsen ist.

Gudrun Sailer / unveröffentlichter Text


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