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Afghanen auf der Flucht "Das Risiko ist es wert"

Kampagnen halten sie nicht auf: Tausende Afghanen machen sich derzeit auf den gefährlichen Weg nach Deutschland. Auch jene, die bereits Zuflucht im Iran gefunden haben. Denn dort gelten sie als Bürger zweiter Klasse.

Von: Natalie Amiri

Stand: 01.12.2015 | Archiv

Afghanische Flüchtlinge | Bild: picture-alliance/dpa

An der Grenze zwischen Afghanistan und dem Iran: Um nach Europa zu gelangen, müssen Afghanen den streng bewachten iranischen Übergang passieren, sie tun es legal und illegal. Aus deutschen Sicherheitskreisen heißt es im Oktober, dass monatlich über 100.000 Afghanen ihre Heimat verlassen. Sie wollen über den Iran nach Europa. Die iranische Seite bestätigt dies offiziell: 

"Vor circa fünf Monaten hat dieser neue große Schwung der Flüchtlinge begonnen. Einige hatten vor im Iran zu bleiben, aber die meisten wollten über die Türkei nach Europa."

 Khorasan Razavi, Leiter der iranischen Ausländerbehörde

Doch es sind nicht nur die Afghanen aus Afghanistan, die jetzt nach Europa wollen. Auch viele der vier Millionen afghanischen Flüchtlinge im Iran planen ihre Flucht. Denn im Iran sind sie unerwünscht.

Von wegen Willkommenskultur

Guest City - Stadt der Gäste. Klingt nach Willkommenskultur. Ist es aber nicht. Hier in diesem Camp leben seit Generationen Afghanen, geduldet von der iranischen Regierung. Ausgegrenzt von der iranischen Gesellschaft. Sie sind Bürger zweiter Klasse. Diese afghanischen Kinder hier sind bereits die dritte Generation. Sie kommen als Flüchtling auf die Welt - und bleiben es. Für sie gibt es keine Perspektive im Iran.

Mohammad Khavari ist auch in dritter Generation afghanischer Flüchtling im Iran. Jeden Tag erzählt man sich hier neue Erfolgsgeschichten von Freunden und Familie, die in den letzten Wochen in Europa angekommen sind.

"Die junge Generation der Flüchtlinge hier hat gehofft, dass die neue Regierung unseren Zustand verbessert, aber leider ist die Situation schlimmer geworden. (...) Die jungen Afghanen haben hier keine Motivation mehr zu bleiben."

Mohammad Khavari, afghanischer Flüchtling

Die meisten Afghanen im Iran leben nicht in einem Camp, sie bewegen sich illegal im Land, verdienen ihr Brot als Tagelöhner. Laut der UN-Flüchtlingsorganisation gibt es zwischen 1,5 und drei Millionen illegale Afghanen im Land. Ohne Recht und Sicherheit. Hoffnung sehen fast alle nur in Europa. Antifluchtkampagnen der Europäer in dieser Region sollen sie jetzt vor einer Flucht ins Abendland abhalten.

"Afghanistan verlassen? Gründlich darüber nachgedacht?"

Auch in der afghanischen Hauptstadt Kabul hängen seit ein paar Tagen riesige Plakate in den großen Straßen der Hauptstadt. Poster, auf denen steht: "Afghanistan verlassen? Sind Sie sich sicher?" Oder: "Afghanistan verlassen? Gründlich darüber nachgedacht?" Hinter dieser Kampagne steckt: die Bundesrepublik Deutschland. Auch über die sozialen Medien unter dem Hashtag #rumoursaboutgermany will man mit Gerüchten aufräumen, dass eine Flucht nach Deutschland leicht, der Asylantrag akzeptiert werden wird.

Auftritte des deutschen Botschafters in Kabul im afghanischen Fernsehen gehören zu der Kampagne. Markus Potzel erklärt auf die Nachfrage des Moderators im afghanischen Programm der deutschen Welle das Ziel der Kampagne:

"Wir wollten mit dem Aufhängen der Poster in den großen Städten Afghanistans eine große Menge an Personen auf die Gefahren der Flucht aufmerksam machen."

Markus Potzel, Botschafter

Keine Arbeit in Afghanistan

Doch was halten die Afghanen vor Ort davon? Ein Taxifahrer sagt: "Wie kann so ein Poster uns von einer Flucht abhalten, wenn es überhaupt keine Arbeit in diesem Land gibt? " Auch eine afghanische Frau im Iran betont: "Ja, sie warnen uns über die Medien, dass wir eventuell aus Deutschland deportiert werden, wenn wir dort ankommen. Aber noch kein einziger der angekommen ist, hat uns das bestätigen können. Das Risiko ist es wert."

Eine internationale Hilfsorganisation für Afghanen im Iran, die nicht genannt werden möchte, berichtet, dass nach den Willkommensworten von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sommer, ein Drittel der bei ihnen 1.300 registrierten afghanischen Flüchtlinge, noch in der Nacht aufgebrochen seien. Richtung Deutschland.


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