Dieser #Faktenfuchs ist erstmals am 8. September 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Darum geht’s:
- Rund um Wahlen verbreiten sich regelmäßig Gerüchte, die Zweifel an den Ergebnissen wecken sollen. Meist handelt es sich um falsche oder unbelegte Behauptungen.
- Zum Beispiel wird die Sicherheit der Urnen in Zweifel gezogen, obwohl die Regeln für deren Verschließbarkeit klar sind. Oder es wird ein Raunen über vermeintlich kriminelle Wahlhelfer verbreitet - ohne Belege und ungeachtet der Sicherheitsvorkehrungen, die für Wahlhelfer gelten.
- Zahlreiche Experten sagen: Die Größe einer Landtagswahl macht Fälschungen, die Einfluss auf das Ergebnis haben könnten, sehr unwahrscheinlich.
Wählen zu gehen, ist ein öffentliches und zugleich privates Ereignis. Es geht um Politik - und dabei um Persönliches. Auch um Gefühle. Und wie so oft in solchen Fällen - wie zum Beispiel bei den Themen Gewalt, Gesundheit oder Geld - kursieren auch zu Wahlen zahlreiche falsche oder unbelegte Informationen, und zwar immer wieder die gleichen. Es ist davon auszugehen, dass sie auch in Bayern zur Landtagswahl am 8. Oktober 2023 kursieren werden.
Gerüchte und Behauptungen zu Wahlen sollen verunsichern, Ängste, Sorgen, Zweifel oder Empörung aufgreifen und verstärken oder gar erst schüren. Sie werden eingesetzt, um das Vertrauen in die Institution der freien, gleichen und geheimen Wahl zu schwächen, die Ergebnisse in Zweifel zu ziehen und auch die Legitimität der Gewählten zu untergraben.
- #Faktenfuchs: Welchen Einfluss haben Wahl-Gerüchte?
Dieser #Faktenfuchs listet die "Dauerbrenner-Behauptungen" zu Wahlen auf - und erklärt, welche Strategien dahinter stecken.
Kein Wahlsystem ist hundertprozentig sicher - aber es gibt Sicherheitsvorkehrungen
Bei einer Wahl hierzulande sind grundsätzliche Sicherheitsmechanismen eingebaut. Thomas Gößl, der bayerische Landeswahlleiter, sagt im Gespräch mit dem BR24 #Faktenfuchs: "Wenn vor allem in sozialen Medien spekuliert wird über Wahlmanipulationen, dann übersieht das die Grundregeln einer Landtagswahl."
Die wichtigsten sind laut Gößl sowie laut Landeswahlgesetz und -ordnung:
- Die Wahl ist öffentlich. Jede und jeder kann im Wahllokal Stimmabgabe und Auszählung beobachten.
- Die Wahlvorstände sind plural zusammengesetzt. Die Gemeinden achten laut Landeswahlleitung darauf, dass Vertreter der unterschiedlichen Parteien dabei sind.
- Diese arbeiten immer mindestens nach dem Vier-Augen-Prinzip.
- Es gibt das Wählerverzeichnis.
Die fünf häufigsten Wahl-Mythen - und die Fakten
Irreführende Behauptungen gibt es dennoch häufig. "Im Prinzip sind es fünf Dinge, die immer wieder vorkommen", sagt die freie Analystin und Expertin für Desinformation und Rechtsextremismus Karolin Schwarz. Das deckt sich auch mit dem Social-Media-Monitoring des #Faktenfuchs, in dem seit Jahren rund um Wahlen besonders diese fünf Falschbehauptungen - in jeweils leicht abweichenden Spielarten - auftauchen, wie schon bei der Bundestagswahl 2021 oder der vergangenen Landtagswahl in Bayern 2018.
Gerücht Nr. 1: "Wahlhelfer lassen Stimmen verschwinden"
Häufig greifen die Behauptungen, die Zweifel säen sollen, Wahlhelfer an. "In dem Zusammenhang gibt es immer wieder Posts im Netz, die Falschbehauptungen enthalten und von irgendwelchen Trollen abgesetzt wurden, in denen es heißt: 'Wir haben uns angemeldet, als Wahlhelfende, um Stimmen zu verändern', also zum Beispiel AfD-Stimmen zu Grünen-Stimmen zu machen", sagt Karolin Schwarz.
Die Regeln für den Wahlvorgang machen eine derartige Manipulation extrem unwahrscheinlich. Hier sind die Gründe:
Wahlen in Deutschland sind öffentlich - und damit durch jeden kontrollierbar
Wahlen in Deutschland sind öffentlich. Das ist ein sehr wichtiges Prinzip für die Sicherheit der Wahl, es lässt sich aus Artikel 38 des Grundgesetzes ableiten: Bis zum vorläufigen Ergebnis kann sich jede und jeder im Wahlraum aufhalten und das Geschehen inklusive der Auszählung beobachten.
Auszählungen laufen immer mindestens nach dem Vier-Augen-Prinzip
Es gilt außerdem das Prinzip der gegenseitigen Kontrolle: Alle Zählungen bei der Ermittlung des Wahlergebnisses liefen nach dem Vier-Augen-Prinzip, sagt Landeswahlleiter Gößl. "Und alle Beschlüsse – zum Beispiel über die Gültigkeit oder Ungültigkeit von Stimmen - werden immer vom gesamten Wahlvorstand gefasst."
Der Wahlvorstand umfasst mehrere Personen - die umgangssprachlich als Wahlhelfer bezeichnet werden. Im Wahlvorstand gibt es verschiedene Rollen - den Wahlvorsteher, die Schriftführer und die Beisitzer. Die Beisitzer zählen unter anderem nach 18 Uhr die Stimmen aus. Wenn Beschlüsse im Wahlvorstand unentschieden sind, gibt der Wahlvorsteher den Ausschlag. Alles wird dabei dokumentiert.
Während der Wahlhandlung - also während des gesamten Stimmabgabeverfahrens unter Leitung und Aufsicht der Wahlorgane am Wahltag - müssen laut Bundeswahlleitung immer der Wahlvorsteher und der Schriftführer oder ihre Stellvertreter sowie mindestens ein Beisitzer anwesend sein. "Bei der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses sollen alle Mitglieder des Wahlvorstandes anwesend sein. Es gilt daher nicht nur ein 4-Augen-Prinzip", schreibt dazu das Büro der Bundeswahlleiterin dem #Faktenfuchs in einer Antwort-Mail. Das gilt auch für die Landtagswahl.
In der allgemeinen Definition besteht ein Wahlvorstand aus dem Wahlvorsteher als Vorsitzendem, seiner Stellvertretung und weiteren drei bis sieben Stimmberechtigten als Beisitzern. "Bei der Berufung der Beisitzer sind die in dem jeweiligen Bezirk vertretenen Parteien nach Möglichkeit zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird einer einseitigen Besetzung von Wahlvorständen vorgebeugt und die gegenseitige Kontrolle gestärkt", heißt es dazu aus dem Büro der Bundeswahlleiterin.
Wahlhelfer müssen unparteiisch sein
Zudem seien alle Beteiligten verpflichtet, ihr Amt unparteiisch wahrzunehmen, sagt Landeswahlleiter Gößl. Auch hier schaffe die gegenseitige Kontrolle und die Öffentlichkeit der Wahl einen sicheren Rahmen.
Doch wer wird eigentlich Wahlhelfer oder Wahlvorstand? Dafür sind die Gemeinden zuständig. Bei den Wahlhelfern gelte "das klassische Prinzip, dass die Gemeinden einen ganzen Stamm von erfahrenen Ehrenamtlern haben, sodass sie auf wirklich bewährte Kräfte zurückgreifen können", sagte Gößl dem #Faktenfuchs. Diese Auswahl werde unterstützt durch die Parteien und Wählergruppen, die in den Gemeinderäten, in den Stadträten vertreten sind.
Eine Abfrage von Vorstrafen, also ein Führungszeugnis zu verlangen, oder gar eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu machen, sei nicht möglich. "Bei über 19.000 Wahlvorständen in Bayern sind das über 100.000 Wahlhelfer", sagt Landeswahlleiter Gößl. "Eine durchgehende Prüfung, etwa durch Führungszeugnis, ist weder darstellbar noch sinnvoll, denn viele Wahlhelfer stammen aus dem öffentlichen Dienst oder sind den Gemeinden bereits seit langem bekannt", sagt Gößl.
Das Risiko, entdeckt zu werden - und bestraft
Hinzu komme, dass Manipulationen am Wahlvorgang – Wahlfälschung, Fälschung von Wahlunterlagen - Straftatbestände sind, die von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden, sagt Gößl. Und gebe es da einen Verdacht, rufe das die Staatsanwaltschaft auf den Plan, bestätigt auch Wahlsystem-Experte Daniel Hellmann vom Institut für Parlamentarismusforschung. "Wenn Sie wirklich viel kriminelle Energie da reinstecken, dann werden Sie auch manipulieren können", sagt er.
Aber: Als Wahlvorstand, der aktiv betrügen wolle, müsse man sich das Risiko vor Augen führen, wie er betont: "Es besteht die Möglichkeit, dass Nachzählungen angeordnet werden, und die werden dann nicht von einem selbst durchgeführt, sondern vom Wahlausschuss auf Stimmkreis-Ebene." Auf Wahlkreis- und Landesebene gibt es weitere Wahlausschüsse, diese prüfen am Ende das Ergebnis. Sie achten auf statistische oder historische Abweichungen, zum Beispiel.
Nachzählungen können bei Auffälligkeiten oder auch per Zufallsauswahl stattfinden. Zudem gibt es die Wahlprüfung, die dem Landtag obliegt. "Da sitzen Abgeordnete und untersuchen auf Beschwerde von Bürgerinnen und Bürgern hin nochmal Vorkommnisse", so Hellmann. Als weitere Möglichkeit kann sich ein Beschwerdeführer an den Bayerischen Verfassungsgerichtshof wenden. All dies sind zusätzliche Sicherungsmechanismen.
Gerücht Nr. 2: "Die Briefwahl ist nicht sicher"
Auch rund um die Briefwahl kursieren viele Falschbehauptungen. So viele, dass vor der Bundestagswahl 2021 der damalige Bundeswahlleiter Georg Thiel in einer Pressekonferenz klarstellte:
"Die Briefwahl gibt es seit 1957 und es hat seit all den Jahren keinen Hinweis auf großflächige Manipulationen gegeben, die auch im Entferntesten in den Bereich hineingekommen wären, wo die Wahl nicht sicher und valide abgelaufen wäre." Die Urnen für die Briefwahl werden demnach genauso behandelt wie die für die Urnenwahl. "Da geht häufig durchs Netz: Das würde unterschiedlich behandelt, das wäre nicht transparent. Nein, das ist nicht so", sagte Thiel damals.
Aktuell bestätigt das auch das Büro der jetzt amtierenden Bundeswahlleiterin Ruth Brand dem #Faktenfuchs. Bislang habe die Bundeswahlleitung keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten in einem Ausmaß, dass sie das Wahlergebnis beeinflussen könnten.
- Und ein #Faktenfuchs-Video zur Frage, wie sicher die Briefwahl ist, finden Sie hier
Um Missbrauch bei der Briefwahl auszuschließen, müssen Briefwählerinnen und Briefwähler zum Beispiel auf dem Wahlschein eine Versicherung an Eides statt leisten. Dabei versichern sie, dass der Stimmzettel persönlich ausgefüllt wurde.
Häufig wird vermutet, man könne durch die Briefwahl doppelt wählen. Das verneint der bayerische Landeswahlleiter Gößl: "Der Wahlschein sorgt dafür, dass Sie im Wählerverzeichnis einen Sperrvermerk kriegen, sodass Sie nicht Briefwahl und Urnenwahl machen können." Sollte man trotz Briefwahl-Antrag doch noch zur Urnenwahl gehen wollen, müsse man den Wahlschein mitbringen. Und es gebe noch einen zweiten Faktor, der die Briefwahl absichere. "Es muss eine Briefwahlstimme mit Wahlschein mit dem äußeren Umschlag zur Gemeinde geschickt werden", sagte Gößl. Dort werde sie gesichert aufbewahrt bis zum Wahltag, und am Wahltag an die Briefwahlvorstände verteilt.
Laut Landeswahlgesetz (Art. 7 Abs. 3) darf niemand in mehr als einem Wahlorgan Mitglied sein.
Separat zu betrachten sind laut bayerischer Landeswahlleitung Hilfskräfte, die bei Bedarf hinzugezogen werden können. Die Hilfskräfte gehören demnach nicht zum Wahlvorstand. Sie gäben beispielsweise Stimmzettel aus, sortierten und zählten die Stimmen oder ordnen den Andrang zum Wahllokal. Sie ermittelten jedoch nicht das Wahlergebnis und stellten es auch nicht fest, wie die Landeswahlleitung schreibt. Sie wirkten auch nicht bei der Beschlussfassung des Wahlvorstands mit.
Die Stimmmzettelumschläge werden zuerst ungeöffnet gezählt (genauer Ablauf hier beschrieben). "Die Briefwahlvorstände prüfen dann, ob der Wahlschein im äußeren Umschlag drin ist. Und auch die Briefwahlvorstände beachten das Prinzip der Öffentlichkeit. Das heißt, jeder kann zum Briefwahlvorstand gehen und da der Auszählung beiwohnen und sich das anschauen", sagt Landeswahlleiter Gößl.
Eine weit verbreitete These in den sozialen Netzwerken ist auch immer wieder, dass größere Mengen von Briefwahl-Stimmzetteln in Urnen angeschleppt würden. "Das funktioniert nicht, die Stimmzettel brauchen ja einen Wahlschein. Und das heißt, sie müssen im Wählerverzeichnis sein und den Wahlschein-Vermerk haben", sagt Gößl. Das Wählerverzeichnis sorge dafür, dass "wir sicher nicht mehr Stimmen haben, als wir Wahlberechtigte haben". In Bayern kann man zwar unter bestimmten Bedingungen - etwa mit einer Vollmacht - Wahlscheine für andere Menschen abholen, das ist allerdings auf vier beschränkt.
Ein Betrug sei hier nicht einfach, sagt Wahlsystem-Experte Hellmann: Man müsste zum Beispiel die Wahlbenachrichtigung abfangen und mit gefälschter Unterschrift die Unterlagen abholen. "Und es gibt eine begrenzte Zahl, die ich abholen kann." (Mehr dazu lesen Sie auch im Faktencheck dazu von Correctiv.)
Mit dem Wählerverzeichnis wird festgestellt, wer überhaupt wählen kann, wie viele Stimmen tatsächlich abgegeben worden sind. "Es wird ja im Wahllokal tatsächlich abgehakt, wenn Sie Ihre Stimme abgeben, und die Briefwähler werden ebenfalls im Wählerverzeichnis gekennzeichnet. So wissen wir genau: Wie viele Personen haben gewählt und wie viele Stimmen sind da? Wie viele Stimmen haben wir und wie viele Vermerke im Wählerverzeichnis haben wir? Und wenn da Auffälligkeiten sind, wird nachgezählt", sagt Gößl.
Gegen die Gerüchte spricht Wahrscheinlichkeit - und Logik
Es kursieren noch weitere Falschbehauptungen zur Briefwahl. Etwa, dass Stimmen für Tote abgegeben würden. Auch hier gilt: Die Stimmkreise haben das genannte Wählerverzeichnis, das aktualisiert wird. Und selbst wenn für einen Toten eine Wahlbenachrichtigung käme - einen Wahlschein für ihn zu beantragen, ist eine Straftat. Und um Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen, müsste das mit sehr, sehr vielen Toten geschehen. Die Stimme einer Person, die per Briefwahl gewählt hat, danach aber gestorben ist, zählt jedoch.
Auch die Behauptung, dass Briefwahlstimmen für eine bestimmte Partei massenweise entsorgt würden, ist unlogisch, wie etwa dieser Faktencheck der Nachrichtenagentur dpa, veröffentlicht bei der Süddeutschen Zeitung, darlegt. Denn die Stimmzettel werden erst am Wahlabend aus den Briefumschlägen herausgenommen - in Anwesenheit der Wahlhelfer und möglicher Wahlbeobachter. Zuvor ist - etwa auf dem Postweg - nicht erkennbar, bei welcher Partei das Kreuz gemacht wurde.
Prominent aufgegriffen wurde auch die verunsichernde Behauptung, dass Menschen angeblich an Stelle von älteren Mitbürgern - zum Beispiel auf dem Wahlzettel der Oma - ihr Kreuz machten. Wenn etwa, wie vor der Bundestagswahl 2021, manche Medien und einzelne Politiker entsprechende Falschmeldungen aufgriffen, führe das dazu, dass tendenziell mehr Menschen daran glauben, sagt Desinformations-Expertin Schwarz.
Die Vielzahl der Gerüchte rund um die Briefwahl stellt unsere Gehirne vor ein Problem: Je öfter wir Menschen etwas hören, desto eher stufen wir es als wahr ein - auch wenn es nicht stimmt. Dies bezeichnen Wissenschaftler als "Illusory Truth Effect", den "Scheinwahrheitseffekt".
Damit kann zusammenhängen, dass Falschinformationen bei manchen verfangen, wie die Desinformations-Expertin Schwarz im Gespräch mit dem #Faktenfuchs erläutert: "Das kommt zum Teil auch dadurch zustande, dass die Zweifel an der Sicherheit der Briefwahl auch teilweise über Jahre gesät werden. Diese ständigen Wiederholungen, die sich natürlich in gewisser Weise im Gehirn verankern, da sind wir alle nicht immun dagegen", sagt Schwarz.
Gerücht Nr. 3: "Die Wahl ist ungültig, weil die Urne nicht versiegelt ist"
Wahlurnen müssen laut bayerischer Landeswahlordnung verschließbar sein. Es gibt allerdings - anders als immer wieder behauptet wird - keine Vorgabe, dass zusätzlich ein Siegel oder eine Verplombung an der Wahlurne anzubringen ist, wie der #Faktenfuchs auch zur Europawahl 2019 berichtete. Auch hier gilt: Die Öffentlichkeit der Wahl und die gegenseitige Kontrolle während des gesamten Wahlvorgangs bietet Schutz. Die Wahl ist nicht ungültig, wenn eine Urne nicht versiegelt ist.
Gerücht Nr. 4: "Die obere Ecke des Stimmzettels ist manipuliert"
Die rechte obere Ecke des Stimmzettels ist zum Justieren von Stimmzettelschablonen für blinde und sehbehinderte Menschen bei allen Stimmzetteln einheitlich in der rechten oberen Ecke gelocht oder abgeschnitten, wie das Büro der Bundeswahlleiterin erklärt. Der Stimmzettel ist durch diese Ecke also nicht - wie mitunter falsch behauptet wird - manipuliert. Zur Landtagswahl im Oktober 2023 wird laut einem Sprecher des Landeswahlleiters im Rahmen eines Pilotprojekts für blinde oder sehbehinderte Wähler im Wahlkreis Mittelfranken erstmals die Möglichkeit bestehen, sich zur Kennzeichnung der Stimmzettel einer Wahlschablone zu bedienen. Das bestätigt der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB).
Um die Stimmzettelschablone seitenrichtig anbringen zu können, weisen dem Sprecher zufolge die Stimmzettel in allen Stimmkreisen Mittelfrankens oben links eine abgeschnittene Ecke auf. "Hier handelt es sich selbstverständlich um die offiziellen amtlichen Stimmzettel", so der Sprecher.
Gerücht Nr. 5: "Bleistifte liegen aus, damit Stimmen manipuliert werden können"
Zunächst: Während die Stimmabgabe selbst geheim ist, müsste die Manipulation am bereits gesetzten Wahlkreuz unter den Augen der Wahlhelfer geschehen und unter den Augen anwesender Bürgerinnen und Bürger. Denn die Wahl ist öffentlich. Beschwerden sind wie beschrieben möglich.
Zu den Stiften: Das bayerische Innenministerium schreibt dem #Faktenfuchs in einer Mail-Antwort, dass die Gemeinden und Wahlvorstände darauf hingewiesen würden, dass "in den Wahlkabinen dunkle, nicht radierfähige (dokumentenechte) Stifte (möglichst Kugelschreiber, keine Filz-, Farb- oder Bleistifte) gleicher Farbe bereitliegen sollen, damit die Stimmzettel von den Stimmberechtigten gut erkennbar gekennzeichnet werden können". Die Wählerinnen und Wähler seien jedoch nicht gehindert, die Stimmzettel mit eigenen Stiften zu kennzeichnen.
Bleistifte sind also möglich, vor allem wenn Wählende sie selbst mitbringen, das legte auch ein früherer #Faktenfuchs schon dar.
Es ist nicht für alle Zukunft auszuschließen, dass Täter mit krimineller Energie zum Beispiel den Plan fassen, Bleistifte auszulegen und Stimmen im Anschluss zu fälschen. Für diesen Fall aber gibt es die anderen Sicherheitsnetze: die Tatsache, dass es sich um eine Straftat handelt, die verfolgt werden würde - und, wie gesagt, die gegenseitige Kontrolle der Wahlhelfer oder die Öffentlichkeit des Wahlvorgangs und damit auch der Auszählung. (Wie genau ausgezählt werden muss, lesen Sie zum Beispiel hier direkt in der Landeswahlordnung.) Und auch in diesem Zusammenhang gilt: In dem Ausmaß, in dem es auf das Landtagswahl-Ergebnis Auswirkungen hätte, ist das sehr schwierig. Die Stimmen werden versiegelt und gesichert aufgehoben. "Die abgegebenen anonymen Stimmen werden in den Kommunen aufbewahrt und können bei Bedarf zur Prüfung herangezogen werden", sagt ein Sprecher des Landeswahlleiters.
Warum Falschmeldungen zu Wahlen glaubwürdig wirken können
Warum wirken Gerüchte rund um Wahlen oft glaubwürdig? Zunächst kann es helfen, sich der eigenen Biases bewusst zu werden - also der Voreingenommenheiten, die jede und jeder von uns hat. Man kann sozusagen den eigenen vorschnellen Urteilen, vor denen wir alle nicht gefeit sind, auf die Schliche kommen und sie hinterfragen.
Eine Rolle spielt der "Truth Bias": Wir gehen davon aus, dass das stimmt, was wir hören, lesen oder sehen - das ist die Grundeinstellung unseres Gehirns. Wir glauben, wenn jemand sagt: Wenn du nach x willst, musst du hier abbiegen. Das ist meist eine effiziente Strategie. Nur: Gerade im Internet stimmt eben nicht immer alles.
Ein weiterer Faktor ist der "Confirmation Bias", der Bestätigungsfehler: dass man eher Informationen sucht, die das eigene Weltbild bestätigen, und sie auch eher glaubt. "Auch da ist niemand immun dagegen", sagt Schwarz. Wer sich in einem Wahlergebnis nicht wiederfindet, glaubt möglicherweise leichter Behauptungen über vermeintliche Manipulationen.
Dahinter steckt dann auch ein Logikfehler, wie Daniel Hellmann erläutert: "Der zutiefst menschliche Fehlschluss lautet: Meine Stichprobe an Leuten wählt Partei XYZ, das heißt Partei XYZ müsste eigentlich viel, viel stärker sein, als sie in den Wahlergebnissen dargestellt wird."
Zudem gebe es immer wieder Abweichungen zwischen Umfragewerten vor einer Wahl und den Wahlergebnissen, sagt Desinformations-Expertin Schwarz. Auch das werde bisweilen für irreführende Gerüchte zum Thema Wahlbetrug genutzt - weil das möglicherweise für die einzelne Person gewünschte Ergebnis zwar in den Umfragen als absehbar dargestellt wurde, dann aber nicht eingetreten ist.
Bei jeder Wahl ist mit Fehlern zu rechnen
Und dennoch: Bei jeder Wahl ist davon auszugehen, dass - für das Ergebnis nicht relevante - Fehler passieren. "Wahlen sind ein gigantisches Organisationsunterfangen", sagt Wahlsystem-Experte Daniel Hellmann. "Es ist statistisch unwahrscheinlich, dass da keine Fehler auftreten. Es wird mal eine Stimme falsch ausgezählt oder es gibt eine kleine Differenz in der Auszählungssumme. Oder Armin Laschet knickt den Stimmzettel falsch um, so dass seine Stimme zu sehen ist - auch das ist ein Fehler", sagte Hellmann. (Der Bundeswahlleiter hatte damals Laschets Stimme dennoch als gültig eingestuft.) Bei der Größe einer Landtagswahl falle das aber nicht ins Gewicht.
Nicht bei jedem Fehler sei es angebracht, nach einer Wahlwiederholung zu rufen. "Es wäre Quatsch, davon auszugehen, dass eine Wahl solange wiederholt werden muss, bis keine Fehler mehr passiert sind. Sie müssen einen Punkt festlegen, an dem es sinnvoll ist, zu wiederholen", sagt Hellmann. Und dieser Punkt sei in Deutschland: Sobald wegen eines Fehlers oder Betrugs die Mandatsverteilung anders hätte sein können, muss wiederholt werden.
Und zur Wirklichkeit gehört auch: "Zu sagen, es geht nicht, ist der falsche Ansatz", sagt Hellmann in Bezug darauf, welche Antworten auf Wahlbetrugs-Gerüchte es gebe. "Man muss sich immer vor Augen führen: Kein System ist bulletproof." Also keines ist sozusagen kugelsicher.
Wahlmanipulationen - Fälle
Bei bayerischen Landtagswahlen habe es bislang keine bekannten Fälle von Wahlbetrug gegeben, sagt Landeswahlleiter Thomas Gößl dem #Faktenfuchs. "Wir kennen das nur aus sehr vereinzelten Fällen aus dem kommunalen Bereich."
Genau diese tatsächlichen Fälle von Wahlfälschung nutzen die Verbreiter von Gerüchten, um Misstrauen zu schüren. "Natürlich muss man sagen: Es gab Fälle von Wahlbetrug, aber es gab auch diese Fälle, die bekannt sind, weil es eben aufgedeckt wurde", sagt Karolin Schwarz, die freie Analystin und Expertin für Desinformation und Rechtsextremismus.
Zum Beispiel in Stendal. Dort wurden zur Kommunalwahl 2014 für einen CDU-Politiker viel mehr Briefwahl-Stimmzettel abgeholt als die vier erlaubten. Der Abgeordnete wurde für Wahlfälschung in 300 Fällen zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Oder in Dachau: Bei den Kommunal- und Oberbürgermeisterwahlen im März 2002 wurde in Dachau eine große Anzahl von Stimmzetteln zu Gunsten einiger CSU-Kandidaten gefälscht. Beide Wahlen mussten wiederholt werden. Zwei Angeklagte wurden verurteilt.
Hier finden Sie ebenfalls Infos zu bekannten Fällen. Genaueres können Sie außerdem in diesem Podcast der Bundeszentrale für Politische Bildung hören, der sich umfassend mit Falschinformationen, aber auch tatsächlichen Fällen von Wahlmanipulation befasst.
Bei diesen bekannten Fällen handelte es sich allerdings eben um Kommunalwahlen. Dort sind manche Manipulationen leichter möglich. Und zwar vor allem wegen der Größe der Wahl: Es müssen weniger Stimmen manipuliert werden, um sich auf das Ergebnis auszuwirken.
"Es ist ein Riesenaufwand, Stimmen im großen Stil zu fälschen", sagt Schwarz. "Man bräuchte relativ viele Eingeweihte. Je mehr Eingeweihte es für eine kleine Verschwörung gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Ganze auffliegt." Das bestätigt auch Hellmann vom Institut für Parlamentarismusforschung. "Der Grund, warum das auf kommunaler Ebene leichter zu machen ist oder es attraktiver zu sein scheint als auf Landesebene oder auf Bundesebene, ist, dass sie auf kommunaler Ebene kleinere Einheiten haben."
Eine - wie Hellmann betont - ganz grobe Rechnung für Bayern zeigt: "Wenn wir uns auf kommunaler Ebene bewegen, dann kommen ungefähr 1.000 Wähler auf ein Mandat. Bei der Landtagswahl, auf Basis von 2018, wären das - ebenso ganz grob gerechnet - 33.000 Wähler pro Mandat", sagt Hellmann. Wolle man einen Vorteil aus einer Wahlfälschung ziehen, dann müsste man ihm zufolge auf Landesebene deutlich mehr Stimmen manipulieren.
Der Landeswahlleiter gab zu der Frage, was nötig wäre, um eine bayerische Landtagswahl durch Wahlbetrug zu beeinflussen, trotz mehrmaliger Nachfrage keine Einschätzung ab.
Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Fehler oder Fälschungen vorkommen können. Daraus im Umkehrschluss aber zu folgern, dass tatsächlich häufig oder gar generell manipuliert werde, ist ein Trugschluss.
Fazit
In Deutschland hat der Gesetzgeber Sicherheitsvorkehrungen geschaffen, die Wahlbetrug verhindern sollen. So gelten etwa die Prinzipien der Öffentlichkeit der Wahl, das der Unparteilichkeit oder der gegenseitigen Kontrolle während der Wahl. Es hat in Deutschland, auch in Bayern, dennoch Fälle von Wahlbetrug gegeben, auf kommunaler Ebene. Auf Landes- oder Bundestagswahl-Ebene ist eine Wahlfälschung, die sich auf das Ergebnis auswirkt, laut Experten extrem unwahrscheinlich, weil der Umfang der Stimmen und der Mandate deutlich größer ist. Viele Behauptungen sind falsch: So müssen Wahlurnen nicht versiegelt sein und Bleistifte oder eine Ecke im Stimmzettel machen die Stimmabgabe nicht ungültig.
Disclaimer: Wir haben am 11.09.2023 um 9.18h im 6. Absatz unter dem Zwischentitel Gerücht Nr. 2: "Die Briefwahl ist nicht sicher" einen Satz korrigiert. Ursprünglich lautete der Satz: "Die Briefwahlvorstände können identisch sein mit den Urnenwahlvorständen, müssen es aber nicht." Das ist so nicht richtig. Laut Landeswahlgesetz (Art. 7 Abs. 3) darf niemand in mehr als einem Wahlorgan Mitglied sein.
Ebenfalls haben wir im Absatz darunter einen Absatz ergänzt zu Hilfskräften, die beim Zählen von Stimmen helfen können. Diese Ergänzung erfolgte zur besseren und umfassenderen Verständnis der Thematik.
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