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Merkel, die EU und die Türkei Bloß kein Zerwürfnis!

Nach dem Dementi der Bundesregierung bleibt Verwirrung. Klar ist: Für die Bundesregierung und die EU ist die Türkei ein wichtiger Partner. Doch wie mit ihm umgehen? Ein schmaler Grat - zwischen Beziehungspflege und Unterwerfung. Eine Einschätzung.

Von: Kai Küstner

Stand: 02.09.2016

EU, Deutschland und die Türkei | Bild: picture-alliance/dpa

Da sage noch einer, EU-Politiker seien beratungsresistente Sturköpfe: Derzeit ist sozusagen in Echtzeit zu beobachten, wie es in diesen Köpfen rattert und sich die Tonlage gegenüber der Türkei abmildert. Wie verwandelt kehren Menschen von Bosporus-Reisen zurück. Berichten davon, wie sehr sie die von Putschisten verursachten Raketen-Einschläge im Parlament beeindruckt und erschreckt hätten. Dieselben Politiker, die Präsident Erdogan noch vor kurzem vorhielten, sich das Land unterwerfen oder eine Art Gegen-Putsch im Sinn zu haben, drücken sich nun gänzlich anders aus.

Rhetorischer Drahtseilakt: Regierungssprecher Steffen Seibert versucht die Distanz ohne sich von der Armenien-Resolution distanzieren zu wollen.

Nun ist jede ‚Rolle rückwärts‘ – auch eine verbale – eine durchaus nicht ungefährliche Übung. Und die EU muss aufpassen, dass sie nun nicht ins andere Extrem verfällt und zu allem vielsagend schweigt, was Erdogan künftig an Allein-Herrscher-Ambitionen hegen könnte und dürfte. Aber grundsätzlich ist der Versuch der Beziehungspflege mit dem komplizierten Partner nicht nur richtig – sie ist unerlässlich. Schon weil sie im europäischen Interesse ist.

"Dilettantisch und durchschaubar"

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Istanbul.

Was die Bundesregierung angeht, so liegt die einerseits derzeit also voll im Trend, wenn sie versucht, dem türkischen Präsidenten Erdogan entgegen zu kommen. Andererseits ist es fast schon qualvoll mitanzuschauen, wie dilettantisch sie das mit Hilfe der Armenien-Resolution bewerkstelligen will: Der Bundestagsbeschluss, mit dem die Abgeordneten der Türkei vorwerfen, Anfang des 20. Jahrhunderts Völkermord begangen zu haben, sei nicht rechtsverbindlich für die Bundesregierung, sagt Merkel-Sprecher Steffen Seibert. Und versucht im selben Atemzug abzustreiten, dass man sich damit von der Resolution distanziere.

Das ist nun allerdings allzu durchschaubar: Natürlich will die Bundesregierung nun vermeiden, dass ihr das als Unterwerfungsgeste vor Erdogan ausgelegt wird. Zu offensichtlich ist aber der trickreiche Versuch, nachdem der "Spiegel" die Geschichte öffentlich gemacht hatte, irgendwie die Dinge doch noch zu retten und doch alle Seiten glücklich zu machen: Den türkischen Präsidenten und die kritische deutsche Öffentlichkeit. Wie sich Merkel und Co. aus dieser diplomatischen Verknotung wieder befreien wollen, wird interessant zu beobachten sein.

"Die ganze EU braucht die Türkei"

Abgesehen davon, steht eines außer Frage: Nicht nur die Bundesregierung, sondern die ganze EU braucht die Türkei weiterhin als Partner. Um das festzustellen, genügt schon ein flüchtiger Blick auf die Landkarte: Ohne die Türkei wird sich die Flüchtlingskrise nicht bewältigen lassen, und Frieden in Syrien erreicht man mit einem widerspenstigen Partner an der Türschwelle zu Asien auch nicht. Insofern ist die aus dem Wahlkampf geborene österreichische Idee, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei seien sofort zu stoppen, auch verheerend. Bricht man die Gespräche ab, bricht man damit auch alle Brücken ab. Und verliert damit jeglichen Einfluss auf die Regierung Erdogan. An wen soll der sich dann künftig wenden? Wenn nicht an Russlands Präsident Putin?

Insofern ist es nur richtig, dass die EU nun endlich tatkräftiger dem Eindruck entgegen zu wirken sucht, sie habe nach dem vereitelten Militärputsch nicht an der Seite ihres Partnerlandes gestanden. Bei der durchaus notwendigen Wiederannäherung müssen die Europäer nur aufpassen, dass sie Erdogan nicht gleich wieder allzu unkritisch allzu sehr umarmen. Oder gar – noch schlimmer – vor ihm auf die Knie fallen.


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Cosi, Sonntag, 04.September 2016, 20:24 Uhr

6. Erdmännchen trifft ....

Wie armselig ist das denn?
Ein Paradebeispiel ....Soviel zum Thema Rückrath.

Mehr fällt mir heute nicht mehr ein.

Udo Pablitschko, Sonntag, 04.September 2016, 15:08 Uhr

5. Na, wenn des nix wird....

Eigentlich zum tollen Kommentar von "wm" von Freitag

Eh!
Habe ich da was falsch verstanden?

MERKEL ALS NEUE FUSSPFLEGERIN VON SULTAN ERDOGAN?

Wolfgang Kuhn, Samstag, 03.September 2016, 17:57 Uhr

4. Einmarsch

Stehen eigentlich noch türkische Panzer auf syrischem Boden? Merkwürdig, dass dieser Aspekt für unsere Medien samt herrschender Politik kein Thema ist. Ist ja auch klar: In Syrien bomben nur die Russen und Assad gegen die syrische Bevölkerung - zu der allerdings auch die in Syrien lebenden Kurden gehören. Und die Türkei übt allenfalls Selbstverteidigung. (Dem ORF zufolge stehen übrigens noch türkische Panzer in Syrien.) Ach ja: Wir brauchen die Türkei wegen ihrer geostrategischen Lage. Na, das rechtfertigt doch jede Doppelmoral gegenüber einerseits der Türkei und andererseits Russland. Glaubt Frau Merkel wirklich, dass ihre Politik im deutschen Interesse ist?

winfried, Samstag, 03.September 2016, 15:16 Uhr

3. Bloß kein Zerwürfnis

Die Sache ist eigentlich ganz einfach ... Solange der selbst angebrachte türkische "Nasenring" schmerzfrei, d.h. keine Erdogan-Widerworte, bleibt, ist man richtig in der "richtigen Spur".

Waldi, Samstag, 03.September 2016, 00:34 Uhr

2. Merkel - die EU und die Türkei!

Oh je, ein Zerwürfnis mit Erdogan. Frau Merkel, vergessen sie nun bloß nicht die paar Milliönchen € an die Türkei zu überweisen die sie Herrn Erdogan für die First-Class Versorgung, Unterbringung und vor allem Zurückhaltung der Flüchtlinge vereinbart haben. Es stehen doch noch Wahlen an und es wäre Schade wenn die CDU durch ihre Versäumnisse nicht wieder die Regierung bilden könnte. Welch Heuchelei! Es wäre besser gewesen man hätte durch eine Belastungsgrenze die Einwanderung EU-weit vorher geregelt und so eine für alle erträglich kontrollierte Zuwanderung geschaffen. Durch diese Willkommenskultur von Frau Merkel wurde geradezu der Startschuss für eine riesige Flüchtlingswelle nach Deutschland geschaffen. Und nun hoffen sie auf die Hilfe anderer EU-Staaten für das was sie alleine zu verantworten haben. Einfach nur lächerlich! Man kann sie nur abwählen!