Ich bin unterwegs zu Fuß zu einem Ort der Liebe. Jedenfalls verbinden viele mit der Kapelle auf dem Gotthard eine tiefe Form der Zuwendung. Sie liegt oberhalb von Amorbach im fränkischen Odenwald und ist eine Außenstation des Standesamts, in ihr kann man sich trauen lassen. Mit dem Nibelungensteig komme ich aus dem idyllischen Reuenthal, erreiche einen Bergrücken und sehe die einstige Benediktinerabtei Amorbachs prachtvoll im Tal ausgebreitet. Mein Ziel, die Gotthardskapelle, zeigt sich aber noch nicht. Ich gehe auf dem Bergrücken durch Wald, steige weiter auf. Dann trete ich ein. Und fühle mich willkommen wie in kaum einer Kirche sonst. Die Kapelle wurde mehrfach zerstört, wiederaufgebaut, vom Blitz getroffen, brannte aus. Viel länger als dass sie intakt war, gibt es sie nun schon als Ruine. Vieles der dreischiffigen Basilika aber ist erhalten. So tritt die Eleganz einiger Friese erschütternd schön hervor. Durch die hochaufragenden Fensterhöhlen schaue ich auf Bäume und an ihnen vorbei ins Blaue. In dieser Kirche kann der Himmel niemals ausgeschlossen werden. Und ich bin angekommen. Brauche mich dessen, was nicht glückt oder abgebrochen ist, nicht schämen. Das Lückenhafte ist schön. In diesem Gotteshaus, das sich kein dickes Fell zugelegt hat, erfahre ich: Ich bin richtig. Wenn das nicht Liebe ist.

Georg Magirius / unveröffentlichter Text