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Bulgarien Die Jugend kehrt zurück

Mit Gelassenheit und Zuversicht in die Zukunft blicken – das Bildnis des bulgarischen Schriftstellers Aleko Konstantinov in der Fußgängerzone Sofias entspricht allerdings kaum der Stimmung in Bulgarien.

Von: Michael Mandlik

Stand: 14.01.2018 | Archiv

Sofia | Bild: BR

Nikolay Nikolov

Die Menschen im ärmsten Land der EU haben vielerorts unter Kriminalität, Korruption und Misswirtschaft zu leiden. Eine Perspektivlosigkeit, die viele, vor allem besser ausgebildete Jugendliche geradezu zur Auswanderung drängt. Zu ihnen gehört auch Nikolay: Der junge Medizinstudent wird seine Ausbildung an der Universität von Sofia im kommenden Jahr abschließen. Seine Zukunft als Facharzt für Radiologie sieht er aber nicht hier, sondern in Deutschland.

"Meine Motivation, als Fachmediziner nach Deutschland zu gehen, ist der Zugang zu modernem medizinischen Gerät dort und die besseren Bedingungen, um sich entsprechend fortzubilden."

Nikolay Nikolov, Medizinstudent Sofia

Die anderen, die auch wegwollen, denken, so Nikolay, ganz ähnlich wie er. Denn zwei Missstände im Land nerven die Jungen am meisten: der oftmals skandalös geringe Verdienst sowie die allgegenwärtige Korruption.

"Korruption, Bestechlichkeit – das ist hier momentan das Problem. Hoffen wir, dass das allmählich ausgemerzt wird. Erst dann wird Bulgarien eine Chance haben."

Nikolay Nikolov, Medizinstudent Sofia

Christian Mitov

23.000 Jugendliche haben so allein im vergangenen Jahr Bulgarien den Rücken gekehrt, aber – ein neuer Trend – im gleichen Zeitraum waren 11.000 zurückgekommen und die meisten von ihnen mit hoher Qualifikation, so wie Christian: Der 33-Jährige hat nach Beendigung seines Wirtschaftsstudiums in Düsseldorf vor fünf Jahren ein Touristikunternehmen hier in Sofia gegründet. Alles begann mit einem alten Trabi, mit dem er Urlauber durch die Stadt kutschierte:

"Die Trabiführungen machen wir, damit wir das kommunistische Leben in Bulgarien zeigen können, wie man damals gelebt hat. Ein Teil davon ist natürlich, wie man sein Auto gefahren hat; und deshalb haben wir die Trabis ausgewählt. Das ist ein Symbol, ein kommunistisches Auto, sozusagen."

Christian Mitov, Touristikunternehmer

Seine "Communist Tour" zu baulichen Zeitzeugen aus der kommunistischen Vergangenheit Sofias war von Beginn an ein Erfolg. Heute besitzt er sechs Trabis und beschäftigt mehrere Angestellte. An die 25.000 Kunden zählt Unternehmer Christian pro Jahr, für ihn ist Bulgarien gerade jetzt das Land für gewinnbringende Investitionen:

"Es gibt viel mehr Möglichkeiten, in Bulgarien etwas Neues anzufangen als in Deutschland, viele Konzepte, die in Deutschland oder im Westen funktionieren, in Bulgarien zu implementieren."

Christian Mitov

Gergana Manolova

Zum Beispiel: Haute Cuisine über den Dächern Sofias. Ein Küchengroßbetrieb mit 50 Angestellten, dazu 50 weitere im angrenzenden Restaurant, an die 1000 Speisegäste pro Tag, eine brandneue Gastronomie auf dem Dach eines Hochhauses mit Traumblick auf die Stadt. Generalmanagerin ist die erst 24-jährige Gergana. Studiert hat sie in Wien und London. Mit einem Masterabschluss in Wirtschaftswissenschaften hat die Bulgarin erst vor fünf Monaten die Geschäftsführung des großen Restaurantbetriebes übernommen. Seitdem behauptet sie sich selbstbewusst in der traditionell männerdominierten bulgarischen Gastronomie.

"Ich bin unmittelbar nach meinem Universitätsabschluss zurückgekehrt, denn hier bot sich diese großartige geschäftliche Möglichkeit. Das konnte nicht warten. Das Land hier bietet so viele Möglichkeiten, die müssen einfach genützt werden, so wie ich das hier getan habe."

Gergana Manolova, Generalmanagerin Restaurant The View

Auch wenn sich Gergana in kürzester Zeit erfolgreich als Managerin und Gastronomin in Sofia etabliert hat: irgendwann wird sie weiterziehen. Denn, Europa ist nicht Stillstand, sagt sie, Europa ist Bewegung.


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