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EU-Beitritt Österreich will Verhandlungen mit der Türkei abbrechen

Die Regierung in Wien fordert eine härtere Haltung gegenüber der Türkei und stellt sich damit gegen die weiter abwartende und vorsichtig kooperative Linie in Berlin und Brüssel. Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern fordert, beim nächsten EU-Gipfel den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu diskutieren.

Von: Ralf Borchard

Stand: 04.08.2016

EU Fahne und die türkische Flagge vor der Nur-u Osmaniye Moschee in Istanbul | Bild: picture-alliance/dpa Tolga Bozoglu

"Die Beitrittsverhandlungen, wie sie jetzt laufen, sind eigentlich nur noch eine diplomatische Fiktion", sagt Österreichs Bundeskanzler Christian Kern. Die demokratischen Standards in der Türkei würden bei weitem nicht ausreichen. Mindestens so gravierend sei auch die wirtschaftliche Frage, "weil die Volkswirtschaft der Türkei ist so weit weg von einem europäischen Durchschnitt, da gibt es solche wirtschaftlichen Disparitäten, dass wir einen Beitritt schon aus einfachen ökonomischen Gründen wahrscheinlich kaum rechtfertigen könnten."

Kern: "Reset-Knopf drücken"

Reaktion aus der Türkei

Die türkische Regierung hat Kerns Forderung scharf zurückgewiesen. "Es ist verstörend, dass seine Kommentare ähnlich wie die der Rechtsaußen klingen", sagte Europaminister Omer Celik in Anspielung auf die Positionen der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich. Kritik sei sicherlich ein demokratisches Recht. Aber es gebe einen Unterschied zwischen einer Kritik an der Türkei und einer Positionierung gegen die Türkei.

Die EU müsse ihre Türkei-Politik ganz grundsätzlich überdenken, so Kern im österreichischen Fernsehen ORF. "Ich denke, dass wir da alle miteinander gut beraten sind, zu sagen, wir drücken da jetzt einmal den Reset-Knopf und überlegen in welche Richtung das gehen kann." Kern betont, ein Beitritt der Türkei sei für Jahre, wenn nicht für Jahrzehnte ein Ding der Unmöglichkeit.

"Nachdem die Türkei eine realistische Perspektive der Heranführung der Wirtschaft braucht, auch aus Stabilitätsgründen, da haben auch wir Interesse, muss man sich einen neuen Weg überlegen."

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern

Den Zorn Ankaras fürchtet Kern nicht. Das Flüchtlings-Abkommen mit der Türkei sei nicht an die EU-Beitrittsverhandlungen gekoppelt. Und am Ende sitze eher die Europäische Union am längeren Hebel.

"Wir sind gegenüber der Türkei kein Bittsteller. Wir sind einer der größten Investoren. Der türkische Tourismus hängt an uns. Und was man nicht vergessen darf: Der Westen finanziert auch das Leistungsbilanzdefizit der Türkei, die Staatsverschuldung ist in hohem Maße in US-Dollar passiert. Und ich glaube, vor dem Hintergrund gibt es hier durchaus eine Situation, wo hier beide Seiten etwas zu gewinnen, aber auch zu verlieren haben. Und das ist normalerweise die Grundlage für vernünftige Verhandlungen."

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern

Fragwürdiger Flüchtlings-Deal mit der Türkei

Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil

Zuvor hatte schon der österreichische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil den Flüchtlings-Deal mit der Türkei in Frage gestellt. "Ich war immer sehr skeptisch, was diese Vereinbarung und diesen Deal mit der Türkei betrifft", sagt Doskozil. "Und ich habe immer gesagt, das ist ein Zeitfenster für Europa. Es bedarf einer entsprechenden effektiven Außenschutzgrenzsicherung."

So hat Österreich Ungarn Unterstützung bei der Sicherung des Grenzzauns zu Serbien zugesagt. 20 österreichische Polizisten sind bereits an der ungarisch-serbischen Grenze. Auch über die Entsendung österreichischer Soldaten nach Ungarn wird verhandelt. Die EU-Staaten müssten endlich selbst mehr für die Sicherung ihrer Außengrenzen tun und abgelehnte Asylbewerber konsequenter abschieben, so Doskozil.

"Das ist die dringendste Aufgabe der Europäischen Union, hier Rückführungsabkommen und Rückführungen durchzuführen."

Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil

Innenpolitische Dimension

Die Aussagen Kerns und Doskozils - beide Sozialdemokraten - haben auch eine innenpolitische Komponente: Die SPÖ will nicht hinter dem Koalitionspartner ÖVP zurückstehen. Auch ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz hatte mehrfach eine härtere Türkei-Politik gefordert. Und beide Koalitionsparteien fühlen sich von der rechtspopulistischen FPÖ unter Druck gesetzt. Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hofft, Anfang Oktober die Wiederholung der Präsidenten-Stichwahl in Österreich zu gewinnen.

Doskozil betonte, die EU-Staaten müssten endlich selbst mehr für den Schutz ihrer Außengrenzen tun.


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Kommentieren

wm, Donnerstag, 04.August 2016, 21:36 Uhr

13. Junker hält die Türkei....

...noch nicht EU-reif.

Die Türkei wird NIE EU-reif,Herr Junker.
Austria will die Beitrittsverhandlungen abbrechen!
Und Mutti,malt sie sich mit Tränen in den Augen ein Lächeln ins Gesicht??

sympathie träger, Donnerstag, 04.August 2016, 19:50 Uhr

12.

in österreich dürfen anscheinend politiker noch denken und das auch noch öffentlich aüssern , was sie denken ? respekt österreich , da könnten die marionetten in berlin und brüssel noch was lernen !

Klaus Fessmann, Donnerstag, 04.August 2016, 19:21 Uhr

11. Erdogan

Endlich nimmt Österreich dies in die Hand und spricht das aus, was alle denken. Abbruch ist das Einzige was hier wirklich hilft. Deutschland wird natürlich nicht abbrechen, sind wir doch die Rüstungsnation Nr. 1 mit zig % illegalem Waffentransport, so dass der Wirtschaftsminister schwarze Zahlen schreiben kann. Es ist einfach nur widerlich, dies lesen zu müssen. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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Peter Fischer, Donnerstag, 04.August 2016, 17:21 Uhr

10. Österreich-Türkei

Ich muss zugeben, ich habe eine sehr geringe Zuneigung zu Üstereich, hat sich halt aus vielen Vorkommnissen so ergeben. Seit einiger Zeit steigert sich meine Sympathie für Österreich und deren Politik gewaltig, es scheinen die Einzigen zu sein, die sich trauen, dem zukünftigen Sultan zu widerstehen!

Gretchen, Donnerstag, 04.August 2016, 17:11 Uhr

9. Visa-Ultimatum

Die einzige Antwort auf das türkische Ultimatum zur Visafreiheit hätte lauten müssen:
"Die Bundesregierung freut sich, dass die Türkei die noch offenen Punkte bis Mitte Oktober erfüllt haben wird und erwarten die Vollzugsmeldung."
So hätte man den Ball zurückgespielt und nicht mit Wischi-Waschi-Antworten die eigene Unfähigkeit demonstriert.
Österreich zeigt eine klare Linie; die deutsche Aussenpolitik versagt nun seit 102 Jahren und ist weder lernfähig noch lernbereit.