Bayern 2 - Nachtstudio


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Tiere und Maschinen Ein Denkmal für Gilles Deleuze

Wer ist Deleuze? 1925 geboren, Freitod durch Sturz aus dem Fenster am 4. November 1995. Französischer Philosoph, polarisierend nicht nur wegen sehr langer Fingernägel, Denker des Schnellseins, des Tier-Werdens und der Differenz.

Von: Jan Snela

Stand: 03.11.2015 | Archiv

Wurzelmundqualle im Ozean | Bild: picture-alliance/dpa

Fest steht: Deleuze ist so leicht nicht zu fassen. Sicher, man kann seine biographischen Daten wiedergeben und seine wichtigsten Werke nennen: Am 18. Januar 1925 kommt er in Villeneuve-les-Sablon zur Welt. Er studiert Philosophie in Paris und gerät mitten hinein in die Studentenproteste 1968. Zwei Jahre später bekommt er eine Professur für Philosophie an der Reform-Universität Paris VIII.

Tausend Plateaus

Weithin bekannt machen ihn vor allem zwei Bücher, die er zusammen mit dem Psychoanalytiker Félix Guattari geschrieben hat: Anti-Ödipus und Mille plateaux, Schlüsseltexte der postmodernen Philosophie, die bis in die avancierte Techno-Kultur hinein wirken. Ein Label aus Frankfurt /Main nennt sich nach dem Buch Mille Plateaux. Doch wofür steht der Philosoph Gilles Deleuze? Und warum stürzt er sich am 4. November 1995 aus dem Fenster seiner Wohnung in Paris in den Tod?

Von den Maschinen

Zwei Begriffe aus seinem Denken weisen vielleicht den Weg zu einer Antwort: Das Tier und die Maschine. Der Begriff der Wunschmaschinen beschreibt in Deleuzes Denken die Funktionsweise des Unbewussten. Aber nicht wie Freud als eine subjektzentrierte Psychoanalyse, sondern als radikale Öffnung des Subjekts. Statt autark für uns zu existieren, öffnen wir uns immer der Welt. Wir verwirklichen uns temporär, wir suchen ständig Anschluss im Außen. Wir sind keine geschlossenen, stabilen Strukturen.

"Das bedeutet, dass die Außenwelt für Deleuze eben nicht etwas ist, was sich außen, jenseits meiner Grenzen befindet, sondern im besten Fall eingefaltet in uns existiert.Das heißt, ich setze mich nicht in eine Beziehung zu all den Elementen, zu den Entitäten und Wesen, die rings um mich herum existieren, sondern was mit dem Werden gemeint ist, ist eine Pluralisierung der Innenwelt selbst. Ein Werden heißt Weltgewinn, ein Werden heißt immer die Vervielfältigung von Bezügen."

Joseph Vogl, Literaturwissenschaftler

Das Begehren der Wunschmaschine lässt sich als das Begehren nach einer Realisierung möglichst vielfältiger Weltbezüge beschreiben. Deshalb ist das Tier-Werden, von dem Deleuze und Guattari oft schreiben, kein Widerspruch zur Praxis des Maschine-Machens, sondern eine ihrer wesentlichen Spielarten.

Von den Tieren

Und dann war Gilles Deleuze auch Charismatiker, philosophischer Nomadologe, Zauberer, Hexer, Werwolf. Hutträger. Autor in ihrem Stil außergewöhnlicher, so konziser wie komplexer Monografien über Nietzsche, Leibnitz, Spinoza, Kafka und Francis Bacon. Und: Er war Befürworter jeder Form künstlerischen Kakerlakentums.

"Ein weiterer Punkt, der unter anderem mit der eigentümlichen Neigung von Gilles Deleuze für Zwischenformen und Zwischenwesen zusammenhängt, ist ein großes Misstrauen gegenüber der Stabilisierung der Welt durch Klassifikationen, durch Zuordnungen, durch Einteilung in Arten und Gattungen. Deleuzes Philosophie weist immer darauf hin, inwieweit hinter bestimmten Einteilungsformen, Klassifikationssystemen, Systemen überhaupt, eigentlich eine instabile, noch nicht klar definierte, eine womöglich auch noch ungeborene Welt existiert, die wir mit Hilfskonstruktionen bestenfalls anästhesieren."

Joseph Vogl, Übersetzer von Gilles Deleuze

Wohnhaus von Gilles Deleuze in Paris

Manche sprechen in diesem Sinne gar von einem Flamingo-Werden, andere, wegen Deleuzes zeitweise doch erheblichen Zigarettenkonsums, von einem Fledermauswerden des Philosophen kurz vor seinem Tod, wobei er die Atemfunktion seiner Lungenflügel nachgerade gegen eine Flug- oder Flatterfunktion eingetauscht haben soll. Jedenfalls wurde er in den Wochen und Monaten vor seinem jähen Ende als in den Asphalt gefalteter Luftikus, nur noch mit einem portablen Sauerstoffgerät gesichtet. All das, und viel mehr noch, versucht das Denkmal des stürzenden Gilles Deleuze ins Werk zu setzen. Es befindet sich im Hinterhof der letzten Wohnstatt des Philosophen.


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