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Korsika Die neue Form von Nationalismus auf der Insel

Tagsüber beliefert er Restaurants mit Kaffeebohnen, abends kommentiert er die Aktualität auf Facebook. Der Korse Arnaud Seassari sieht sich als Jugendidol und Entertainer, der im Internet mit markigen Sprüchen auftritt.

Von: Susanna Dörhage

Stand: 18.09.2016 | Archiv

Arnaud Seassari auf Facebook | Bild: BR

Auch zu Terroranschlägen, wie dem im Juli in Nizza. Die Kommentare bringen ihm Likes en masse.

"Präsident Hollande, kannst du mal rüberkommen und mir erklären, zu was der Ausnahmezustand dient, wenn dann so ein Typ mit seinem LKW einfach über den Bürgersteig fahren und 84 Menschen töten kann!"

Arnaud Seassari auf Facebook

Parole: Islamfeindlichkeit

Tausende junge Korsen folgen Seassari, der offen islamfeindliche Parolen ausgibt. Die Muslime sollten sich an die korsische Kultur anpassen und ihre eigenen Gepflogenheiten am besten aufgeben.

Hier wohnt Seassari, in einem Sozialwohnungsviertel in Bastia, in dem auch viele junge Marokkaner leben. Er und seine Freunde sehen sich als Ordnungshüter, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.

"Schaut mal, das Paesano-Viertel hier, das gilt als sensibel; das ist es aber gar nicht. Wenn einer hier die Ruhe der anderen stört, dann zögern wir nicht, ihm das klarzumachen. Wenn das nichts hilft, dann gehen wir zu härteren Methoden über. Wir schütteln ihn oder geben ihm eine ordentliche Ohrfeige. Wir machen die Justiz hier selber. Die Korsen haben heißes Blut."

Arnaud Seassari

Arnaud Seassari

Anfang des Jahres reiste Seassari sogar nach Ajaccio im Süden der Insel. Dort zog er mit hunderten anderer junger Rechtspopulisten durch ein Einwandererviertel, nachdem aus Marokko stammende Jugendliche dort Feuerwehrleute mit Steinen beworfen hatten. Eine Machtdemonstration gegenüber den Muslimen, die Mohamed Lamrini und Mohamed Zerhyou für absurd halten, denn mit den Steine werfenden Jugendlichen wollen sie wie die allermeisten der 30.000 Muslime auf der Insel nichts zu tun haben. Trotzdem fühlen sich die aus Marokko stammenden Männer jetzt unter Druck. Ende April brannte ihr Gebetssaal in Ajaccio nach einem Einbruch aus.

"Diese Korane haben wir gerade noch retten können. Aber sie riechen nach Rauch."

Mohamed Zerhyou

Die Angst der Muslime

Mohamed Zerhyou und Mohamed Lamrini

Die Muslime vermuteten, dass junge Nationalisten dahinter stecken. Auch wenn die Polizei das letztlich nicht bestätigen konnte, die Angst ist geblieben.

"Unsere Schwestern werden beschimpft, wenn sie das Kopftuch tragen; es wird mit dem Finger auf sie gezeigt. Bislang ist es bei Beschimpfungen geblieben, aber wir befürchten Schlimmeres. Dieser ganze Hass, der auf einmal aufkommt, der macht uns Sorgen. Wir haben Angst um unsere Kinder, um unsere Frauen, um unsere Familien. Und dieses Gefühl, das ist nicht einfach zu ertragen."

Mohamed Lamrini

Jean Biancucci

Die Muslime auf der Insel unter Druck setzen – damit ist die alte Garde der korsischen Nationalisten, zu der Jean Biancucci gehört, nicht einverstanden. Sein Gegner war immer der Zentralstaat in Paris. Erst vor zwei Jahren beendete Biancuccis korsische Befreiungsfront den bewaffneten Kampf. Die Bewegung war geschwächt, von der Mafia unterwandert. Und Paris hatte sich auf die Korsen zubewegt und Verhandlungen über eine Unabhängigkeit in Aussicht gestellt. Heute sitzt Biancucci als Fraktionsvorsitzender der Autonomistenfraktion im Regionalparlament und im Gegensatz zu Seassari will er die Insel zu einem toleranten Vorzeigeeiland machen:

"Meine Philosophie ist ganz einfach: für mich ist das korsische Volk eine Schicksalsgemeinschaft. Ein wahrer Korse, der muss nicht nur auf Korsika leben. Der muss vor allem Korsika in seinem Herzen tragen. Das ist noch wichtiger hier auf der Insel als auf dem Kontinent. Zu der Schicksalsgemeinschaft können alle hier gehören, ob sie Katholiken, Protestanten oder Muslime sind."

Jean Biancucci

Nicht auf Versöhnungskurs

Von den neuen friedfertigen Methoden der Befreiungsbewegung hält Seassari nichts. Er sieht sich selbst gern in der Tradition des bewaffneten Kampfes.

"Sie hätten den bewaffneten Kampf nie aufgeben dürfen. Damals haben sie schon dafür gesorgt, dass hier nicht jeder macht, was er will. Jetzt haben manche die Waffen niedergelegt, um sich in ein gutes Licht zu stellen. Aber in Wirklichkeit gibt es auch jetzt noch bewaffnete Kämpfer."

Arnaud Seassari

Die Rhetorik der jungen Rechtsnationalisten trägt Früchte. Eine geheime Splittergruppe der korsischen Nationalisten gab inzwischen bekannt, sie sei bereit sich zu bewaffnen, diesmal gegen den IS! Ein Zeichen dafür, dass Biancucci und seine Fraktion "Femu a Corsica", zu Deutsch "Wir machen Korsika" an Einfluss verlieren. Was sie jetzt bräuchte, wäre, dass Paris der Insel auch tatsächlich mehr Autonomie gewährt.

"Ich bin besorgt, denn Frankreichs Regierung stellt sich völlig taub, was all unsere Forderungen angeht, selbst wenn wir hier sogar einstimmig entscheiden. Und man weiß, dass in diesem Falle auch die Gewalt wieder hochkommt. Und dann haben wir ein Riesenproblem."

Jean Biancucci, Fraktionsvorsitzender Femu a Corsica

Die Gewalt, sie könnte sich diesmal auch gegen Muslime richten. Und Hitzköpfe unter ihnen könnten entscheiden, sich mit Waffen zu wehren. Seassari stört das nicht. Er treibt ein gefährliches Spiel, bei dem er sich offenbar wohl fühlt.


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