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Drama 3096 Tage

Es ist ein Verbrechen, das die Welt schockierte: Im Alter von zehn Jahren wird Natascha Kampusch entführt. Ihr Peiniger hält sie 3096 Tage in seinem Haus gefangen. "3096 Tage", das letzte Drehbuchprojekt von Bernd Eichinger, erzählt ihre Leidensgeschichte.

Von: Margret Köhler

Stand: 26.02.2013 | Archiv

Die Geschichte der spektakulären Entführung ist bekannt. Am 2. März 1998 wurde die zehnjährige Natascha Kampusch auf dem Schulweg vom arbeitslosen Wolfgang Priklopil in einen weißen Kastenwagen gezerrt und in einen fensterlosen Kellerraum gesperrt. Für achteinhalb Jahre, sprich 3096 Tage, ein Gefängnis in größter Isolation, mit Schlägen, erzwungenem Sex, Hunger und Demütigung. Erst 2006 gelang ihr die Flucht, am selben Tag warf sich ihr Peiniger vor den Zug.

Das letzte Projekt von Bernd Eichinger

Der arbeitslose Wolfgang Priklopil (Thure Lindhardt) beobachtet die zehnjährige Natascha Kampusch schon länger. Sie soll nur ihm gehören!

Erfolgsproduzent Bernd Eichinger interessierte sich  für die Einmaligkeit der grausamen Story, und nach längerem Zögern willigte die junge Frau, die ihre Autobiografie unter dem Titel "3096 Tage" veröffentlicht hatte, in die Verfilmung ihres Martyriums ein. Nach dem plötzlichen Tod Eichingers führte Ruth Toma die Arbeit am Drehbuch fort, die Regie übernahm Sherry Hormann ("Anleitung zum Unglücklichsein"). Sie nähert sich dem schwierigen Sujet mit größtmöglicher  Zurückhaltung, Behutsamkeit sowie großer Integrität. Und sie erspart uns in diesem Kammerspiel nichts.

Spannende und subtile Darstellung eines Martyriums

Filminfo

Originaltitel: 3096 Tage (D, 2013)
Regie: Sherry Hormann
Darsteller: Antonia Campbell-Hughes, Thure Lindhardt, Amelia Pidgeon
Länge: 109 Min.
FSK: ab 16 Jahre
Kinostart: 28. Februar 2013

Obgleich der Ausgang des Dramas bekannt ist, gelingt Hormann eine atmosphärisch dichte, spannende und subtile Darstellung des Täter-Opfer-Verhältnisses, die Einsamkeit des kleinen Mädchens – von der schauspielerisch unerfahrenen Amelia Pidgeon großartig dargestellt -, das nach seiner Mama weint, eine Klinke auf die Eisentür zeichnet und verschüchtert ihrem Entführer gehorcht. Dem Muttersöhnchen Priklopil geht es ums Gehorchen, wie einen Befehl bellt er das Wort immer und immer wieder. Natascha betrachtet er als ein Geschöpf ohne Familie, das nur ihm gehört. Deshalb muss sie als Heranwachsende (Antonia Campbell-Hughes) auch einen neuen Namen annehmen, Bibiana.

Der Film geht zu weit

Priklopil demütigt sein Opfer ... und zwingt das Mädchen nach ein paar Jahren schließlich auch zum Sex.

In ihrem Buch verzichtete Kampusch auf Sex-Szenen, im Film konnte sie sie nicht „verhindern“, wie sie in einer Talkshow verriet. Das Verschweigen garantierte ihr ein letztes Stück Privatsphäre und Intimität. Beides wird ihr jetzt rigoros entrissen. Drehbuchautorin Ruth Toma gab zu, Kampusch habe den fertigen Film nicht „abgenommen“, sie durfte nur das Drehbuch lesen. Die inzwischen 25-Jährige äußerte öffentlich ihre Zufriedenheit mit dem fertigen Werk. Und gerade das Lüften des letzten Geheimnisses erweist sich als großes Manko: Wenn sich Michael Ballhaus` Kamera immer einen Moment zu lange auf ihre zu großen Feinripp-Unterhosen fokussiert, fühlt sich der Betrachter wider Willen als Voyeur. Die Vergewaltigungsszenen rufen Unwohlsein hervor. Gut gelöst dagegen die Visualisierung der imaginären Fluchten raus aus der Realität.

Im Vorfeld stieß das Projekt auf Skepsis, Befürchtungen und Ängste. Die räumt der fertige Film auch nicht aus. Der Entführer Priklopil hat dieser jungen Frau ein Stück Leben gestohlen und irreparablen Schaden zugefügt. Und hier wird Natascha Kampusch trotz ihres Überlebenswillens noch einmal ein Stück Leben genommen.


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