NSU-Prozess


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286. Verhandlungstag, 2.6.2016 Soll der V-Mann in der Hauptverhandlung vernommen werden?

Die Ankündigung von Prozessbeteiligten, sie würden eine 40-seitige Erklärung verlesen, löst für gewöhnlich beim Gerichtsreporter nicht gerade helle Freude aus. Aber heute war das anders.

Von: Eckhart Querner

Stand: 02.06.2016 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: Julia Meuller

02 Juni

Donnerstag, 02. Juni 2016

Heute ging es um einen Kernkonflikt des NSU-Prozesses, der seit drei Jahren und 286 Verhandlungstagen am Münchner Oberlandesgericht seinen nicht enden wollenden Lauf nimmt. Ganz allgemein könnte man das Kernthema so formulieren: Welche Aspekte von Tat und Schuld gehören in den Prozess, und welche nicht?

Deckname Primus

Bereits in der Vergangenheit hatte der 6. Strafsenat unter dem Vorsitz von Richter Manfred Götzl deutlich gemacht, dass er nicht bereit ist, die Frage aufzuklären, ob der Verfassungsschutz die Taten des NSU hätte verhindern können. Zuletzt lehnte das Gericht einen Beweisantrag der Nebenklage ab, den Zeugen Ralf M. zu laden. M. war V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz - Deckname Primus. Wie Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt lebte er in Zwickau, betrieb dort rechte Szeneläden, kannte das Trio und dessen Freunde. Zeugen berichten, Mundlos und Zschäpe hätten für "Primus" gearbeitet. Möglicherweise leistete dieser sogar Beihilfe: Er könnte ein  Fahrzeug angemietet haben, das bei NSU-Morden in Nürnberg und München benutzt wurde.

Mehrere Nebenklage-Anwälte widersprechen der Haltung des Gerichts nun in einer so genannten Gegenvorstellung. Darin geht es um die Rolle des V-Manns M. Anders als der Senat halten es die Opferanwälte für relevant, wichtig und notwendig, den V-Mann in der Münchner Hauptverhandlung zu vernehmen. Schließlich habe möglicherweise auch das Bundesamt für Verfassungsschutz von den rechten Aktivitäten M.s gewusst.

Überdenkt das Gericht seine Haltung?

Mit der Gegenvorstellung hoffen die Anwälte, dass das Gericht seine ablehnende Haltung zur Ladung M.s noch einmal überdenkt. Der Vorsitzende Richter Götzl und seine Kollegen sind jetzt gezwungen, erneut Stellung zu nehmen. Dass demnächst die Mitverantwortung staatlicher Behörden für das unbehelligte Leben des NSU-Trios im Untergrund untersucht wird, wäre höchst spannend. Es ist aber nicht zu erwarten, dass das Gericht seine Haltung ändert.


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