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Ein Banker flieht nach Marokko "Mogador" von Martin Mosebach

Martin Mosebach ist der konservative Dandy der deutschen Literatur. In seinem neuen Roman schickt er einen Banker in Nöten in eine marokkanische Hafenstadt, wo er auf eine Geldverleiherin und Bordellbetreiberin trifft.

Stand: 26.09.2016

Martin Mosebach | Bild: picture-alliance/dpa

Patrick Elff ist auf der Flucht: Der leitende Angestellte eines Düsseldorfer Bankhauses ist in polizeiliche Untersuchungen nach dem Selbstmord eines Kollegen geraten, und nachdem er zur komplizierten Konstruktion von Geschäftsbeteiligungen befragt worden ist, muss er fürchten, erneut vorgeladen zu werden und unangenehme Auskünfte geben zu müssen. Sein Verschwinden ist zunächst wenig glamourös - der "junge Mann", wie es im Text auf den ersten Seiten distanziert heißt, entkommt durch das Fenster der Kommissariats-Toilette. Doch das Ziel seiner Hals über Kopf angetretenen Reise ist ein Land mit dem Reiz der Exotik: Elff will nach Marokko, in die Stadt Mogador an der Atlantikküste. Dort lebt ein Monsieur Pereira, einer der ganz großen Kunden der Bank, bei dem Patrick noch einen Gefallen gut hat.

Der Banker und die Wahrsagerin

In der realen Welt heißt Mogador seit 60 Jahren Essaouira, aber für Martin Mosebach hat der alte Name einen verheißungsvolleren Klang: Er erinnert an den Zauberspruch "Mutabor" aus Wilhelms Hauffs Kunstmärchen "Kalif Storch", der eine Verwandlung verspricht. Und in der Tat gerät sein Romanheld denn auch in eine für den europäischen Bürger fremde, farbenprächtige Welt, in der es fast so etwas wie Wunder gibt. Patrick Elff wird von Karim aufgelesen, der ihn bei Khadija unterbringt, einer Geldverleiherin mit seherischen Fähigkeiten und Zugang zu Dämonen. Dass das alte Haus mit seinen ungewöhnlichen Gästen, in dem Patrick unterkommt, ein Bordell und Khadija dessen Herrin ist, geht dem unbedarften Besucher erst sehr viel später auf.

Khadija ist eine starke Romanfigur, nach etwa einem Drittel wendet sich der Text ausführlich ihrer Geschichte zu: Der harten Kindheit in einfachen Verhältnissen, den zwei Ehemännern, die beide zu Tode kommen, den Kindern, der Entdeckung ihrer besonderen Begabung. Erst danach geht es wieder um Patrick Elff, den Flüchtling aus Europa. Für den Autor war nicht er, sondern seine marokkanische Gegenfigur der Anlass, "Mogador" zu schreiben: Martin Mosebach hat in Essaouira an seinem Vorgängerroman "Das Blutbuchenfest" gearbeitet, und dort lernte er eine Frau kennen, die in gewisser Weise Vorbild für die Khadija des neuen Buches geworden ist. In den beiden Protagonisten lässt er Welten aufeinandertreffen, die dritte Hauptrolle im Buch spielt die titelgebende Stadt Mogador.

"Auch nach dem Eintauchen der Sonne in den weißen Meeresschaum, wenn es dunkel wurde, blieb Patrick gern auf der Dachterrasse sitzen. Er konnte sich an das Kauern auf dem Boden in Khadijas Salon nicht gewöhnen, und das Durcheinander der Stimmen dort war ihm gleichfalls nicht angenehm. Der Fernseher lief neuerdings den ganzen Tag, als habe er in der kalten Zeit ein flackerndes Herdfeuer zu ersetzen, und dazu empfing Khadija ihre Besucher. In seiner Gegenwart konnte man sich unbekümmert unterhalten, gern auch vertraulich, denn er verstand ja kein Wort und wurde nur manchmal ungeniert gemustert. Mit auffälliger Höflichkeit behandelte man ihn nicht unbedingt, Khadija blieb auch in Gesellschaft ihrer Gäste ernst, ja finster. Von außen betrachtet, schien sie keinen davon besonders zu schätzen, aber Patrick verstand bald, daß solche Oberflächlichkeiten wie das Mögen oder Nichtmögen tief unter ihrem Niveau lagen; ihre Skepsis war unabhängig von ihren Sympathien: 'Du glaubst, es steht ernst um dich', sagte ihre Miene, 'aber du weißt noch gar nicht, wie ernst.'"

aus: Martin Mosebach: Mogador. Roman, 368 Seiten, Rowohlt Verlag, 22,95 Euro

Feingeist oder Manierist?

Martin Mosebach ist ein Solitär im deutschen Literaturbetrieb, und ein umstrittener dazu: Für die einen ist er ein feingeistiger Stilist mit Sinn für literarische Tradition, für die anderen ein Konservativer oder gar Reaktionär, der seine Manierismen pflegt: Ebenso wie seine Dreiteiler oder Einstecktüchlein gehört es zu Mosebach, das er "Sopha" oder "Telephon" konsequent mit altmodischem "ph" schreibt. Das ist natürlich im neuen Roman nicht anders. Auch ein Hauptmotiv aus "Mogador" ist bereits in einem anderen Buch des Büchnerpreisträgers begegnet: In "Das Beben", erschienen 2005, ließ Mosebach einen Europäer die Flucht in ein fremdes Land ergreifen, diesmal nach Indien, diesmal getrieben von Liebesleid.

Und Patrick Elff? Der findet am Ende wieder zurück, auch zu seiner Frau Pilar, einer "Puritanerin von der frischen, appetitlichen Sorte", die viel und gerne spricht, aber ein heikles Thema stets taktvoll ausklammert: den Vermögensunterschied zwischen ihrer reichen und Patricks Herkunft aus einem durchschnittlichen Beamtenhaushalt. Nach seinem wortlosen Verschwinden empfängt diese Pilar den Heimkehrer ohne tieferen Vorwurf am Flughafen.

Im Roman heißt es: "Man könnte von einem Kreislauf sprechen, als sei er, wie bei einem Würfelspiel, nach Überwindung der verschiedensten Stationen wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt. Nun ist das Leben kein Würfelspiel, und der Ausgangspunkt ist allein durch das Verstreichen der Zeit, und seien es nur zwei Wochen, nicht mehr der, den man verlassen hat." Die Literatur freilich ist eine Art Spiel - wenn auch keines, bei dem man nur ein paar Würfel fallen lassen müsste -, und Martin Mosebach hat es für seinen neuen Roman wohl wieder mit einigem Genuss gespielt. Und nach seinen sehr eigenen Regeln.

Diwan

Für das Bayern 2-Büchermagazin hat Cornelia Zetzsche mit Martin Mosebach über seinen neuen Roman "Mogador" gesprochen. Zu hören ist das Interview in der Sendung am Samstag, den 1. Oktober 2016 ab 14:05 Uhr (Wiederholung 21:05 Uhr).


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