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Analyse vor den Landtagswahlen Ist die SPD noch eine Volkspartei?

Die SPD ist nervös. Am Sonntag wird in drei Bundesländern gewählt - und in allen drei Landtagen droht den Sozialdemokraten ein herber Machtverlust: von der Regierungs- auf die Oppositionsbank. Die SPD muss befürchten, sogar hinter der AfD zu landen.

Von: Daniel Pokraka

Stand: 10.03.2016 | Archiv

Symbolbild | Bild: picture-alliance /dpa; Montage: BR

Waren das noch Zeiten… Die goldenen Jahre der Sozialdemokratie. Mit Brandt. Mit Wehner. Mit Schmidt. Als Sozialdemokrat kriegt man vermutlich feuchte Augen,wenn man an die 70er Jahre denkt. Da war die SPD Kanzlerpartei. Mit Wahlergebnissen weit über 40 Prozent. Zeitweise mit einer Million Mitglieder aus allen relevanten Schichten der Bevölkerung. Dank dem Godesberger Programm, mit dem die SPD von der Arbeiterpartei zur Volkspartei geworden war.

Zur Volkspartei mit politischen Angeboten für alle Bevölkerungsschichten: Für den Lehrling wie für den Unternehmer. Für die katholische Frau auf dem Land wie für die junge Studentin in der Stadt. Zumindest das ist bis heute so – sagen die Meinungsforscher von Infratest Dimap.

"Es gibt keine andere Partei in Deutschland, die quer durch alle Milieus in Deutschland eine hohe Akzeptanz genießt. Die Anteile sind zwar nicht mehr so groß wie früher, aber man kann sagen: SPD zu wählen, kommt in praktisch allen gesellschaftlichen Gruppen infrage."

Michael Kunert, Geschäftsführer von Infratest Dimap

Unterschicht kaum mehr vertreten

Ihr Kreuz machen dann aber viele woanders. Was auch mit einer Art Entfremdung zu tun haben dürfte. Denn obwohl potenzielle Wähler der SPD weiter aus allen Schichten und Milieus kommen: Bei den Mitgliedern – vor allem auf der Funktionärsebene – sieht es anders aus. In Ortsvereinen, in denen früher durchaus noch Putzfrauen und Bandarbeiter mit am Tisch saßen, dominieren heute Lehrer und andere Beamte, oft auch Juristen, in jedem Fall: Akademiker.

Der Berliner Parteienforscher Gero Neugebauer sagt: Unterschicht und untere Mittelschicht sind in der SPD kaum noch vertreten – schon gar nicht, wenn es um Ämter und Mandate geht. Kann man da überhaupt noch von einer Volkspartei sprechen? Neugebauer sagt, das habe lange auf die SPD, wie auch auf die Union zugetroffen. Er bezweifelt aber, dass das noch so ist.

Ergebnisse oft unter 20 Prozent

Neugebauer verwendet den Begriff „Volkspartei“ ohnehin nicht gern. Lieber spricht der Parteienforscher von kleinen, mittelgroßen und großen Parteien. Und die SPD geht nach seiner Einschätzung langsam vom Bereich einer großen zu einer mittelgroßen Partei. Dafür spricht, dass die SPD inzwischen weniger als eine halbe Million Mitglieder hat – Tendenz: sinkend. Generell sind immer weniger Menschen bereit, sich an eine Partei zu binden – weder als Mitglieder noch als Stammwähler. Dazu kommt, dass die SPD nach wie vor  unter den Folgen der Schröderschen Agenda 2010 leidet.

Das Ergebnis: Seit langem höchstens 25 Prozent im Bund – und in manchen Ländern weit unter 20. In Bayern zum Beispiel, vor allem in Sachsen – und am Sonntag wohl auch in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg. Parteichef Sigmar Gabriel will raus aus diesem Tief. Als er 2009 ins Amt kam, gab er folgende Marschrichtung aus.

"Wir müssen raus ins Leben. Da, wo es laut ist. Da, wo es brodelt. Da, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt."

SPD-Chef Sigmar Gabriel

Was in der Mittelschichtpartei SPD entweder nicht befolgt wurde – oder nicht funktionierte. Beim Parteitag im Dezember letzten Jahres jedenfalls gab Gabriel eine modifizierte Marschroute aus. Ohne dampfen, riechen und stinken – aber nach wie vor in der Tradition der alten Arbeiterpartei. "Auch, wenn wir seit Jahrzehnten keine Arbeiterpartei mehr sind, so sind wir doch vor allem für die da, die jeden Tag hart arbeiten, und für die das Leben manchmal verdammt anstrengend ist."

SPD könnte hinter AfD landen


Auch das hat die Umfragen bisher nicht in die Höhe getrieben. Und so taumelt die SPD am Sonntag zumindest zwei krachenden Wahlniederlagen entgegen; sie könnte in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg hinter der AfD landen. Dass Parteichef Gabriel deshalb hinwerfen wird, munkeln einige. Ist aber unwahrscheinlich. Denn niemand beneidet Gabriel um seinen Posten – und deshalb sägt wohl auch niemand an seinem Stuhl.


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