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Kommentar zu Weihnachten Wirr ist das Volk

So viele waren es noch nie. In Dresden protestierten am Montag vor Weihnachten mehr als 17.000 Menschen gegen die "Islamisierung des Abendlandes“. "Wir sind das Volk", hallte es durch die Straßen. Zeit für einen Widerspruch.

Von: Jan Müller-Raith

Stand: 24.12.2014 | Archiv

Sympathisanten der Pegida-Bewegung halten am 22.12.2014 in München ein Schild mit Aufschrift "München grüßt Dresden" in die Luft | Bild: picture-alliance/dpa

Einmal im Jahr, kurz vor dem Jahreswechsel, halten wir inne und kommen zur Ruhe. Eine ganze Reihe von Feiertagen verschafft uns ein wenig Abstand, am Silvesterabend nehmen wir uns vor, im kommenden Jahr alles anders und vieles besser zu machen. Vor allem aber feiern wir Weihnachten, tauschen Geschenke aus und erzählen die Weihnachtsgeschichte. Die Geschichte eines jungen Paares - Flüchtlinge zumal - das vergeblich nach einem Schlafplatz suchte, um schließlich in einem Stall unterzukommen und dort das Jesuskind zur Welt zu bringen. Zwei Tage vor Weihnachten hielten in vielen deutschen Städten erneut einige Tausend Menschen inne. Die meisten davon wie in den vergangenen Wochen vor der Dresdner Semperoper. Dieses Mal wurde hier nicht nur demonstriert, es wurde auch gesungen. "Stille Nacht" etwa, oder "Oh du fröhliche".

Angst? Wovor eigentlich?

"Stille Nacht"? "Oh du fröhliche"? Geht's eigentlich noch? Nichts an diesem Montagabend in Dresden war still, nichts war fröhlich. Um das zu erkennen, reichte ein Blick in die Gesichter der Menschen, die teils von weit her eigens für diese Kundgebung in die Elbstadt gekommen waren. Die Banner der Initiative "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" vor sich hertrugen. Es reichte ein offenes Ohr für das, was sonst noch gesagt, skandiert, gebrüllt wurde. Unverblümte Hetze, dumpfe Propaganda, erschreckendes Unwissen trifft es recht gut. Dass die scheinbar "patriotischen Europäer" darüber hinaus Weihnachtslieder sangen, war nicht still oder fröhlich, es war schlicht ärgerlich.

Ohne Kultur und ohne Werte

 

Warum? Angetrieben von populistischen Agitatoren schwadronierten die Pegida-Demonstranten von einer "Bedrohung durch den Islam", von einer "Flüchtlingswelle", die uns, das deutsche Volk zu überrollen droht. So wie der Tsunami Südostasien vor zehn Jahren - mindestens, wahrscheinlich noch viel schlimmer. Von einem Verlust deutscher Werte ist da die Rede, einem Verlust der deutschen Kultur. Überhaupt: "Eigentlich wollen die uns ja eh alle plattmachen, die wohlstandssuchenden Reisenden aus Afrika und dem Nahen Osten". Das hört man hier - das nimmt einem für einen kurzen Moment die Luft zum Atmen. Und wenn man sich wieder gefangen, sich einen Moment zum Nachdenken genommen und sich damit gegenüber den Demonstranten einen entscheidenden Vorteil verschafft hat, ist man sich absolut sicher: Die deutsche Kultur fehlt nicht dort, wo Flüchtlinge, Muslime, die "Anderen" sind. Die Kultur, die Werte, die fehlen hier, vor der Semperoper. In einer Stadt, die es nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs - einem erschreckenden Beispiel für Werte- und Kulturlosigkeit, ausgehend von deutschem Boden - besser wissen sollte. Es gibt andere Wege, seine Angst vor der Zukunft zu artikulieren. Sich einzubringen, mitzugestalten, ist einer davon.

Der Begriff "Montagsdemonstration" wird missbraucht

Vor 25 Jahren ging eine Aufbruchsstimmung durch das Land. Die Menschen auf den Straßen etwa von Leipzig, Potsdam, Rostock und Dresden machten ihren Widerspruch gegen das autokratische Regime in Berlin deutlich, skandierten "Wir sind das Volk". Laut - deutlich - und letztlich mit Erfolg. Wer die heutige Protestbewegung betrachtet, die von Dresden ausging, durch die Republik schwappte und mittlerweile auch bayerische Städte erreicht hat, der kann sich nur wundern. Die Pegida-Demonstranten sind nicht das Volk. Das Volk sind die Menschen, die nicht mitmarschieren hinter den rechten Scharfmachern an der Spitze der Demonstrationszüge. Das Volk sind all diejenigen, die denen helfen, denen es schlechter geht als uns, die in unser Land kommen, weil sie in ihrem Heimatland alles verloren haben, die nur verächtliche Zyniker "Reisende" nennen können. Das Volk sind die Menschen, die für ein weltoffenes Deutschland stehen, "im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen", so wie es fast wortgleich in unserem Grundgesetz steht. Diejenigen, die wirklich für Werte und für Kultur stehen. Das ist das Volk.

Und die anderen? Die Pegida-Demonstranten? Wirr ist dieses Volk.


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