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Zwölf Stämme Chronologie einer Eskalation

Eine Einigung scheint kaum möglich: Seit Jahren liegen deutsche Behörden und die christlich-fundamentalistische Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" in einem erbitterten Streit um Schulpflicht und zulässige Erziehungsmethoden.

Von: Maximilian Burkhart, Matthias Lauer und Judith Zacher

Stand: 20.01.2015

  • Januar 1972
    Mauer mit Christlichem Fisch-Symbol | Bild: colourbox.com, BR; Montage: BR

    1972

    Die Gründung

    Anfang der 1970er-Jahre gründet Gene Spriggs in Chattanooga im US-Staat Tennessee die fundamentalistische Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme", die sich selbst in der Tradition der "Urkirche" sieht. Europäische Ableger folgen in den 1980er-Jahren in Frankreich und Anfang der 1990er-Jahre in der Nähe von Bremen und in Baden-Württemberg. Schon hier kommt es zu Konflikten mit deutschen Behörden wegen unterschiedlicher Auffassungen über Lehrinhalte und Schulpflicht.

  • Januar 2001
    Blick auf ein Straßenschild, das den Weg nach Klosterzimmern bei Deiningen (Bayern) zeigt | Bild: picture-alliance/dpa

    2001

    Gut Klosterzimmern

    2001 erwirbt die Bremer Gemeinschaft der „Zwölf Stämme“ das Gut Klosterzimmern und lässt sich im Ries nieder. Erste Berichte über die sektenähnliche Struktur der „Zwölf Stämme“ gehen durch die Presse, die „Zwölf Stämme“ gehen in die Offensive und stellen sich der Kritik auf einem Vorstellungsabend in einem benachbarten Dorf. Die Gemeinschaft finanziert sich vor allem durch den Verkauf selbst angebauter ökologischer Lebensmittel, durch ein Café und eine Schreinerei.

  • Oktober 2001
    Schild Gemeinschaft Klosterzimmern | Bild: picture-alliance/dpa

    Oktober 2001

    Der Schulstreit beginnt

    In Baden-Württemberg war der Glaubensgemeinschaft eine Heimschulung erlaubt worden, das bayerische Bildungsministerium verweigert 2001 die Erlaubnis. Es kommt zu Auseinandersetzungen mit bayerischen Behörden, weil Eltern der „Zwölf Stämme“ ihre Kinder aus Glaubensgründen nicht in die Schule schicken. Buß- und Zwangsgelder werden verhängt, aber zunächst nicht bezahlt. Im Oktober 2002 erzwingen Polizisten in zivil den Schulbesuch – ohne nachhaltigen Erfolg.

  • August 2004
    Mitglieder der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" geben am Freitag (15.10.2004) in Pfäfflingen bei Nördlingen eine Pressekonferenz. | Bild: picture-alliance/dpa

    August 2004

    Beugehaft

    Im Laufe des Jahres 2003 eskaliert der Schulstreit, die Kinder werden nach wie vor nicht in staatlichen oder staatlich anerkannten Schulen unterrichtet. Bußgelder akzeptiert und bezahlt die Glaubensgemeinschaft nicht, deswegen wird im August 2004 vom Nördlinger Amtsgericht die Beugehaft gegen 18 Eltern der "Zwölf Stämme" angeordnet. Am 7. Oktober werden schließlich sieben Väter in Erzwingungshaft genommen.

  • Februar 2006
    Schild "Die kleine Herde der Zwölf Stämme"   | Bild: BR Studio-Franken / Frank Strerath

    Februar 2006

    Private Ergänzungsschule

    Am 11. November 2005 werden die Bußgelder ausgesetzt, um Gespräche zu ermöglichen. Im Februar 2006 dann, nach einem Jahr Verhandlungen mit dem bayerischen Bildungsministerium, bekommen die "Zwölf Stämme" die Genehmigung für eine eigene private Ergänzungsschule, die vom Schulamt überwacht und regelmäßig kontrolliert wird. Unterrichtet werden die Kinder von zwei Lehrern der "Zwölf Stämme".

  • Mai 2012
    Mitglieder der Glaubensgemeinschaft verabschieden am 18.10.2004 mit Tränen einen Familienvater | Bild: picture-alliance/dpa

    Mai 2012

    "Prügelorgien"

    Nach Medienberichten über Prügelvorwürfe bei den "Zwölf Stämmen" nimmt die Staatsanwaltschaft Augsburg Ermittlungen wegen Verdachts auf Misshandlung Schutzbefohlener und gefährlicher Körperverletzungen auf. So sollen die Kinder angeblich systematisch mit Weidenruten gezüchtigt werden. Mehrere Aussteiger berichten laut "Augsburger Allgemeine" von wahren "Prügelorgien" durch Eltern, Lehrer und andere Erwachsene, von systematischer "Gehirnwäsche" bei Kindern und Jugendlichen und sektiererischen Erziehungsidealen.

  • Juni 2013
    Ein Kind der "Zwölf Stämme" wird am 15.10.2004 in Klosterzimmern privat unterrichtet | Bild: picture-alliance/dpa

    Juni 2013

    Schulschließung

    Am 5. Februar 2013 räumen Mitglieder der „Zwölf Stämme“ in einem Gespräch im Kultusministerium erstmals ein, Kinder mit der Rute zu züchtigen. Daraufhin entscheidet im Juni 2013 das Kultusministerium, den Betrieb der Schule zum 1. August 2013 zu untersagen. Das Verwaltungsgericht Augsburg bestätigt das Verbot im Januar 2014. Am 14. August 2013 stellt die Staatsanwaltschaft Augsburg die Ermittlungen wegen fehlender konkreter Hinweise ein.

  • September 2013

    5. September 2013

    Sorgerechtsentzug

    Am 5. September wird den Eltern von 40 Kindern in Wörnitz und in Klosterzimmern wegen Verdachts auf Kindesmisshandlung vorläufig teilweise das Sorgerecht entzogen. Nach einer Razzia kommen Kinder ins Heim oder zu Pflegeeltern, noch stillende Mütter werden in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Dürrlauingen untergebracht. Auslöser für den Einsatz sind Aufnahmen von RTL. Die Staatsanwaltschaften Augsburg und Ansbach ermitteln wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung, an den Amtsgerichten Ansbach und Nördlingen beginnen die familienrechtlichen Verfahren.

  • September 2013

    12. September 2013

    Reguläre Einschulung

    Am 12. September ist der erste reguläre Schultag für die Kinder der „Zwölf Stämme“; seit dem Schuljahr 2013/14 besuchen sie Regelschulen. Nach Anhörungen an den Amtsgerichten ab 13. September dürfen, durch Entscheidungen des Amtsgerichts oder Oberlandesgerichts, sechs Kinder zu ihren Eltern zurück. Das Gericht begründet dies damit, dass die Kinder nicht mehr oder noch nicht in dem Alter seien, in dem sie geschlagen würden. Gezüchtigt würden Kinder angeblich nur bis in die Pubertät.

  • November 2013

    November 2013

    Flucht aus dem Heim

    Zwei Mädchen laufen von ihren Pflegeltern weg, werden später in der Schweiz aufgefunden und im November zurückgebracht. Am 27. November läuft ein weiteres Mädchen weg, kommt aber einen Tag später zurück zu den Pflegeeltern. Die leiblichen Eltern zeigen sich kooperationsbereit. Am 3. Dezember läuft ein 13 Jahre alter Bub aus dem Heim weg. Der Vater fährt mit ihm zum Oberlandesgericht und darf überraschenderweise mit dem Richter sprechen. Der Bub kommt vorläufig zurück ins Heim, bis ihn das Oberlandesgericht am 23. Januar 2014 zu den Eltern zurück schickt.

  • Dezember 2013

    Dezember 2013

    Öffentliches Geständnis

    In einer Gesprächsrunde am 5. Dezember in Deiningen geben Eltern der "Zwölf Stämme" öffentlich zu, ihre Kinder zu schlagen. Sie zeigen dafür verwendete Stöcke und wollen ihre Beweggründe vermitteln. Am 9. Dezember werden die im Mutter-Kind Heim in Dürrlauingen untergebrachten Kinder in Heime und zu Pflegeeltern gebracht. Die Mütter haben – entgegen einer Weisung – ihre Kinder nicht abgestillt. Im Januar 2014 stellt die Staatsanwaltschaft Ansbach ihre Ermittlungen wegen fehlender konkreter Hinweise auf Misshandlung Schutzbefohlener ein. Die familiengerichtlichen Verfahren laufen weiter.

  • März 2014

    März 2014

    Das Interview

    Am 11. Februar und im März reißen zwei Kinder aus dem Heim aus. Dem Bayerischen Rundfunk gelingt es, eines der Mädchen exklusiv zu interviewen. Die Eltern weigern sich, Kinder herauszugeben und weigern sich später auch, an einem Gutachten mitzuwirken. Am 12. März reichen die "Zwölf Stämme" Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Landratsamtsmitarbeiter ein und zeigen sie bei Staatsanwaltschaft Augsburg an.

  • Juli 2014

    Juli 2014

    Vergebliche Suche

    Am 1. Juli 2014 führen die Polizei und das Jugendamt eine erneute Razzia durch auf dem Gelände der "Zwölf Stämme". Die Beamten suchen noch immer nach den beiden aus dem Heim ausgerissenen minderjährigen Mädchen - doch vergeblich. Die Kinder bleiben auch nach zweieinhalb Stunden Suche verschwunden. Auf ein härteres Vorgehen verzichtet die Polizei. Vermutlich befinden sich die Mädchen bis heute auf dem Gelände, auf dem es viele Möglichkeiten gibt, sich zu verstecken.

  • August 2014

    August 2014

    Neue Vorwürfe

    Anfang August 2014 tauchen neue Vorwürfe gegen die "Zwölf Stämme" auf. In einem erneuten Fernsehbericht von RTL ist von Steuerhinterziehung und Kinderarbeit bei der Solarfirma "Baufach" die Rede, welche zu den "Zwölf Stämmen" gehört. Die Glaubensgemeinschaft weist die Vorwürfe als "Lügengeschichten" zurück, die Aufnahmen seien manipuliert. Gleichzeitig erstatten die "Zwölf Stämme" Strafanzeige gegen den Fernsehreporter. Unterdessen laufen die Hauptsacheverfahren an den Amtsgerichten Nördlingen und Ansbach weiter, Gutachten zu den Kindern sollen erstellt werden.

  • Oktober 2014
    Kinder der "Zwölf Stämme" beim Unterricht (2002 in Klosterzimmern) | Bild: picture-alliance/dpa

    Oktober 2014

    Hauptsacheverfahren

    Am 7. Oktober beginnen in Nördlingen im Sorgerechtsstreit um die minderjährigen Kinder die Hauptsacheverfahren. Zwei Elternpaare, die je zwei Kinder haben, sollen in Anwesenheit eines Gutachters angehört werden und auf Fragen antworten. Der Gutachter soll sich ein Bild darüber machen, ob die Eltern erziehungsfähig sind. Die Zwölf Stämme sehen die Begutachtung sehr kritisch. Im Lauf des Oktober sollen insgesamt zehn Familien angehört werden.

  • Dezember 2014
    Polizeieinsatz am 5. September 2013 bei der Gemeinschaft "Zwölf Stämme" in Klosterzimmern bei Nördlingen | Bild: Bayerischer Rundfunk

    Dezember 2014

    Durchsuchungsaktion

    Erfolglos geht die Suche nach Kindern der Zwölf Stämme auf Gut Klosterzimmern aus. Die Polizei Nördlingen durchsucht das Areal und Gemeinschaftsräume. Privaträume betreten sie nicht. Auf Basis eines gerichtlichen Beschlusses des Amtsgerichts Nördlingen, der durch einen Beschluss des Oberlandesgerichts bestätigt wurde, habe man auf dem Gelände nach zwei Kindern, einem Mädchen und einem Buben, gesucht, die im Frühjahr aus den Heim weggelaufen waren und seitdem nicht dorthin zurückgekehrt waren.

  • Januar 2015
    Klosterzimmern im Herbst 2014 | Bild: BR - Judith Zacher

    Januar 2015

    Gutachten ohne Eltern-Einwilligung

    Das Nördlinger Amtsgericht beschäftigt sich mit der Frage, ob die für ein abschließendes Urteil im Sorgerechtsstreit um die minderjährigen Kinder der Zwölf Stämme benötigten Gutachten auch ohne eine Einwilligung der Eltern eingeholt werden können. Das Gericht entscheidet in zwei Fällen, dass dies der Fall ist. Weitere Entscheidungen werden erwartet.

  • Januar 2015
    Justizia | Bild: picture-alliance/dpa

    Januar 2015

    Strafverfahren beginnt

    Am Nördlinger Amtsgericht beginnen die öffentlichen Hauptverhandlungen im Strafverfahren gegen Angehörige der Zwölf Stämme wegen der Misshandlung Schutzbefohlener. Zwei Mütter stehen vor Gericht, die ihre Kinder geschlagen haben sollen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg führt hierzu die Fernsehbilder eines Undercover-Reporters als Beweismittel an. Nach Meinung der Zwölf Stämme sind die Aufnahmen als Beweismittel nicht zulässig, da sie heimlich gemacht wurden.

  • September 2015

    September 2015

    Flohmarkt in Klosterzimmern

    Bei einem Flohmarkt auf Gut Klosterzimmern gibt es erste Anzeichen, dass die Zwölf Stämme Deutschland verlassen wollen.

  • November 2015
    Justizia | Bild: picture-alliance/dpa

    November 2015

    Lehrer verurteilt

    Das Amtsgericht Nördlingen verurteilt einen 54-jährigen Lehrer der 12 Stämme zu sechs Monaten Haft auf Bewährung. Der 54-Jährige soll 14 Jahre alten Schüler mit einer mehr als einen Meter langen Rute ein halbes Dutzend Mal auf den Hintern geschlagen haben. Das Urteil ist nicht rechtskräftig - die Berufung geht im April 2016 weiter.

  • Januar 2016

    Januar 2016

    Haftstrafe ohne Bewährung

    Erstmals wird in den Strafverfahren gegen ein Mitglied der 12 Stämme eine Haftstrafe ohne Bewährung verhängt. Das Amtsgericht Nördlingen hat eine 56-Jährige zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sie soll laut Anklage sechs Kinder geprügelt haben. Der Anwalt legt Berufung ein, die Verhandlung soll im April 2016 fortgesetzt werden.

  • März 2016

    März 2016

    Familienverfahren

    Alle Hauptsacheverfahren im Streit um das Sorgerecht für die Kinder vor dem Amtsgericht Nördlingen sind abgeschlossen. Fest steht: Neun Kinder bleiben zunächst in Obhut der Pflegefamilien - 14 sind fest zurück bei den Zwölf Stämmen. In mindestens einem Fall entscheidet noch das Oberlandesgericht über das Sorgerecht.


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Agrippino, Samstag, 06.September 2014, 22:12 Uhr

1. Chronologie

Gut gemacht! Es ist doch noch möglich, Berichte ohne ständige Denunzierungen und Abwertungen zu schreiben. Dazu mein Lob. Weiter so!