Bayern 2 - Nachtstudio


12

Die Spiegel-Affäre Ein abgekartetes Spiel von Landesverrat?

Vor 50 Jahren, am 3. Mai 1965, beendet der Bundesgerichtshof die juristische Auseinandersetzung um den Spiegel. Das Gericht lehnt die Eröffnung eines Hauptverfahrens ab. Für Politik und Presse ist die Affäre damit aber nicht zuende.

Stand: 30.04.2015 | Archiv

Adenauer spricht 1962 im Bonner Bundestag zur Spiegel-Affäre | Bild: picture-alliance/dpa

Die wichtigsten handelnden Personen sind: Rudolf Augstein, Herausgeber des Spiegels. Franz Josef Strauß, Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Konrad Adenauer, Bundeskanzler. In den Nebenrollen: Autoren, Minister, Gutachter, Generäle, Staatsanwälte, Abgeordnete, ein Militärattaché, die Medien und das Volk. Die Orte der Handlung sind die Bundeshauptstadt Bonn, Hamburg, der Hauptsitz der Spiegel-Redaktion und Torremolinos, ein Urlaubsort in Spanien.

Darum geht es in diesem Drama: Einen Spiegel-Artikel mit dem Titel "Bedingt abwehrbereit", die Durchsuchung und Besetzung einer Zeitschriftenredaktion, eine Regierungskrise und vor allem ein Kräftemessen zwischen der Presse, dem Parlament und der kritischen Öffentlichkeit auf der einen Seite und der Regierung auf der anderen Seite.

"Am 10. Oktober 1962 erschien im Heft 41 des Spiegel eine Titelgeschichte, die nicht nur einen Stein, sondern eine politische Lawine ins Rollen brachte. Der Artikel trug die Überschrift 'Bedingt abwehrbereit'. Mit dieser Kurzformel wurde die geringe Abwehrbereitschaft der deutschen Streitkräfte umschrieben."

Conrad Ahlers, Autor des inkriminierten Spiegel-Artikels

Rudolf Augstein im Jahr 1962

Conrad Ahlers, der Autor des Artikels im Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel, erinnert sich Jahre später an die Ereignisse im Oktober 1962. Ein Teil der Auflage wurde damals schon am 8. Oktober ausgeliefert. Ahlers kommt in seinem Artikel zu dem Schluss: das Verteidigungskonzept von Bundesminister Franz Josef Strauß funktioniere nicht. Schon am 9. Oktober 1962, also nur einen Tag nach Erscheinen des Artikels, ordnet die Bundesanwaltschaft an, Ahlers Text zu überprüfen. Das Ergebnis: Landesverrat. Doch so fängt es nicht an. Das, was später als die Spiegel-Affäre ins Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit eingegangen ist. Wo genau sie beginnt, die Affäre, darüber herrscht bis heute Uneinigkeit. Dabei geht es nicht um Daten oder Fakten, sondern um deren Bewertung.

Zwischen Landesverrat und Dienstvergehen

Fest steht: Schon am 1. Oktober 1962 erstattet der Würzburger Jurist Friedrich August von der Heydte Anzeige gegen Rudolf Augstein wegen des Verdachts des Geheimnisverrats. Mit dieser Anzeige und dem Erscheinen des Spiegels eine Woche darauf sind zwei Fixpunkte der Spiegel-Affäre genannt. Doch was war dieses Affäre genau? Handelte es sich um eine schon länger währende Fehde zwischen dem Spiegel und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß? Oder hat die Staatsanwaltschaft in der damaligen Kuba-Krise, als ein Atomkrieg direkt bevorzustehen schien, überreagiert? Benutzte die Bundesregierung die Staatsanwaltschaft, um ein kritisches und missliebiges Presseorgan auszuschalten? War es am Ende ein Angriff auf die Demokratie? Oder doch nur heißgelaufene Kalte Krieger? Ein weites Feld zwischen den Grenzpfählen Landesverrat und Dienstvergehen.

"Wenn die deutsche Öffentlichkeit sich das gefallen lässt, wenn sie nicht nachhaltig auf Aufklärung dringt, dann adieu Pressefreiheit, adieu Rechtsstaatlichkeit, adieu Demokratie."

Sebastian Haffner im ARD-Fernsehmagazin Panorama

Das Ergebnis der Spiegel-Affäre

Franz Josef Strauss im Jahr 1960

Am Ende erweisen sich die Vorwürfe gegen den Spiegel als haltlos. Die Regierung Adenauer dagegen kommt durch die Affäre in eine schwere Krise: Denn zum einen war das Vorgehen gegen das Nachrichtenmagazin aus Hamburg nicht rechtens. Und gerade das Vorgehen des damaligen Bundesverteidigungsministers Franz Josef Strauß bewegte sich jenseits des rechtlich Zulässigen. Überraschenderweise kennt die Spiegel-Affäre trotzdem fast nur Gewinner. Den Spiegel natürlich. Die Auflage stieg nach der Redaktionsbesetzung zeitweise um 200.000 auf 700.000 Exemplare. Das Magazin behielt die dankbare Rolle des unschuldigen Opfers und wurde zum Verteidiger der Pressefreiheit und der Demokratie. Auch oder vielleicht gerade weil Rudolf Augstein den Sieg nicht auskostete. Der Autor des Artikels "Bedingt abwehrbereit", Conrad Ahlers, wurde 1966 stellvertretender Leiter des Bundespresseamts unter CDU-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger.

Gewinner in der Politik

Die FDP war die Partei, die Rückgrat bewiesen und Strauß aus dem Kabinett gedrängt hatte. Die aber vielleicht auch nur Strauß als Hebel benutzte, um endlich den ungeliebten Adenauer aus dem Kanzleramt zu bekommen. FPD-Chef Erich Mende forderte schon im Sommer 1963, wieder über eine Rückkehr von Strauß ins Kabinett nachzudenken. Staatsanwalt Siegfried Buback, der zuständige Ermittler, wurde 1963 zum Oberstaatsanwalt befördert. August Friedrich von der Heydte glaubte auch weiterhin, mit seiner Anzeige dem deutschen Volke genützt zu haben. 1966 zog er für die CSU in den Bayerischen Landtag ein.

Gewinner Strauß, Verlierer Adenauer

Selbst die Karriere von Strauß bekam höchstens einen Dämpfer. Seine Partei stand zu ihm. Schon im Januar 1963 wurde Strauß Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Unter Bundeskanzler Kiesinger war Strauß ab 1966 Bundesminister der Finanzen. Nur vier Jahre hatte es also gedauert, bis er wieder ins Bundeskabinett zurückkehrte. Adenauer aber, der scheinbare Gewinner der Affäre, musste gehen. Ein knappes Jahr später, am 15. Oktober 1963, trat er zurück.

Einen ganz bedeutenden Gewinner gab es außerdem: Die immer noch junge Bundesrepublik lernte, die Pressefreiheit zu verteidigen, lernte, dass Aufklärung möglich ist, wenn Bundestag, Öffentlichkeit und die Medien sie einfordern.


12