NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 170. Verhandlungstag, 11.12.2014

An diesem Prozesstag schildert zunächst ein Polizeibeamter die Auswertung von digitalen Fotos, die in der Frühlingsstraße in Zwickau gefunden worden waren. Sie könnten Anschlagsziele darstellen.

Von: Mira-Catherine Barthelmann, Matthias Reiche, Thies Marsen

Stand: 11.12.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Die Fotos zeigen u.a. ein griechisches Bistro und einen türkischen Laden in Stuttgart sowie eine Geschäftsstelle der SPD in Hof - zum Teil ist auch Uwe Böhnhardt auf den Bildern zu erkennen. Der Beamte schließt daraus, dass Zschäpe an der Ausspähung von Anschlagszielen beteiligt war. Zweiter Zeuge ist der Polizeibeamte A., der erneut zur Vernehmung von Beate Zschäpe 1996 im Zuge des "Puppentorso-Verfahrens" befragt wird. Jedoch kann er sich an nichts mehr erinnern.

Zeugen:

  • Gerhard Z., Kriminalhauptkommissar (Asservatenauswertung aus dem Jahr 2012)
  • Kriminalhauptmeister A. (Fortsetzung der Vernehmung vom 27.11.2014)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Matthias Reiche, MDR)
Auf der Zuschauertribüne wieder viele sehr junge Leute.
Beate Zschäpe heute wieder mit offenem Haar, Jeans, grüne Jacke, weiß-blaues Halstuch.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Als Beistand ihres Mannes ist Frau Wohlleben heute im Saal. Sie sitzt neben dem ihm auf der Anklagebank - händchenhaltend. Beide essen Gummibärchen, die sie zuvor auf dem Tisch vor sich ausgeschüttet haben.

(Thies Marsen, BR)
1. Zeuge: Kriminalhauptkommissar Gerhard Z., 53 Jahre alt, Polizeidirektion Rastatt/Baden-Baden. Es geht um die Asservatenauswertung einer CD.
Z: Ich war zum BKA abgeordnet, CD war eins der Asservate, die ich ausgewertet habe.10 Bilddateien, waren von einer anderen Original-CD kopiert worden., die aus der Frühlingsstraße stammte. Es waren Fotos der Nordbahnhofstraße in Stuttgart

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Z: Bild 1 war der Eingang von einem türkischen Grillbistro.
Auf Bild 2 war auf der rechten Seite ein Grill-Bistro erkennbar. "Estia" hieß das. Eine Person mit abgelichtet. An einem Fahrrad stehend. Mountainbike. Baseballcap.
Bild 3 einige Meter weiter vorne aufgenommen. Verkaufsschalter von dem Bistro.
Bild 4 war schon ein zeitlicher Sprung nach hinten. Höhe Hausnummer 71 aufgenommen. Die Person mit dem Fahrrad war wieder abgelichtet. Das gleiche Outfit. Zu sehen war "Bella Italia".
Bild 5 zeigt den "Prager Hof". Da gibt es noch einen türkischen Verkaufsladen. "Dön-Metz". Das weiß ich nicht mehr genau.
Bild 6 zeigt den "Prager Hof". Nordbahnhofstrasse deswegen, weil ich als Recherchemöglichkeit "Street-View" hatte. Da war das genauso aufgenommen. Das war die erste Sicherheit. Die weitere Sicherheit war, dass wir behördenmäßig abgeklärt [haben].
Die gezielte Suche in Stuttgart fand statt, weil auf der CD ein handschriftlicher Vermerk mit Stuttgart stand.
Bild 8 und 9 waren am Folgetag in Hof aufgenommen. Ich habe dann in Hof angerufen und mit einem Mann vom Staatsschutz telefoniert. Moltkestraße und Landwehrstraße ist ein Eckanwesen. SPD-Geschäftsstelle. Auch handschriftlicher Vermerk "SPD Hof".
Bild 10 wurde wieder einen Tag später aufgenommen. Ein Zimmer. Dort sitzt Uwe Böhnhardt. Zweifelsfrei erkennbar und daneben wahrscheinlich Beate Zschäpe.

G: Zeitliche Einordnung der Bilder?
Z: Ich habe lediglich das Datum der Datei. Es stand ein Datum drauf. Juni 2003. Die ersten sieben in kurzer Zeit aufgenommen. Die anderen an den Folgetagen. Das ist mir noch in Erinnerung. Zur Person mit dem Fahrrad: Dass es sich vielleicht um Uwe Böhnhardt handeln könnte. Das resultiert daraus, dass nicht nur ich, sondern auch andere die Bilder angeschaut haben. Auf einem Bild schaut er direkt in die Kamera. Es fiel auf der Oberlippenbart und die Koteletten. Eine Vermutung, dass es sich um Uwe Böhnhardt handeln könnte.
G: Nochmal Datum? Juni 2003? Hab ich Sie richtig verstanden? Mit dem Abstand?
Z: Das müsste sich auf die letzten drei bezogen haben. Zwischen Stuttgart und Hof war mindestens ein Tag. Zwischen Hof und dem unbekannten mindestens ein paar Stunden.

(Thies Marsen, BR)
Bilder werden an die Wand geworfen
Zeuge kommentiert:
Z: Erstes Bild, Eingangsbereich Nordbahnhof
Zweites Bild: Eskiya Bistro - daneben an einem Zigarettenautomat lehnend Mann mit Sonnenbrille, schwarzem T-Shirt und Basecap - mutmaßlich Uwe Böhnhardt
Drittes Bild: Nochmal Grillbistro Eskiya mit Schriftzug
Viertes Bild: Nochmal Bistro Eskyia und Zigarettenautomat im Vordergrund
Fünftes Bild - nochmal Uwe Böhnhardt im Vordergrund, im Hintergrund rechts "Bella Italia" - Gesicht wird großgezoomt - ziemlich eindeutig Uwe Böhnhardt

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Bild 5: Vermutlich Uwe Böhnhardt. Mountainbike an ihn gelehnt. Hält eine Flasche Apfelschorle in den Händen. Dunkelblaues T-Shirt. Hellgraue, wadenlange Funktionshose. Turnschuhe. Schwarzer Rucksack. Sonnenbrille. Dunkelblaues Basekap.

(Thies Marsen, BR)
Sechstes Bild: nochmal Uwe B. im Vordergrund, diesmal den Blick nach rechts abgewandt mit Mountainbike und der "Prager Hof".
Siebtes Bild: Geschäftsschild "Prager Hof".
Z: Meine Vermutung: Vorbereitung einer Anschlagshandlung.
Achtes Bild: Geschäftsschild des SPD Unterbezirks Hof mit Straßenschild, darüber in Frakturschrift Landwehrstraße
Neuntes Bild: nochmal das selbe ohne Straßenschild
Zehntes Bild: blaues Sofa, darauf Böhnhardt, der in die Kamera schaut und links daneben den Blick nach unten gewandt Zschäpe mit Brille im weißen T-Shirt (Anmerkung: Beate Zschäpe trägt heute im Gerichtssaal dieselbe Brille!!!)

Z: Es wurde Stadtplan aus Stuttgart gefunden, der teilweise verbrannt war in der Frühlingsstraße, allerdings kein Ausschnitt, auf dem auch die Nordbahnhofstraße verzeichnet war.

Zeuge wird kurz darauf entlassen

(Thies Marsen, BR)
Erklärung Rechtsanwalt Schön (Nebenklage Keupstr.): Vernehmung des Zeugen hat eindeutig belegt, dass Frau Zschäpe an der Ausspähung der Anschlagsorte beteiligt war, sollten in der Beziehung noch Zweifel an den Identitäten bestehen, könnte das anhand von Gutachten erledigt werden, aber ich denke, das ist eindeutig. Da man das im Brandschutt der Frühlingsstraße gesehen hat, ist das für mich ein eindeutiger Beweis

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Rechtsanwalt Stahl (Verteidigung Zschäpe): Erwiderung: Die Bilder haben nur ergeben, dass Frau Zschäpe in einem Zimmer gesessen ist und dass die Fotos relativ zeitnah aufgenommen worden sind. Eindeutig, Herr Kollege, sind allenfalls Ihre Schlüsse. Ergeben tut sich jetzt hier mal gar nichts.

15 Minuten Pause bis 10:45 Uhr

(Thies Marsen, BR)
Weiter um 10.30 Uhr mit dem nächsten Zeugen: Kriminalhauptmeister Arnold, der schon mal da war. (Es geht um eine Vernehmung Zschäpes 1996 bezüglich des Puppentorso mit Judenstern, der an einer Autobahnbrücke in Jena aufgehängt wurde)
G. stellt erst einmal klar, dass seine Vorhalte nur dazu da sind, eine Erinnerung zu wecken, wichtig ist seine persönliche Erinnerung (Hintergrund: Die letzte Vernehmung des Zeugen hat einen Befangenheitsantrag der Verteidigung ausgelöst)

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
G: 20.6.1996 Vernehmung von Zschäpe.: Gibt es da noch was zu ergänzen?
A: Nein.
G: Protokoll, 20.6.1996. Vorhalt. Mir geht es darum, ob eine Erinnerung an die Vernehmung zurückkommt. Da heißt es: [Zschäpe:] "Ich kann mir nicht erklären, warum ich vernommen werde."
A: Keine Erinnerung.

(Thies Marsen, BR)
G: Zschäpe sagt, sie dachte, dass Leute von außerhalb den Puppentorso aufgehängt haben
A: Keine Erinnerung

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
G: Hier ist von einer ersten und zweiten Puppe die Rede. Sagt Ihnen das was in Bezug auf die Ermittlungssituation?
A: Nein.
G: Diese Namen, André K., S., Wohlleben, Böhnhardt - Erinnerung an die Namen?
A: Ich kann jetzt ganz schlecht trennen. Ich könnte jetzt nicht sagen: Das weiß ich jetzt von damals.

G: Vorhalt: "An dem Karton, der bei der Puppe abgestellt war, wurde ein Fingerabdruck von Ihrem Freund Uwe Böhnhardt gesichert." [Zschäpe:] "Wenn dieser Abdruck gesichert wurde, dann ist er halt da. Trotz alledem kann ich mir nicht vorstellen, dass er da dabei gewesen sein soll. Einen Menschen, mit dem man zusammen war, kennt man eigentlich. Wenn es dann doch so war, dann macht es mich sehr betroffen."
A: Keine Erinnerung.
G: Vorhalt: [Zschäpe:] "Die Verbindung zu dem Dicken (André K.) ist nicht mehr so eng. Es gab Streitigkeiten, weil er oft Märchen erzählt hat."
A: Keine Erinnerung.

(Thies Marsen, BR)
G: [Zschäpe:] "André ist ein Mensch, der sich gerne aufspielt"
A: Keine persönlichen Erinnerungen.
G: "Inwieweit gibt es Kontakte zu anderen Städten?" [Zschäpe:] "Jeden Mittwoch zum Stammtisch in den "Weinberg" gefahren, als wir mitbekommen haben, dass die alle ein Verfahren wegen krimineller Vereinigung haben, haben wir sofort alle Kontakte nach Saalfeld abgebrochen"
G: [Zschäpe:] "Meine Gesinnung ist zwar rechts gerichtet, aber niemals würde ich Straftaten begehen."
A: Keine Erinnerung
G: Was haben Sie zur Vernehmung von Uwe Mundlos am 30.7.1996 in Erinnerung? Z: Gar nichts

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
G: Soko "Rex". An welche Vernehmungen können Sie sich erinnern?
A: Bewusst nur an die eine. An die von Frau Zschäpe.
G: Und der Name von Ralf Wohlleben?
A: Kann mich nicht mehr erinnern. Ich habe mich ja seitdem nicht mehr damit beschäftigt.
G: Haben Sie sich mit dem Gedanken nochmal beschäftigt in der Vorbereitung?
A: Ja. In den letzten zwei Wochen. Ich habe natürlich versucht, mir das in Erinnerung zu rufen. Da kam nichts.
G: Wie intensiv haben Sie das Vernehmungsprotokoll studiert?
A: Eine Stunde ungefähr für jedes.

Zeuge wird wenig später entlassen

Schluss

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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