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Praktikum in Japan "Ich wollte etwas erleben, das mir komplett unbekannt war“

Matti Lorenzen war in Tokio für ein Praktikum bei einer IT-Firma. Er hat die japanische Kultur für sich entdeckt und den Inselstaat erkundet. Was er in Japan so erlebt hat, erzählt er in seinem Bericht.

Von: Matti Lorenzen

Stand: 11.12.2015

Matti Lorenzen in Tokyo | Bild: Matti Lorenzen

Japan fasziniert mich schon seit langem sehr, weil ich gerne Orte auf der Welt erkunde, die sich von Deutschland stark unterscheiden. Außerdem fand ich es besonders interessant, dass man in diesem Land so viele Gegensätze vorfindet: Uralte Traditionen stehen hier im Kontrast zu Innovationen auf dem Gebiet der Technik. Gerade für mich als Informatikstudent ist das Land auch fachlich sehr interessant. Deshalb war es für mich wichtig, nicht nur Urlaub in Japan zu machen, sondern über das IAESTE Programm des DAAD praktische Erfahrung im Ausland zu sammeln. Das IAESTE steht für International Association for the Exchange of Students for Technical Experience und ist die größte Praktikumsbörse für Studierende der Natur- und Ingenieurwissenschaften, Land- und Forstwirtschaft.

"In meiner Zeit in Japan ging es mir darum, einfach meinen eigenen Horizont zu erweitern; etwas zu erleben, das mir bislang komplett unbekannt war."

Matti Lorenzen

Das Klischee sagt ja immer, dass in vielen asiatischen Ländern die Arbeitsmoral der Bevölkerung deutlich höher ist als in Zentraleuropa, doch dass man so viel arbeiten "muss“, damit hatte ich nicht gerechnet. In Japan gilt es als Unsitte, wenn man vor dem Chef geht, beziehungsweise nach ihm zur Arbeit kommt. Es hängt also viel davon ab, wie lange der Chef arbeitet. Der Leiter meines Departments ist ein Workaholic, sodass der Großteil der Kollegen vor acht Uhr morgens kam und nach acht Uhr abends ging. Einige nutzten sogar ihre Mittagspause, um ein wenig Schlaf nachzuholen und wieder voll einsatzbereit zu sein. Dann ging es meist bis tief in die Nacht weiter mit der Arbeit. Ich war zwar an die Arbeitszeit eher weniger gebunden, aber ich wollte natürlich nicht immer derjenige sein, der am frühsten geht. Also habe ich doch deutlich mehr als die vereinbarten vierzig Stunden gearbeitet.

In meinem Praktikum ging es um die Forschung an zukünftigen Internetarchitekturen. Ich habe viele wissenschaftliche Publikationen gelesen und dann versucht, dort vorgeschlagene Methoden auf das eigene Projekt zu übertragen. Danach haben wir anhand verschiedener Simulationen getestet, ob die Performance sich verbessert hat.

Endlich Feierabend: Matti lässt es sich mit seinen Kollegen in einer Izakaya, einer japanischen Gaststätte, schmecken.

Nach der Arbeit bin ich mit den anderen Praktikanten meiner Firma mit der U-Bahn 35 Minuten in das Stadtzentrum Tokios gefahren. Dort haben wir uns dann mit den anderen IAESTE Mitgliedern und den Praktikanten aus ganz Tokio getroffen. Es ging in der Regel in japanische Bars oder in die sogenannten Izakaya. Dort wird man in der Regel zwei Stunden lang mit Essen und Getränken versorgt - zu einem Fixpreis.

Faschingsball? Falsch! Schrille Kostüme gehören in den Karaokebars von Tokio meist dazu

Nach dem Essen geht’s dann meistens weiter in eine der zahllosen Karaokebars. In einigen bekommt man sogar noch bunte, schrille Kostüme, als wenn man sich nicht schon so lächerlich machen würde. Die Wochenenden haben wir immer genutzt, um die Umgebung  zu erkunden.

Matti mit seinen Kollegen vom IAESTE am Amida-Buddha im Kōtoku-in-Tempel von Kamakura

Alles, was innerhalb von vier Stunden erreichbar war, wurde auf Sehenswürdigkeiten geprüft. Was uns interessiert hat, haben wir als IAESTE-Gruppe besichtigt. So haben wir zum Beispiel den Fuji bestiegen, in einem Dojo ein Ninja-Training gemacht oder Onsen, eine japanische Badetradition ausprobiert. Die  Gruppenreisen waren gut, da es gerade am Anfang sehr schwierig ist, alleine zurecht zu kommen.

Für ihre schöne Küstenlandschaft berühmt: Die Insel Miyajima südwestlich von Hiroshima

Vor allem die Sprache stellt ein großes Problem im Alltag dar. Lediglich ein kleiner Teil der japanischen Bevölkerung spricht Englisch. Obwohl ich ein Jahr lang Japanisch gelernt habe, konnte ich mich nur in den seltensten Fällen verständigen. Letztendlich hat man aber doch "mit Hand und Fuß“ oder mit Hilfe von japanischen Freunden irgendwie  kommuniziert.

"Fachlich war mein Aufenthalt ebenfalls sehr wertvoll für mich, weil ich ganz neue Konzepte und Forschungsarbeiten kennenlernen konnte."

Matti Lorenzen

Der buddhistische Kinkaku-ji ist ein goldener Pavillon-Tempel in Kyōto

Bei der Arbeit war Japanisch  aber kein Problem, da Englisch als weltweite Sprache der Wissenschaft etabliert ist. Allerdings musste ich mich an kulturelle Unterschiede gewöhnen. So hatten wir zum Beispiel immer montags ein Treffen der gesamten Abteilung, bei der Ziele und Ansätze für die Woche diskutiert wurden. Während meines zweiten Meetings hatte der Abteilungsleiter einen Ansatz vorgeschlagen. Nachdem niemand etwas sagte, habe ich gefragt, ob es nicht vielleicht auf eine andere Weise besser wäre. Alle meine Kollegen haben mich sofort schockiert angesehen: Dem Chef widerspricht man in Japan nicht. Schon gar nicht, wenn er deutlich älter ist.

Dem Chef hat es aber glücklicherweise gefallen, weil der Einwand hilfreich war.  Er hat sich nach dem Meeting bedankt und mich dann über diesen kulturellen Unterschied aufgeklärt.

Das Herz der japanischen Mangakultur: Akihabara, eine Elektronikmeile in Tokio

Kulturelle Unterschiede sind überhaupt erwähnenswert, wenn man über Japan spricht. Vollkommen überwältigt wird man, wenn man das erste Mal durch Akihabara, das Zentrum der japanischen Manga- und Animekultur geht. Es ist laut, überall sieht man bunte Bilder und Figuren – man kann es wirklich kaum beschreiben. Dort gibt es auch die verschiedensten Einrichtungen wie zum Beispiel Katzen- oder Eulencafés, für die man Eintritt bezahlt und dann mit Katzen kuscheln darf oder eine Eule auf die Schulter bekommt.

Ich finde, das passt gar nicht zu dem eher zurückhaltenden, schon fast schüchternen Auftreten der Japaner. Es wirkt, als wäre jeder in der Lage, wie auf Knopfdruck aus dem seriösen Modus entschwinden zu können. Während einer Reise sieht man bereits sehr viel von einem Land, aber das geht mir persönlich zu schnell.

Matti hat viele Seiten von Japan gesehen: Moderne Technikwelten und jahrhundertealte Kultur. Hier die mittelalterliche Burg von Nagoya

Man lernt ein Land doch nur wirklich kennen, wenn man sich die Zeit nimmt, um wirklich dort zu leben, zu arbeiten und sich einen kleinen Freundeskreis aufzubauen. Deshalb wählte ich ein IAESTE Praktikum  anstatt auf eigene Faust durch Japan zu reisen. Insgesamt war es ein sehr gelungener Auslandsaufenthalt, den ich keine einzige Sekunde missen möchte.

Länderinfo: Japan

  • Japan gilt als das Land der Vulkane. Weil der Inselstaat über insgesamt vier tektonischen Platten liegt, gibt es immer wieder in unregelmäßigen Abständen Erdbeben. Etwa vierzig Vulkane sind derzeit aktiv. Der größte von ihnen ist der Fuji mit circa 3700 Metern.
  • Japan umfasst 6852 Inseln.
  • Die Monarchie Japans gehört zu den ältesten der Welt. Die parlamentarische Monarchie hat ein Unter- und ein Oberhaus. Tennō Akihito ist der kaiserähnliche Vorsitzende.
  • In Japan gibt es  über 750 Universitäten (Daigaku), 400 Junior Colleges (Tanki Daigaku) und 60 Technical Colleges (Kôtôsenmongakkôohne Universitätsstatus. Die wichtigste Rolle spielen dabei die privaten Bildungseinrichtungen: Sie machen drei Viertel der Hochschulen aus und ihre Zahl wächst weiter. Die privaten Hochschulen sind zumeist internationaler ausgerichtet und auf bestimmte Fachbereiche spezialisiert.
  • Großes Handicap für ausländische Studierende: Englischsprachige Kurse werden meistens nur im Rahmen einiger Austauschprogramme beziehungsweise an besonders international ausgerichteten Hochschulen angeboten. Allerdings will die japanische Regierung die Zahl der ausländischen Studierenden bis zum Jahr 2020 verdreifachen.

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