NSU-Prozess


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213. Verhandlungstag, 24.06.2015 Gericht fühlt Verfassungsschützern auf den Zahn

Wusste der hessische Verfassungsschutz schon vor dem Mord an den Kasseler Halit Yozgat von den Tötungsplänen des NSU? Eine Aussage eines Zeugen nährte am 213. Verhandlungstag in der Tat den Verdacht der Mitwisserschaft.

Von: Eckhart Querner

Stand: 24.06.2015 | Archiv

Internetcafé in Kassel, in dem Halit Yozgat ermordet wurde | Bild: picture-alliance/dpa

Im Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte hat das Gericht einen früheren hochrangigen Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz vernommen. Nach der Aussage des heute 70-jährigen Geheimschutzbeauftragten lassen sich konkurrierende Interessen des Landesamtes und der ermittelnden Polizeibehörden feststellen. Immer noch ungeklärt ist, warum sich im April 2006 ein V-Mann-Führer des hessischen Verfassungsschutzes, genau zum Zeitpunkt des Mordes am Kasseler NSU-Opfer Halit Yozgat, in dessen Internet-Café aufhielt, angeblich, ohne etwas von den Schüssen auf Yosgat mitbekommen zu haben.

Landesamt hielt zahlreiche Informationen unter Verschluss

Der ehemalige Verfassungsschützer Gerald H. erklärte vor Gericht, er habe nach dem Kasseler Mord mit dem V-Mann-Führer telefoniert und ihm geraten, der Polizei alles zu sagen, was man wisse. Allerdings mit der Einschränkung, dass geheime Informationen des Amtes unter Verschluss gehalten werden müssten. So erteilte das Landesamt seinem Mitarbeiter Andreas Temme keine Aussagegenehmigung gegenüber der ermittelnden Staatsanwaltschaft.

Das Gericht will herausfinden, ob der hessische Verfassungsschutz schon vor dem neunten NSU-Mord von den Tötungsplänen wusste und ob sich der V-Mann-Führer nur deshalb zur Tatzeit im Internetcafé Yozgats aufhielt. Beim Vorsitzenden Richter Götzl, aber auch bei zahlreichen Nebenklägern, stieß besonders ein Satz des Zeugen H. auf Misstrauen und nährt den Verdacht der Mitwisserschaft des Landesamtes. In einem von der Polizei aufgezeichneten Telefonat zwischen Verfassungsschützer H. und seinem V-Mann-Führer T., das zwei Wochen nach dem Mord an Halit Yozgat stattfand, sagte H. wörtlich:

"Ich sage ja jedem: Wenn der was weiß, dass so was passiert, bitte nicht vorbeifahren!"

Zeuge Gerald H.

Wusste der V-Mann-Führer mehr als er zugab?

Aus Sicht der Nebenklage spricht das dafür, dass Temme konkretes Wissen hinsichtlich der Täter, des Tatortes und des Opfers hatte. Zeuge H. erklärte, er habe gemeint, Temme hätte einen großen Bogen um den Tatort machen müssen, wenn er gewusst hätte, dass gerade ein Mord geschehe. V-Mann Temme soll sich nach Auskunft des hessischen Verfassungsschutzes zu privaten Zwecken in dem Internet-Café aufgehalten haben. Der verheiratete Mann habe bei einer Kontaktbörse im Internet mit einer Frau geflirtet.


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