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Post von der Insel "Ich fühle mich nicht mehr willkommen"

Die Deutsche Ingrid Hassler lebt seit 35 Jahren in Großbritannien. Am Abend des Referendums hat sie sich hingesetzt und einen Brief an uns geschickt, in dem sie ihre Erfahrungen schildert. Die sind natürlich subjektiv - aber reichlich desillusionierend.

Stand: 24.06.2016

Roter Briefkasten in Großbritannien | Bild: picture-alliance/dpa

"Während meiner dreieinhalb Jahrzehnte habe ich, vor allem in den 80er-Jahren, etliche hundert britische Studenten an der Universität Cambridge unterrichtet und mich über ihr Interesse an deutscher Sprache, Kultur und Literatur gefreut. Gemeinsam lachten und weinten wir, als die Mauer fiel.

Dann kam der Fremdspracheneinbruch in Großbritannien, zuerst an den Schulen und dann an den Unis. Vor allem für Deutsch. Französisch ist nach wie vor weniger dezimiert. Dies war ein Vorzeichen auf das, was kommen würde, nämlich das Wiederaufleben des "Little Engländers". Aber das konnte ich damals noch nicht erkennen. Was ich wohl erkannte war, dass die Studentenzahlen für Deutsch wegbrachen. Also machte ich mich auf nach London und arbeitete mehr als 20 Jahre lang für die BBC als "Current Affairs"- Journalistin und Produzentin.

Integriert, aber nicht drin

Ich bezahle meine Steuern und meine Sozialabgaben wie jeder andere Bürger dieses Landes. Ich bin nie kriminell aufgefallen und habe auch nicht vor, dies zu tun. Ich kaufte ein Haus in London, engagierte mich in meiner Freizeit für meinen Stadtteil und für meine Nachbarn und fühlte mich gut integriert. Die Idee, mir einen britischen Paß zuzulegen, kam mir deshalb nie. Bis dato, meinte ich, gab es für mich als EU Mitglied dafür auch keine Notwendigkeit (ganz abgesehen von der Tatsache, dass ein britischer Paß mehr als £ 1000 Pfund kostet und ich auch nach 35 Jahren hier mich nicht nur einem Englischtest unterziehen muß, sondern auch ein Examen ablegen muß über "Das Leben in Großbritannien", das unter anderem so wichtige Fragen stellt wie: Welche zwei britischen Filmschauspieler waren kürzlich Oskarpreisträger? Letzteres Examen allein kostet £50.

Der Brexit ändert alles

Leider hat sich mit dem Start der Brexit Referendum Kampagne schlagartig verändert: Britische Rechtsanwälte, die sich auf Einwanderungsfragen spezialisieren, können sich vor besorgten Anfragen von lang ansässigen EU Mitgliedern in Großbritannien nicht mehr retten. Seit langem weiß ich und habe ich selbst erfahren, dass viele in der britischen Bevölkerung latente anti- Deutsche Gefühle und Gedanken hegen. Leider tauchen diese immer wieder periodisch auf , meistens im Zusammenhang mit Fußball . Das EU Referendum ist zeitgleich mit den Europameisterschaften in Frankreich ....

Jetzt, wo ich hier in London am Abend des EU Referendums sitze, meine Nägel kaue und hoffe, dass die "Little Engländer " Mentalität im Endresultat NICHT überwiegt, muß ich trotzdem zugeben, dass, egal wie das EU Referendum ausgehen wird, ich mich hier nicht mehr willkommen fühle. Und das ist sehr schade."

Ingrid Hassler


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Lotti, Freitag, 24.Juni 2016, 13:33 Uhr

3. Komm zurück

Komm zurück, Ingrid.
Wir brauchen hier Deutschlehrer für Zuwanderer.
Wetter und Essen sind (normalerweise) hier auch besser.
Welcome back!

rowed, Freitag, 24.Juni 2016, 13:25 Uhr

2. Brexit

Das kommt dabei heraus, wenn stupider Wirtschaftsneid, unverdauter Empirewahn und banaler Nationalismus und Rassismus zusammentreffen; das ganze mehr oder weniger latent geschürt sowohl von angeblichen Befürwortern und offen von Gegnern der EU.

Uri Bayer, Freitag, 24.Juni 2016, 12:20 Uhr

1. Heimat

Komm nach Hause!