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Vertiefung der Verteidigungsunion EU-Parlament will mehr Militärmacht

Die Pläne zur Vertiefung der europäischen Verteidigungsunion werden konkreter: EU-Missionen sollen künftig aus einer Hand geplant und geführt werden. Und das EU-Parlament fordert nun europäische Staaten auf, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.

Von: Kai Küstner

Stand: 22.11.2016

Ein IDS-Tornado des Aufklärungsgeschwaders 51 "Immelmann" auf einer Aufklärungsmission (undatiertes Handout der Luftwaffe) | Bild: picture-alliance/dpa

Wenn die USA Europa nicht mehr schützen wollen, dann muss es das eben selbst tun. Dieser trotzige Satz war nach der Trump-Wahl öfter denn je zu hören und zu lesen gewesen. Dahinter steckt die Furcht, dass der künftige US-Präsident am internationalen Sicherheitsgerüst mindestens rütteln, es vielleicht sogar zum Einsturz bringen könnte. Doch dass das so einfach nicht ist mit dem "Selbstschutz" der EU, die noch nicht einmal über eine eigene Armee verfügt, ist dabei auch klar:

"Wir sollten nicht uns einbilden, dass wir die Vereinigten Staaten als Weltpolizist ablösen können."

Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament

Harms ist jedoch - wie auch der Sicherheitsexperte der CDU/CSU, Michael Gahler - der Meinung, dass Europa durchaus eine Vertiefung der Verteidigungsunion braucht. Nicht nur wegen Trump übrigens:

"Wenn wir uns anschauen, dass wir ein aggressives Russland haben, eine zunehmend unberechenbare Türkei, und gleichzeitig ein US-Präsident ins Amt kommt, der deutliche Hinweise gibt, dass wir als sicherheitspolitische Trittbrettfahrer nicht bis ans Ende aller Tage mit der Unterstützung der USA rechnen können - dann ist das genügend Anlass, dass wir uns Gedanken machen, wie wir das besser organisieren."

Michael Gahler, Sicherheitsexperte der CDU/CSU

Zwei Prozent des BIP für Verteidigung

Erst vor einer Woche hatten die EU-Staaten einen Fahrplan verabschiedet, mit dessen Hilfe die Europäer sich - wenn auch vorsichtig - auf eine echte "Verteidigungsunion" zubewegen wollen: Unter anderem sollen die zahlreichen zivilen und militärischen EU-Missionen mehr aus einer Hand geplant und geführt werden. Doch das EU-Parlament geht weiter: Es fordert in seinem Antrag die europäischen Staaten auf, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung auszugeben.

"Der nächste Schritt ist, dieses Geld effektiver auszugeben. Es sind insgesamt knapp 200 Milliarden Euro pro Jahr. Es gibt Armeen, die haben bis zu 80 Prozent Verwaltungskosten, also Gehälter und Gebäudeinstandhaltung."

Michael Gahler

NATO sieht sich bestätigt

Mit der Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben stimmt das EU-Parlament in ein altes NATO-Mantra mit ein: Die magische Zwei-Prozent-Marke verfehlen nämlich die meisten europäischen Staaten - inklusive Deutschland - um Längen. Auch sieht NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg noch viel Spielraum beim Zusammenwachsen in Europa:

"Die USA unterhalten einen einzigen Typ von Infanterie-Kampffahrzeugen. In Europa gibt es 19. Die USA haben vier verschiedene Fregatten, in Europa sind es 29. Überlegen Sie mal, was das für unsere Fähigkeit bedeutet, zusammenzuarbeiten und -zukämpfen."

Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär

Keine "Supermacht"-Ambitionen

Zwei Dinge werde sie nicht tun, wird die EU nicht müde zu betonen: Sie werde nicht eine EU-Armee gründen. Und sie werde auch nicht die klassische NATO-Aufgabe übernehmen, ihre Mitgliedsstaaten gegen Angriffe zu schützen. Völlig undenkbar wäre also zu diesem Zeitpunkt, dass es eines Tages EU-Soldaten sind, die etwa den baltischen Staaten zusichern, ihnen gegen eine mögliche russische Bedrohung beizuspringen. Eine militärische "Supermacht" kann und will Europa auf absehbare Zeit nicht sein:

"Wir müssen uns aber verstärkt damit beschäftigen, dass gerade Konflikte in unserer unmittelbaren Nachbarschaft oder andauernde Instabilität im Nahen und Mittleren Osten oder auch in afrikanischen Ländern, für unsere eigene Sicherheit relevant sind."

Rebecca Harms

Zu den Paradoxien der Geschichte gehört: Im selben Moment, in dem die EU beginnt, sich mehr als je zu vor als globaler Machtfaktor zu begreifen, droht ihr die Aushöhlung von innen durch Populisten.


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