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Prozess um die Stichwahl Fassungslosigkeit in Österreich

Im Prozess um die Gültigkeit der Präsidentenwahl in Österreich haben Zeugen weitere nicht korrekte Abläufe bei der Auszählung eingeräumt. Der VfGH will bis zum 8. Juli entscheiden, ob die Wahl trotz formaler Mängel gilt oder zumindest in Teilen wiederholt werden muss.

Von: Ralf Borchard

Stand: 23.06.2016

Wahlurne mit Schein vor österreichischer Flagge | Bild: BR

Die Fassungslosigkeit, die in ganz Österreich herrscht, ist wohl bei ihm am größten: dem Mann, der Ende Mai als Wahlsieger ausgerufen wurde und sagte:

"Ich beginne schon, mich einzufügen in diese neue Rolle als Bundespräsident der Republik Österreich."

Alexander Van der Bellen

Alexander Van der Bellens Wahlsieg ist seit der Anfechtung durch die FPÖ nur noch vorläufig. Und der Appell seines Gegenkandidaten Norbert Hofer kurz nach der Wahl scheint Schaltjahre entfernt:

"Ich möchte einfach die Österreicher bitten, jetzt nicht zu streiten. Wir sind alle Österreicher und wir müssen zusammenhalten."

Norbert Hofer

Schlampereien bei der Auszählung

Vier Tage hat der Verfassungsgerichtshof nun Zeugen gehört, vor allem Wahlbezirksleiter und Beisitzer. Was da ausgesagt wurde, nennt der Verfassungsexperte Heinz Mayer unfassbar.

"Also ich möchte nicht in der Haut der Verfassungsrichter stecken. Erstens einmal müssen sie sich tagelang anhören, was alles schiefläuft offenbar bei Behörden, wie schlampig der Umgang mit der Rechtsordnung ist, und wenn man sich anhört, was da passiert ist, und wenn man sich überlegt, dass das ja nicht die erste Wahl ist, die wahrscheinlich so abgehalten wurde, dann verschlägt es einem schon den Atem."

Heinz Mayer, Verfassungsexperte

Der Bürgermeister von Villach, der Sozialdemokrat Günter Albel, musste wie viele andere Zeugen Fehler bei der Auszählung der Briefwahlstimmen eingestehen:

"Schauen Sie, in ganz Österreich sind offensichtlich dieselben Fehler gemacht worden, so auch in Villach. Es ist wie in allen Bezirken zu früh ausgezählt worden, weil natürlich der Druck, der Wahlbehörden, der Landeswahlbehörden und auch der Medien ein großer war. Man wollte unbedingt so früh wie möglich fertig sein. Auch die Freiheitlichen haben Protokolle unterschrieben, die so nicht korrekt waren."

Günther Albel, Bürgermeister von Villach

Wahlumschläge zu früh geöffnet?

Laut Wahlgesetz dürfen Briefwahlstimmen erst ab Montag, 9 Uhr ausgezählt werden. Tatsächlich passierte das vielerorts schon am Sonntag, oder die Wahlumschläge wurden zumindest vorab geöffnet. Trotzdem kann Karl Millonig, Wahlbeisitzer der Volkspartei ÖVP in Kärnten, die Gerichtsvorladung nicht verstehen:

"Wir haben alle unterschrieben, es gab keine besonderen Vorkommnisse, und damit hat mich das gewundert, dass wir heute hier müssen auftauchen."

Karl Millonig, Wahlbeisitzer der Volkspartei ÖVP in Kärnten

Der grüne Wahlbeisitzer Wolfgang Essl aus Niederösterreich meint am Rande des Verfahrens schuldbewusst:

"Es hat wahrscheinlich jeder sein gewisses Quentchen Schuld. Wahrscheinlich hätte ich auch eher noch kritischer sein müssen. Aber es ist eine Frage des Prozederes."

Wolfgang Essl, Wahlbeisitzer

Formfehler oder Manipulation?

Die Anwälte der FPÖ halten sich als klagende Partei während des laufenden Verfahrens mit Aussagen zurück. Für die Verfahrensanwältin der Grünen, Maria Windhager gilt nach wie vor, die gemachten Formfehler bedeuten doch noch keine Manipulation.

"Wir haben sicher auch gesehen, dass manche Verfahrensregeln schlampig ausgelegt wurden in einigen Bezirken. Das hat sich aber, soweit wir das jetzt hier nachvollziehen konnten, nicht sozusagen darauf ausgewirkt, dass irgendeine Stimme nicht korrekt zugeordnet worden wäre. Und das ist für mich nach wie vor das Entscheidende."

Maria Windhager, Verfahrensanwältin der Grünen

Da sind andere Juristen anderer Meinung. Auch der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs Ludwig Adamovich. Seine Einschätzung ist derzeit besonders gefragt:

"Von einem moralischen Standpunkt her gesehen ist es weniger schlimm. Von einem strikt rechtlichen Standpunkt ist es schlimmer, weil das halt ganz einfach so nicht geht. Es sind zwei Kriterien. Es muss eine Rechtswidrigkeit vorliegen. Und diese Rechtswidrigkeit muss von Einfluss auf das Wahlergebnis sein können."

Ludwig Adamowich, früherer Präsident des Verfassungsgerichtshofs

Wiederholung der Wahl möglich

Das heißt, die Möglichkeit, dass Stimmen falsch zugeordnet wurden, reicht für eine Wahlwiederholung aus.

"Keine Manipulationen, daher kein Einfluss auf das Wahlergebnis, das dürfte, nach dem was man bisher gehört hat, wohl auch richtig sein. Nur muss man sehen: Wenn es um die Anwendung von Vorschriften geht, die die Unabhängigkeit des Wahlvorganges sichern sollen, dann wird sehr streng interpretiert. Und man kann sich da so seinen Teil dazu denken."

Ludwig Adamowich

Der frühere Gerichtspräsident hält eine Wahlwiederholung also für wahrscheinlich. Voraussichtlich Anfang Juli fällt die Entscheidung. Als Termin für die neue Stichwahl wird Ende September oder Oktober gehandelt. Nach den Worten von Innenminister Wolfgang Sobotka, ÖVP, wäre dann ganz Österreich blamiert.

"Schauen Sie, ich bin jahrelang, fast zwei Jahrzehnte in Wahlkommissionen gesessen. Und ich kann nur sagen, also es gab für uns nie etwas, wo wir nur einen Zweifel gelassen hätten oder schlampig mit dem umgegangen wären. Und daher hat mich dieses Vorgehen maßlos enttäuscht."

Innenminister Wolfgang Sobotka, ÖVP

Der frühere Verfassungsrichter Peter Jann meint dagegen, eine Neuwahl könne unter dem Strich auch positive Folgen haben:

"Es kann durchaus positive Folgewirkung für das Land haben. Wenn Legendenbildungen hinterher vermieden werden. Und wenn im Großen und Ganzen akzeptiert wird, dass hier eine Instanz, wenn sie wollen eine Autorität vorhanden ist, die letztlich das entscheidet, dann glaube ich hat es für das Land gute Folgen."

Peter Jann


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dildoldi, Freitag, 24.Juni 2016, 03:56 Uhr

2. Wahl in Österreich

Jetzt ist man auf einmal überrascht und fassungslos. Dass jemand, der weit zurückliegt, auf einmal als Sieger dasteht, habe ich so auch noch nie bei irgendeiner Wahl, die korrekt abgelaufen ist, erlebt. Und anstatt von dem zu reden, was wirklich war, nämlich Wahlfälschung, tut man so, als ob das alles zufällig, absichtslos, passiert sei. Auch das ist Propaganda ! Schaun mer mal, was wird.

MfG

  • Antwort von Bernhard, Freitag, 24.Juni, 09:04 Uhr

    Wenn mein Kind eine solche nicht belegte Aussage machen würde, (Wahlfälschung) würde ich 2 Stunden Zimmerarrest aussprechen.
    Herr oder Frau dildoldi: Formfehler machen oder vorsätzlich betrügen und nicht bewiesene Unterstellungen verbreiten sind zwei paar Stiefel.

HinterTürkisch, Freitag, 24.Juni 2016, 00:46 Uhr

1. recht(s)sicher?

Einerseits ist es wichtig darauf zu pochen, dass die Regeln eingehalten werden (und nicht ewig geschlonzt wird...). Was sich mir aber immer mehr zu erschliessen scheint: Es soll eine bestrittene Wahl dafür geopfert werden, dass jemand ernsthaft mit Auszähltdruck auf die Wahlausschüsse eingewirkt hat; diese Art "Druck" ist lächerlich, zumal die Leute ja eh' bis in den Nachmittag des Tages der Wahlergebnisverkündung gezählt haben-wenn es im österreichischen Wahlrecht eine ähnliche Zeitbegrenzung wie z.B. im Falle der Abhaltung einer ordentlichen AG-Hauptversammlung in Deutschland geben würde, wäre mit den offensichtlich aufgelaufenen Unmengen an Briefwahlumschlägen die Wahl vielleicht eben dadurch ungültig geworden, WEIL EBEN die Auszählenden ERST um neun Uhr mit ihrer Arbeit begonnen hätten...Rechtslogik scheitert hier scheinbar an der materiellen, praktischen Realität.