13

GB nach dem Referendum Schiff ohne Kurs und Kapitän

David Cameron ist von - besser wohl: über - Bord gegangen, sein Parteirivale Boris Johnson hat es ihm nachgemacht. Und bei der Opposition meutert die Besatzung. Wer wird Großbritannien künftig steuern - und wohin?

Von: Michael Kubitza

Stand: 06.07.2016

Segelschiff vor der Tower Bridge | Bild: picture-alliance/dpa

Schiffsmetaphern sind populär in der Seefahrernation Großbritannien. Insofern machte Premier David Cameron zumindest bei der Formulierung seines Rücktritts alles richtig. Und musste sich dann doch wieder seinem Ex-Möchtegern-Nachfolger Boris Johnson geschlagen geben, dem es bei der Erklärung seines Verzichts auf die Kapitänswürde gelang, Meeresrauschen und Shakespeare zu kombinieren.

"Ich denke nicht,dass es richtig wäre für mich, der Kapitän zu sein, der unser Land zu seinem nächsten Ziel steuert"

David Cameron bei seiner Rücktrittserklärung am 24. Juni

"Es gibt Gezeiten für der Menschen Treiben/ Nimmt man die Flut wahr, führt sie uns zum Glück/ Versäumt man sie, so muss die ganze Reise/ Des Lebens sich durch Not und Klippen winden."

Boris Johnson kommentiert am 30. Juni seinen Verzicht auf die Nachfolge-Kandidatur, indem er William Shakespeares zitiert

Britischer Trendsport: "Dropping the Pilots"

Johnson's Zitat entstammt dem Königsmörderdrama "Julius Cäsar" - eine subtile Anspielung auf Justizminister Michael Gove, Johnsons Brexit-Kampagnen-Kumpel, der ihm zuvor die Eignung für das Amt des Premierministers abgesprochen hatte. Für alle, denen das zu subtil war, bezeichnete Boris' Vater Stanley Johnson (der übrigens für einen Verbleib der Briten in der EU geworben hatte) Michael Gove dann noch direkt als "Brutus". Keine Einzelmeinung. Die meisten sehen aber doch eher Johnson in der Rolle des Macbeth.

Auch die berühmteste Karikatur zum Karriereende Bismarcks stammt aus England: "Dropping the Pilot" - der Lotse geht von Bord

Binnen einer Woche nach dem Volksentscheid haben sich Protagonist und Antagonist des Brexit-Dramas selbst aus dem Spiel genommen. Die Rücktrittswelle spült Großbritannien weiter in die Krise.

Bei den regierenden Konservativen ist bereits ein Machtkampf mit immer mehr Beteiligten entbrannt, dessen weiterer Verlauf weniger Shakespeare als dem Skript einer Casting Show entspricht.

Dienstag ... Donnerstag ... Dienstag ...

Gleich fünf Tory-Kandidaten sind nach Johnsons Rückzug angetreten, um das Amt des Premierministers zu übernehmen. Neben dem erwähnten Justizminister Michael "Brute" Gove die Innenministerin Theresa May, Energieministerin Angela Leadsom, der altgediente Parteimann Liam Fox und der erst 43-jährige Stephen Crabb, der als einziger der Kandidaten offensiv für einen Verbleib in der EU geworben hatte.

Das Prozedere: Jeden Dienstag und Donnerstag wählt das Partei-Establisment einen der Kandidaten aus dem Rennen. Über die verbliebenen zwei sollen die Parteimitglieder bis zum 9. September in einer Urwahl abstimmen. Fox und Crabb sind schon raus. Auf der Pole Position sehen Beobachter und Buchmacher die EU-erfahrene Theresa May, die ihren Kopf beim Thema Brexit geschickt aus der Schusslinie gehalten hat und die heillos zerstrittenen Torys wohl am Ehesten versöhnen könnte.

Und was macht die Opposition?

Eine Regierungspartei, die das Land erst ins Chaos stürzt und sich danach vor allem mit sich selbst beschäftigt: Ein Traum für die Konkurrenz. Doch auch Nigel Farage von der Brexit-Partei von Ukip, dessen Wahlkampflügen immer deutlicher erkennbar werden, ist abgetaucht, die EU-freundlichen Liberaldemokraten sowieso. Und die Oppositionspartei Nummer 1 zerlegt sich leider gerade selbst.

Die Gegner von Labour-Parteichef Jeremy Corbyn werfen ihm vor, nicht entschieden genug gegen den Brexit gekämpft zu haben. Nicht zu Unrecht; auch wenn es vielen mehr um Corbyns linken Kurs geht.

Ein Misstrauensvotum hat gnadenlos vorgeführt, dass Corbyn bei den eigenen Leuten zur Unperson geworden ist. Zurücktreten will er bisher nicht - immerhin hat die Basis ihn erst 2015 gewählt. Die dürfte bald nochmal ranmüssen.

Das kann dauern

Bis die Briten mit ihre Familienaufstellung fertig sind, werden also mindestens zehn Wochen vergehen - ausgefüllt mit unterhaltsamen Miniaturdramen zwischen Shakespeare, Meuterei auf der Bounty und TV-Schmonzette. Die Ungeduld unter Britanniens Wählern und den EU-Partnern aber wächst. Um zur Abwechslung Goethe zu zitieren: Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen.


13

Kommentieren

Truderinger, Freitag, 01.Juli 2016, 17:51 Uhr

1. Nicht nachahmenswert!

Hoffentlich kapiert jetzt jeder, was rechte Populisten können: Zerstören und kaputt machen! Sonst absolut nichts! Politik ist halt doch mehr als besorgt sein und Hass verbreiten!