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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Kein Anschluss unter dieser Nummer! Telekom beendet Auskunft

Muss ziemlich spannend gewesen sein, die Telefonauskunft, denn kaum einer ging in der Pause zwischen Vorwahl und Rufnummer und die meisten wollten wissen, wie es ausgeht. Anders als im zeitgenössischen Drama fragte fast jeder Anrufer nach der Aufführung, ob er alles richtig verstanden hatte und dachte sogar über das Ganze nach, vor allem, wenn gerade kein Stift zur Hand war, die Ziffern durcheinandergerieten oder bei anderen neumodischen Regieeinfällen. Eine Glosse von Peter Jungblut.

Von: Peter Jungblut

Stand: 08.05.2024

Lebt denn die alte Telefon-Auskunft noch? Ja, sie lebt noch, sie lebt noch, aber nur noch bis zum 1. Dezember, wie die Telekom jetzt mitteilte. Der Dienst rechnet sich nicht mehr, was speziell auf das Kulturleben der vorpommerschen Stadt Pasewalk äußerst fatale Auswirkungen haben dürfte, denn im dortigen Callcenter wurden bisher ohne Zweifel mehr Fragen beantwortet als im örtlichen Theater, sogar dringliche. Und das alles für 1,99 Euro pro Minute, was auch irgendwie ein Schauspiel war, sogar mit Publikumsbeteiligung.

Muss ziemlich spannend gewesen sein, denn kaum einer ging in der Pause zwischen Vorwahl und Rufnummer und die meisten wollten wissen, wie es ausgeht. Anders als im zeitgenössischen Drama fragte fast jeder Anrufer nach der Aufführung, ob er alles richtig verstanden hatte und dachte sogar über das Ganze nach, vor allem, wenn gerade kein Stift zur Hand war, die Ziffern durcheinandergerieten oder bei anderen neumodischen Regieeinfällen.

Heutzutage werden ja sogar klassische Nachnamen wie Müller, Meier und Schmidt mit und ohne Bindestrich inszeniert und kaum einer weiß noch, ob sie wirklich so zur Aufführung kommen, wie sie der Verfasser des Telefonbuchs seinerzeit gemeint hat. Der wollte seine Leser bestimmt nicht belehren, sondern gut unterhalten, sonst hätte seinen Text nicht mit Schlüsseldiensten begonnen, die nur aus dem Buchstaben A bestehen, davon allerdings eine ganze Menge.

Wie auch immer: Als Bildungsanstalt ist die Auskunft offenbar mausetot, als Museum nicht kostendeckend, nur als Spektakel könnte sie eine Zukunft haben. Vielleicht sollte die Telekom in Pasewalk ersatzweise eine Open-Air-Nummer einrichten, bei der die Ziffern von echten Elefanten getrötet oder von Starsopranistin Anna Netrebko intoniert werden, Hauptsache, alle sind glücklich.

Die „Suche nach der verlorenen Zeit“

Bei der berühmten spanischen Weihnachtslotterie funktioniert das schon lange: Da werden die Gewinnzahlen von einem Kinderchor gesungen, was in Pasewalk allerdings nicht ganz so viel Effekt machen dürfte wie in Madrid, außer, sie besorgen sich ausreichend Kastagnetten. Schade, dass junge Leute heute kaum noch telefonieren, da entgeht ihnen eine Kulturtechnik, die viel zur Veredelung des Menschengeschlechts beigetragen hat.

Manch einer reifte erst in der Warteschleife zum Mann, andere machten derweil ihr Abitur nach oder vertieften sich in die „Suche nach der verlorenen Zeit“, diesen berühmten Roman von Marcel Proust. Keiner legte dümmer auf als vorher, höchstens älter, nicht wenige gingen mit dem Hörer in der Hand in Rente. Damals halfen Auskünfte noch gegen Einsamkeit, vor allem nach Mitternacht. Es soll Leute gegeben haben, die mit der erfragten Nummer einschliefen und aufwachten, die Zahlen auf den Handrücken oder einen Bierdeckel kritzelten, die von der Durchwahl träumten und sich nach einem Gespräch außerhalb der Geschäftszeiten sehnten.

Eine seelische Erschütterung, die inzwischen selten geworden ist, denn WhatsApp und Instagram funktionieren nur als Kommunikationsmittel, nicht als Ausrede. Wer keinen Anschluss unter dieser Nummer fand, wusste stets, dass die andere in Pasewalk auf ihn wartete. Manchmal ein ganzes Leben!


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