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Brexit - und dann? Verborgene Planspiele für die Zeit danach

Darüber sprechen will keiner - schließlich will Europa den Brexit nicht herbeireden. Doch klar ist: Längst wird in Brüssel, Berlin und anderswo darüber nachgedacht, wie es mit einer EU ohne Großbritannien weitergehen könnte.

Von: Sabine Hackländer

Stand: 20.06.2016

Illustration Schweigen | Bild: picture-alliance/dpa

Einfach mal die Klappe halten und das auch noch anhaltend, ist für einen Politiker schon eine gewisse Herausforderung. Dennoch wird eben dies bereits seit Wochen im Europaparlament praktiziert, und zwar immer dann, wenn es um die Frage geht, was Brüssel nach einem möglichen "No" der Briten zu tun gedenkt.

Damit wolle man Schützenhilfe leisten, für all jene, die derzeit auf der Insel verzweifelt für ein Remain, also für den Verbleib der Briten in der EU kämpfen würden, erklärt der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. Jedes falsche Wort könne schließlich fatal sein.

"Manche sagen tatsächlich, wir hätten so eine Art Omertà, ein Schweigegelübde, so ähnlich wie die Mafia das hat für ihre Angehörigen. Klar ist: wir wollen keine Statements abgeben, die hinterher das Gegenteil von dem erreichen, was wir eigentlich wollen. Das ändert aber nichts daran, dass wir uns natürlich Gedanken machen müssen, darüber wie es mit Europa weitergeht, ganz egal wie England sich am Ende entscheidet."

Alexander Graf Lambsdorff

In is in, out is out

Wie intensiv diese Gedankenspiele sind, merkt man immer dann, wenn das Gesetz des Schweigens doch einmal gebrochen wird. Wie kürzlich als Bundesfinanzminister Schäuble mit Blick auf die europäische Wirtschaft und den gemeinsamen Binnenmarkt ausführte, dass drin sein auch wirklich drinnen bedeute und raus dann eben das genaue Gegenteil. Ähnliche Töne hört man auch aus Frankreich. Hier wird gar darüber nachgedacht das Leben von rund 200.000 in Frankreich arbeitenden Briten deutlich komplizierter zu gestalten.

Vor allen Dingen müssten wohl die britischen Banken ebenso wie der gesamte Finanzsektor der Insel um den Zugang zum EU-Markt bangen. Der Trennungsschmerz sollte schon deutlich spürbar sein, meint auch der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen.

"Was ich ablehnen würde, ist, dass der Austritt auch noch belohnt wird. Also ich glaube schon, dass sie auch einen Preis bezahlen müssen für die Zugehörigkeit zu dem großen Binnenmarkt."

Jo Leinen

Nachdenken hinter verschlossenen Türen

Allen diesen Äußerungen liegt die feste Überzeugung zu Grunde, dass ein Brexit die Briten deutlich schwerer treffen würde als den Rest Europas - da ist man sich in Brüssel völlig sicher. Und dennoch wird hinter verschlossenen Türen auch über mögliche Schäden für die EU und deren Beseitigung nachgedacht.

So wie Ende Mai dieses Jahres, als sich die Außenminister sechs europäischer Staaten - darunter auch Deutschland - zum Gedankenaustausch trafen. Der genaue Inhalt der Gespräche ist unbekannt – die Omertà lässt grüßen. Dennoch muss es wohl um Grundsätzliches gegangen sein. Der FDP-Politiker Lambsdorff ist überzeugt: ganz egal wie Großbritannien abstimme, ab dem 24. Juni, also dem Tag nach dem Referendum, müssten die EU-Verträge wieder auf den Tisch und einer gründlichen Revision unterzogen werden. `

"Und das ist dann eine Gelegenheit zu fragen, sind manche Staaten vielleicht bereit, bei der einen oder anderen Frage schneller voran zu gehen als alle anderen und die könnten so eine Art Avantgarde bilden. Und da sind die Gründerstaaten natürlich diejenigen, die als erste aufgefordert sind Ideen zu entwickeln. Da ist Frankreich dabei, Deutschland, da ist Holland dabei, aber auch Italien."

Alexander Graf Lambsdorff

Also am Ende vielleicht doch wieder ein Europa der zwei oder noch mehr Geschwindigkeiten, mit der Aussicht auf weniger Blockaden dafür aber mehr Zusammenhalt im Kreise ausgewählter Mitgliedsstaaten? Möglich wärs, doch offen diskutiert wird das, wenn überhaupt, wohl frühestens in zwei Wochen.


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