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Forderung der Opferfamilien von Olympia '72 "Wir möchten endlich gerecht entschädigt werden"

Seit Jahrzehnten kämpfen die Opferfamilien des Münchner Olympia-Attentats für Gerechtigkeit. Im BR24-Interview erklärt Sprecherin Ankie Spitzer, warum München ein drittes Mahnmal braucht - und warum die Hinterbliebenen noch immer auf eine gerechte Entschädigung warten.

Von: Jannik Pentz und Eva Limmer

Stand: 05.09.2017 | Archiv

Nach dem Olympia-Attentat | Bild: BR

BR24: Frau Spitzer, im Münchner Olympiapark gibt es bereits zwei Orte, an denen an das Olympia-Attentat von 1972 erinnert wird. Jetzt gibt es einen dritten, für den sie jahrelang gekämpft haben. Warum?

"An dem Haus, wo das damals geschehen ist, ist eine kleine Plakette. Zur Zeit leben dort Studenten, in der Connollystraße 31. Ich bin da mal hingegangen und habe sie gefragt: 'Wisst ihr, was in diesem Haus passiert ist?' Keiner hatte eine Ahnung. Niemand wusste es. Ich habe sie gefragt, ob sie nie auf diese Tafel vor ihrer Tür schauen, und sie haben ‚Nein‘ gesagt. Die haben dort gewohnt, und wussten nicht, was geschehen ist.

Ankie Spitzer (72)

ist die Witwe des israelischen Fechttrainers André Spitzer, der bei den Olympischen Spielen in München 1972 von palästinensischen Terroristen ermordet wurde. Heute repräsentiert sie die Familien der elf Opfer des Olympia-Attentats. Ankie Spitzer hat vier Kinder und lebt in Israel. Sie arbeitet dort als Korrespondentin für das niederländische Fernsehen.

Und das andere Denkmal, auf dem Weg zum Olympiastadion. Da gehen Leute auf dem Weg zum Fußball dran vorbei. Da bleibt niemand stehen und schaut sich das an. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen etwas anderes."

BR24: Was haben sie sich vorgestellt?

Die neue Gedenkstätte im Münchner Oympiapark kurz vor der Eröffnung.

"Es soll kein totes Monument sein. Es muss etwas sein, dass die Geschichten der Opfer erzählt. Die hatten ein Gesicht, einen Namen, Familien. Also sollten wir zeigen, wer diese Menschen waren, damit es für die Menschen greifbar wird. Außerdem wollen wir am neuen Mahnmal die Geschichte erzählen. Der Bildungsaspekt ist uns sehr wichtig."

BR24: Was sollen die Leute an der neuen Gedenkstätte lernen?

"München '72 ist nicht der einzige Terror, der in der Welt passiert ist. Er ist auch nicht wichtiger, als andere Anschläge. Aber Terror ist Terror! Wenn man nicht darüber redet und sich dem entgegen stellt, es bekämpft, dann passiert auch nichts. Das haben wir doch gesehen!

Nach dem Attentat habe ich gefragt: Warum macht ihr weiter mit den Spielen? Warum sagt hier niemand, dass Fehler gemacht wurden? Lasst uns doch alles Mögliche unternehmen, dass so etwas nie wieder passiert."

BR24: Sie haben jahrzehntelang für diesen neuen Erinnerungsort gekämpft. Warum war das nötig?

Ankie Spitzer 1972 im Raum der Geiselnahme.

"Ich habe Hans Dietrich Genscher schon 1978 gefragt. Aber niemand wollte das machen. Vor fünf Jahren habe ich dann Horst Seehofer getroffen, bei den Olympischen Spiele in London. Ich habe ihn nochmals gefragt, und er wollte es.

Dann hat Kultusminister Ludwig Spaenle das persönlich in die Hand genommen. Er hat ein hervorragendes Team zusammengestellt. Die haben mit uns die letzten fünf Jahre zusammen gearbeitet an jedem kleinen Aspekt der Gedenkstätte. Ich bin sehr glücklich, dass sie das auf sich genommen haben."

BR24: Die Anwohner in München haben sich teilweise gegen das Projekt gewehrt. Wie haben sie diesen Widerstand erlebt?

Für die neue Gedenkstätte haben die Hinterbliebenden der Opfer lange gekämpft.

"Ich möchte den Anwohnern sagen: Ich lade euch ein, schaut es euch an. Bringt eure Kinder mit und zeigt ihnen die Geschichte. Das alles ist unweit von eurem zu Hause passiert. Ihr könnt stolz sein auf die Stadt München, den Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland. Denn sie haben es nicht vergessen. Die Anwohner sollten stolz auf dieses Projekt sein und nicht dagegen."

BR24: Endet mit diesem Gedenkort auch ihr jahrelanger Kampf für Gerechtigkeit?

"Es gibt dort immer noch die Sache mit der Entschädigung. Die 14 Waisenkinder der Opfer haben immer im Schatten der Ereignisse von Olympia gelebt. Die sollten eine Entschädigung bekommen, denn teilweise war es für sie eine echte Herausforderung, das können Sie mir glauben. Ich selbst bin 72 Jahre alt und arbeite, um meine vier Kinder zu versorgen. Aber die deutsche Regierung sollte diesen 14 Waisen eine angemessene Entschädigung bezahlen."

BR24: Allerdings haben Sie schon eine Entschädigung erhalten...

"2002 haben wir drei Millionen Euro erhalten, für 34 Familienangehörige. Über zwei Millionen davon sind in deutschen Gerichtsverfahren geblieben. Am Ende blieben uns also etwa 900.000 Euro für 34 Angehörige. Das ist nicht gerecht. Wir möchten endlich gerecht entschädigt werden."

BR24: Wie werden Sie weiter vorgehen?

"Morgen haben 26 Angehörige ein privates Treffen mit dem israelischen Präsidenten. Bundespräsident Steinmeier wollte auch dazukommen. Da werde ich mit ihm auch über die Entschädigung sprechen. Ich werde ihn bitten, sich nach 45 Jahren noch einmal damit zu beschäftigen. Da hoffe ich auf ein offenes Ohr."


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