NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 23. Verhandlungstag, 16.07.2013

Am 23. Verhandlungstag wird Kriminaloberkommissar Thomas S. vom Bundeskriminalamt (BKA) durch Richter Manfred Götzl intensiv zu seinen Vernehmungen des Angeklagten Holger G. befragt. Die Vernehmung von Holger G. hatte zwischen Ende 2011 und Anfang 2012 stattgefunden.

Von: Holger Schmidt, Sebastian Hesse-Kastein

Stand: 16.07.2013 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Die Vernehmung von Holger G. hatte zwischen Ende 2011 und Anfang 2012 stattgefunden.

Zeuge

  • Thomas S. (Kriminalbeamter, BKA, Befragung Holger G.)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Holger Schmidt, SWR)
10.00 Uhr.
Kein Nebenkläger persönlich anwesend.
Zeuge Thomas S., 49, Kriminalbeamter, BKA.
Richter Manfred Götzl: Sie sind von Beruf Polizeibeamter?
S: Kriminalbeamter! Herr G. schon mehrfach vernommen, erste Asservatenauswertung war erfolgt. Vernehmung in Justizvollzugsanstalt Ossendorf. Grundsätzlich aussagebereit, im Laufe der Vernehmung aber doch schwieriger, als wir dachten, weil Herr G. mit sich kämpfte und es nicht so einfach war, alle Angaben zu bekommen. Dann hat er doch alle Angaben gemacht - auch wenn er einige hinterher korrigieren musste. Es flossen auch ein paar Tränen, es war nicht ganz so einfach, wie es sich liest.

3.000 DM zur Unterstützung der Drei gespendet. Ausweis, weil er Uwe Böhnhardt ähnlich sah, Haare geschnitten, Schnurrbart wachsen lassen. AOK-Karte, Führerschein, Pass. Mit Beate Zschäpe zum Fotostudio in Rodenberg. Auch eine Waffe im Auftrag des Angeklagten Ralf Wohlleben nach Zwickau transportiert. Nach Waffentransport habe G. zu Wohlleben gesagt: So einen Scheiß mache er nicht noch einmal und man könne sich nicht anmaßen, mit fünf Leuten die Welt zu retten.

Mit Thorsten Heise Kontakt aufnehmen? In ersten Vernehmungen noch gesagt, Heise sei eine Nummer zu groß für ihn. Später zugegeben, dass er doch Kontakt aufgenommen hat. Später statt 3.000 DM gespendet: 13.000 DM erhalten.

Wohlleben und G. seien befreundet gewesen, an der Geschichte mit der Waffe sei die Freundschaft aber zerbrochen.

Pass sei in Hannover erstellt und in Zwickau übergeben worden. Aufenthalt in Zwickau nur eine Stunde. Keine Gegenleistung, aber Erstattung von "Auslagen". Wenn er Geld bekommen hat, ist das immer Frau Zschäpe gewesen.

(Holger Schmidt, SWR)
10.45 Uhr.
Diskussion, ob auch Personalausweis übergeben oder verloren. Personalausweis aber nicht beim Trio gefunden, G. beharrte auf Verlieren. Dabei ist es dann geblieben.

Wohlleben und André K. seien anfangs diejenigen gewesen, die den Kontakt zu den Dreien gehabt hätten.

G. hat 30. Geburtstag im "Braunen Haus" gefeiert. War ein Orientierungspunkt für die zeitliche Einordung. An dem Geburtstag hat er Wohlleben zum letzten Mal auf die Drei angesprochen. Es gebe Bilder und es sei innerlich der Abschluss mit der Szene gewesen - unter anderem, "weil mich Sebastian W. mit meiner Freundin betrogen hat".

Geld für Führerschein und Reisepass jeweils vom Trio gekommen. Um zu vermeiden, dass er von seinem Vorhaben ablässt, habe man ihm sofort die Haare geschnitten und sei sofort zum Fotografen und dann zum Passamt gefahren.

Weitere Unterstützer? Wusste nur von Wohlleben und André K. K. bis ca. 1999 Geld gesammelt.
Spruch "Fünf Leute, die Welt retten" sei nur so dahin gesagt gewesen und nicht so gemeint, wie es angekommen ist. Zeuge: "Hat versucht, das zu relativieren."

(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
Holger G. trägt hellblaues Hemd und Nickelbrille: Sieht aus wie ein Student höheren Semesters, verfolgt die Befragung aufmerksam, liest Vernehmungsprotokolle mit, macht sich Notizen. Wohlleben in khakifarbenem Hemd, stiert vor sich hin, wirkt unbeteiligter als G. Zschäpe in grauem, elegantem Kostüm, hat den Kopf meist auf der linken Hand aufgestützt, liest ständig konzentriert in ihrem Laptop.

Pause bis 11.15 Uhr.

(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
2003: Das Trio hatte keine finanziellen Engpässe mehr, sagte Wohlleben; 2001 hatte G. gesagt, er solle nicht nach Verwendungszweck der Waffe fragen (implizit: für Raubüberfälle, daher keine Geldnöte mehr); Schilderung von G. der Rohrbomben: Wohlleben habe ihm "durch die Blume" von anderen NSU-Straftaten erzählt, was für ihn schlüssig gewesen sein; Geldübergabe, Geld unterschlagen: G. hatte von Unstimmigkeiten gehört; "Anmerkungen wirklich gut", habe G. gesagt, nachdem er seine Vernehmungsprotokolle wiederholt noch einmal gelesen hatte; Finanzierung des untergetauchten Trios: Benefizkonzerte und Balladenabende in der rechten Szene; Wohlleben hat diese mitorganisiert; BKA-Mann hatte umfangreiche Befragung durchgeführt, deren Protokolle deshalb von Bedeutung sind, weil G. vor Gericht nur vorbereitete Statements vortrug.

"Bedingungen der Vernehmung von G.": Zschäpe-Vernehmung hat Fragen dazu: Wie sind die Angaben zustande gekommen und warum sind sie korrigiert worden? "Sie schreiben mir nicht vor, wann ich welche Frage stelle", antwortet Götzl "spitzzüngig". "Wir wollen nichts vorschreiben", sagt Zschäpe-Verteidigung; interne Beratung beantragt; Götzl will keine so lange Pause.

Mittagspause bis 13.45 Uhr.

(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
Fortsetzung der Befragung des Zeugen Thomas S.:
Zu den 10.000 DM extra, die G. als eine Art Depot gegeben wurden. Er war davon ausgegangen, dass das Geld nicht legal besorgt worden war; auch Wohlleben habe 10.000 DM bekommen. Ein Thomas St. habe den Sprengstoff für Rohrbomben besorgt, das Trio jedoch nicht bei sich, sondern bei Freunden untergebracht; "Systemchecks" der Personen, deren Personalien benutzt wurden, etwa G.; Herkunft der Pumpgun. AOK-Karte für Zschäpe besorgte G., der sie eine anderen Frau abgeschwatzt hat; Zschäpe habe Finanzen im Griff gehabt. G. hat die 10.000 DM nach und nach ausgegeben. Bei gemeinsamem Urlaub hat das Trio erzählt, der Sprengstoff käme von Thomas St. Rundflug auf Usedom, dann Urlaub bei Flensburg, schließlich Lübeck (Holstentor). "Systemchecks" während der Urlaube, die das Trio bezahlte; "Gerri, Max und Lisa"; Doppelkopf; Campingplätze, je 3 bis 4 Tage. G. stets alleine, keine Angaben zu anderen Besuchern; Thomas St. war im Gefängnis (Weinheim), Mitglied der "Chemnitz 88", Konzert-Organisator. Trio trifft ihn während eines Freigangs, man kannte sich aus Chemnitzer Zeit; Mundlos hielt Kontakt, vor allem während Thomas St. im Gefängnis war. St. und Mundlos waren mal in Schlägerei verwickelt und St., der verhaftet wurde, deckte Mundlos. Erst später Enttäuschung, als St. das Trio nicht bei sich unterbringen wollte.

(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
Thema Waffen: Angeblich G. und Wohlleben gegen Bewaffnung, das Trio dafür.
Zschäpe erzählte G., sie habe endlich eine Freundin, die zwei Kinder hat, mit der sie über Frauensachen reden konnte.

Pause bis 14.45 Uhr.

(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
G.: Zschäpe gleichberechtigtes Mitglied, alle Entscheidungen in ihrem Beisein, ordnet sich nicht unter. Gewaltbereitschaft: Hat Punkerin eine reingehauen, weil die blöd geguckt hatte. Durchsetzungsfähig.
"
88er"-Logo der Chemnitzer auf Bomberjacken hat G. beeindruckt. Chemnitzer mehr Skinheads als politisch aktiv. Politisch Aktive kleben "Spuckis", Skinheads saufen. 2002, 2003, 2004 Urlaube mit dem Trio;
Böhnhardt: "Lieber erschieße ich mich, als das ich mich der Polizei ergebe." - Satz, an den sich G. später nicht mehr erinnert hat. "Nationaler Widerstand Jena" damaliger Name. Immer wieder: Die Drei waren für Gewalt, die anderen nicht. Gewalt "gegen den Staat", nicht explizit gegen Ausländer.
Zschäpe ist "durchsetzungsfähig und gewaltbereit". Zur NSU-Gründung konnte G. nichts sagen. Zschäpe gleichberechtigtes Mitglied, hatte genauso viel zu sagen wie die anderen. Nicht der Typ, der sich unterordnet. Zschäpe immer freundlich und großzügig. Wäre, als hätte sie zwei Ehemänner; offiziell nicht mehr liiert, nur am Anfang zusammen mit Böhnhardt, weswegen Mundlos zwischenzeitlich ausgezogen war, aber wegen Abtauchsituation wieder zurückkam.
"AC/DC"-Fotos.

(Holger Schmidt, SWR)
Morgen geht es mit dem Zeugen um 13.00 Uhr weiter. Zunächst kommt morgen der Brandermittler. Zweiter Zeuge für diese Woche geladen.

(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
Treffen mit den Eltern. "Pogromly" von Mundlos an der TU Ilmenau entwickelt. Ist G. "heute unangenehm, dass wir das damals lustig fanden". Wurde David Irving von André K. verkauft, für richtig teures Geld; das jedoch K. kassierte; Trio war deshalb "tierisch sauer".

Morgen 13.00 Uhr Fortsetzung mit Befragung des Zeugen Thomas S.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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