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Norwegen Wenn Reichtum den Wohlstand gefährdet

Der alte Hafen von Bergen, in den Sommermonaten ein Magnet für Touristen aus der ganzen Welt. Vielen gilt Norwegen als Traumland: Die Einkommen sind hoch, die Arbeitszeiten niedrig.

Von: Arndt Wittenberg

Stand: 21.09.2014 | Archiv

Blick vom Wasser auf Bergen | Bild: BR

Doch genau dieser Wohlstand wird langsam zum Problem: Den Norwegern geht es gut – zu gut, sagen viele.

Ein ganz normaler Wochentag im August. Gerade ist ein Kreuzfahrtschiff aus Italien angekommen und auf dem Fischmarkt drängen sich die Touristen. Doch Norweger arbeiten hier kaum noch. Es sind vor allem Asiaten und Spanier, die die Meeresfrüchte anpreisen.

Pettar Arnesen

Auch in den umliegenden Bars und Restaurants finden sich kaum noch norwegische Arbeitskräfte. Ein Job in der Gastronomie ist eben nicht populär, das weiß auch Pettar Arnesen. Der 45-Jährige betreibt zusammen mit zwei Partnern ein Dutzend Lokale in Bergen. Pettar beschäftigt rund 200 Mitarbeiter, die allermeisten davon Ausländer. Harte körperliche Arbeit mit Dienstzeiten bis in die Nacht – nur wenige junge Norweger wollen so noch jobben. Warum schuften – etwa als Bedienung – für 60, 70 Euro Lohn am Tag, wenn Daddy so viel verdient, dass er das Geld auch so spendieren kann?

"Wir beschäftigen Schweden, Engländer, Letten, Polen, Leute aus Deutschland, USA und Spanien – viele Nationalitäten. Besonders schwierig ist es, gute Köche zu finden. Viele Köche arbeiten auf den Ölplattformen oder in den großen Firmenkantinen und werden dort sehr gut bezahlt. Wir müssen deshalb Leute aus dem Ausland holen und sehr hohe Löhne zahlen, mehr als realistisch wäre."

Pettar Arnesen, Restaurantbesitzer

Hohe Löhne für die Köche – das lässt die astronomischen Preise für die Gerichte weiter ansteigen. In dem Hafenlokal von Pettar Arnesen kostet ein Hamburger mit Pommes mittlerweile 23 Euro – für norwegische Verhältnisse nicht überteuert.

Die Ölraffinerie Mongstad bei Bergen: Hier ist das Fundament des norwegischen Wohlstands zu besichtigen. Durch die Ölfunde in der Nordsee ist das ehemals arme Königreich ist zu einer der reichsten Nationen der Welt aufgestiegen. Doch der Reichtum zeigt seine Schattenseiten: Der Boom in der Ölindustrie hat die Löhne und Preise zu schnell steigen lassen. Viele Norweger arbeiten immer weniger. Nach 16 Uhr sind Fabriken, Firmen und Büros wie ausgestorben. Man widmet sich der Familie oder geht Freizeitbeschäftigungen nach.

Freizeit – davon hat Siri Slettebakken mehr als genug. Die Prozesstechnikerin arbeitet seit über 30 Jahren auf einer Bohrinsel draußen in der Nordsee. Ein harter Job, aber unglaublich lukrativ: Ganze vier Monate arbeitet sie im Jahr, das bedeutet acht Monate Freizeit – und das bei vollem Gehalt plus 50 Prozent Zuschlag. Zwei Wochen Arbeit auf der Plattform, und dann hat Siri wieder vier Wochen frei. Die 50-Jährige hat unendlich Zeit für Reisen und ihre Lieblingsbeschäftigung: Sport. Ob man so auf Dauer glücklicher ist?

"Viele packen das nicht und müssen wieder aufhören – vor allem diejenigen, die Familie haben. Die Kinder vermissen ihre Eltern zu sehr oder auch umgekehrt. Für mich als Single ist es sehr wichtig, dass ich Hobbies habe, um die vier Wochen Freizeit immer wieder zu überbrücken. Ein Vereinsleben beispielweise ist sehr schwierig. Das muss man mögen, diesen Rhythmus, das ist ein sehr spezieller Lebensstil. Aber wenn du ein Hobby hast oder gerne reist, so wie ich, dann ist es perfekt."

Siri Slettebakken, Arbeiterin auf einer Ölplattform

Am nächsten Tag muss Siri wieder raus auf die Plattform, vorbei an tausend kleineren und größeren Inseln, die vor Bergen in der Nordsee liegen. Ganz weit draußen liegt Bömlo – eine Schönheit mit karger Natur. An diesen einsamen Flecken hat es Kate Erikson hin verschlagen, eine Modeunternehmerin, die gerade mit einer neuen Geschäftsidee von sich reden macht.

Kate Erikson

In ihrer kleinen Werkstatt entwickelt Kate Schuhe und Taschen aus Fischhäuten. Bislang galten die Häute nur als nutzloses Abfallprodukt der norwegischen Fischereiindustrie. Kate Eriksons revolutionäre Idee: sie macht aus dem Fischmüll nun edlen Werkstoff für nachhaltige Luxusmode. Die Fischhäute werden nach Island geschickt, dort aufwendig gegerbt und kommen dann wieder zurück zur Weiterverarbeitung.

"Viele verarbeiten ja Leder von der Pythonschlange oder vom Krokodil - also Tiere, die gefährdet sind oder nur dafür gezüchtet werden. Ich dagegen nutze ein heimisches Abfallprodukt, von Fischen, die wir alle gern essen: nämlich Fischhäute vom Zuchtlachs und vom Steinbutt. Und daraus lasse ich edle und schicke Taschen und Schuhe fertigen."

Kate Erikson, Unternehmerin

Gerade ist die neue Kollektion für 2015 geliefert worden. Anfangs hatte Kate geplant, die Schuhe in Norwegen produzieren zu lassen. Die hohen Produktionskosten hätte sie hingenommen, wenn die Qualität gestimmt hätte. Doch das Ganze wurde ein Flop. Keine Fabrik war in der Lage, ihre Schuhe zu fertigen.

"Wir haben noch drei Schuhfabriken in Norwegen. Die eine produziert nur noch Clogs, eine andere nur Mokassins. Und wir haben die Schuhfabrik in Voss, wo wir versucht haben, unsere Schuhe produzieren zu lassen. Aber die waren nicht fähig, neu zu denken. Die konnten unsere Schuhe einfach nicht fertigen."

Kate Erikson

Auch das eine Folge des Ölbooms: Das Handwerk stirbt langsam aus in Norwegen. Kate Erikson hat Konsequenzen gezogen. Sie ist mit der Produktion ihrer Schuhe abgewandert, nach Portugal.

Mangelndes Knowhow und hohe Löhne – wie kann Norwegen so konkurrenzfähig bleiben? Die Bergener Handelskammer hat deshalb 80 junge Akademiker aus dem Ausland zu einem Angelausflug geladen: Leistungsträger der Zukunft, die in Norwegen gerade ihr Studium abschließen. Das Ganze ist nicht irgendein Freizeittrip, sondern Teil einer großangelegten nationalen Kampagne. Wissenschaftlern aus China, Spanien und Pakistan soll die norwegische Lebensart nahe gebracht werden, denn wer die raue Natur hier lieben lernt, der bleibt vielleicht auch und hilft so, Norwegen konkurrenzfähig zu halten. Der Plan geht auf: Viele sind begeistert an diesen Nachmittag.

"Die Möglichkeiten sind wirklich unbegrenzt in Norwegen und das ist wirklich eine tolle Sache. Geld für die Wissenschaft ist da und man wünscht sich eigentlich nichts mehr, als seine Wissenschaft zu betreiben und das ist hier möglich. Das ist toll."

Anne-Marie Kummer, Meteorologin

Fischen als Köder für qualifizierte Akademiker. Solange die Ölquellen sprudeln und Top-Gehälter gezahlt werden, könnte diese Rechnung aufgehen. Doch was, wenn Löhne und Preise immer weiter, immer schneller steigen? Langsam wird den Norwegern klar: Der Erfolg aus Ölreichtum gefährdet langsam den eigenen Wohlstand.


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Bettina Wittenberg, Montag, 29.September 2014, 12:17 Uhr

1. Beitrag online nochmal ansehen?

Hallo,
kann man diesen Beitrag nochmal anschauen online?

viele Grüße und Danke!
Bettina Wittenberg

  • Antwort von Redaktion euroblick, Montag, 29.September, 21:56 Uhr

    Der euroblick ist in der Mediathek bis auf ausgewählte Beiträge nicht zu sehen. Die einzige Möglichkeit ist, sich einen kostenpflichtigen Mitschnitt über den Zuschauerservice (zuschauerservice@br.de) zu bestellen. Sorry und schöne Grüße, Ihr euroblick