Foto: Eine Hand hält eine Glaskugel auf der Handfläche, darin spiegeln sich der Himmer und die Dämmerung.
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Prophezeiungen zur Corona-Pandemie treffen meistens nicht zu – dennoch können Strategien dahinterstecken.

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#Faktenfuchs: Corona-Vorhersagen, die (nicht) eingetreten sind

Gegner der Corona-Maßnahmen und Angehörige der Querdenker-Szene wagen regelmäßig Vorhersagen zur Pandemie. Fast immer lagen sie bisher damit falsch. Der #Faktenfuchs hat recherchiert, wie die Urheber reagieren, wenn ihre Vorhersagen nicht eintreffen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung war bereits vollständig geimpft, als im August 2021 eine falsche Behauptung auf Telegram die Runde machte. Der Schlagersänger Michael Wendler postete in seinem Telegram-Kanal: "Dr. Coldwell sicher: Im September sind fast alle Geimpften tot" - die Meldung hatte Wendler in Großbuchstaben verfasst und mit Emojis und roten Ausrufezeichen versehen. Fest steht: Es gab und gibt kein Massensterben unter geimpften Menschen. Dennoch erhalten Aussagen wie die, die Wendler teilte, zehntausende Aufrufe.

  • Dieser Artikel stammt aus 2022. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier.

Prophezeiungen rund um die Corona-Pandemie gibt es viele. Ein Autor, der anonym bleiben möchte, sammelt viele von ihnen auf einer Website. Fast keine der dort aufgeführten Prophezeiungen ist eingetreten.

Der #Faktenfuchs hat fünf Vorhersagen überprüft, die unter Kritikern der Corona-Maßnahmen und in Querdenker-Kreisen immer wieder auftauchen. Außerdem hat der #Faktenfuchs untersucht, wie die Szene reagiert, wenn ihre Vorhersagen nicht eintreffen.

#1: Nein, die Corona-Schutzimpfung ist nicht tödlich

Die Vorhersage, dass viele Geimpfte sterben werden, die auch Michael Wendler im August 2021 verbreitete, ist nicht eingetreten. Falsche Aussagen darüber, dass der Impfstoff "gefährlich" oder "tödlich" sei, zirkulieren aber weiterhin im Internet. Bereits Mitte Mai 2021 schrieb das Robert Koch-Institut (RKI), das in Deutschland unter anderem für die Krankheitsüberwachung zuständig ist, dass "bislang kein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und Todesfällen zu erkennen" sei. Auf diesen Stand beruft sich das RKI auch weiterhin, zuletzt Mitte November 2021 in seinem FAQ.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hält Aussagen zu einem angeblich tödlichen Impfstoff für "unsachlich und schlicht falsch", wie eine Sprecherin dem #Faktenfuchs auf Anfrage mitteilt. Das PEI überwacht in Deutschland die Sicherheit von Impfstoffen und Arzneimitteln. Entsteht bei Ärzten, Apothekern oder Gesundheitsämtern der Verdacht, dass ein Todesfall mit einer Impfung in Verbindung steht, setzen sie eine Meldung an das PEI ab. Auch Privatpersonen können Impfnebenwirkungen melden.

Seit Beginn der Corona-Impfungen, also seit Ende Dezember 2020, gingen beim PEI knapp 2.000 Verdachtsmeldungen zu möglichen Todesfällen nach einer Corona-Impfung ein. Das geht aus dem jüngsten Sicherheitsbericht hervor. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum mehr als 123 Millionen Impfdosen in Deutschland verabreicht (Stand 23.12.2021). In 78 dieser Verdachtsfälle bewertet das PEI einen "ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung als möglich oder wahrscheinlich" (Stand 23.12.2021). In keinem dieser Fälle sei die Impfung die alleinige Todesursache gewesen, heißt es in der Antwort des PEI an den #Faktenfuchs.

Auch die Datenbank der Europäischen Medizin-Agentur (EMA) zeigt keine bestätigten Verdachtsfälle an, wie wir in diesem #Faktenfuchs erläutern.

Abstreiten und Umformulieren als Strategie

Nach wie vor treffen also Aussagen über eine angeblich tödliche Wirkung der Corona-Impfstoffe nicht zu. Und dass eine Vorhersage eintritt, nach der "fast alle Geimpften" sterben würden, war ohnehin extrem unwahrscheinlich, weil alle Impfstoffe vor ihrer Zulassung genau geprüft wurden. Warum aber formulieren Impfgegner dann überhaupt in Form solcher Superlative? Ralf Hohlfeld, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Passau, sagt dazu: "Wenn ich proklamiere, dass es alle betreffen wird, erhöhe ich damit die Reichweite und hänge es sehr hoch."

Michael Wendler distanziert sich

Schlagersänger Michael Wendler, der immer wieder durch die Verbreitung verschwörungstheoretischer Inhalte auffiel, hat noch im September 2021 darauf reagiert, dass die Prophezeiung aus seiner Telegram-Nachricht nicht eingetreten ist. So äußerte er auf Anfrage der Berliner Morgenpost, er selbst habe nie behauptet, dass alle Geimpften im September sterben würden.

Für Matthias Pöhlmann reicht diese Distanzierung aber nicht aus. Pöhlmann ist Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche Bayern und hat mehrere Beiträge zu Verschwörungstheorien sowie ein Buch über “Rechte Esoterik” veröffentlicht. "Wenn man solche Inhalte teilt, ist man dafür auch verantwortlich und macht sich zum geistigen Brandstifter", sagt Pöhlmann.

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Eine weitere Taktik der Urheber, mit falschen Vorhersagen umzugehen: Sie wandeln die Äußerungen immer wieder ab. So schrieb ein Online-Portal am 25. Dezember 2021 über angebliche "wissenschaftliche Beweise für tödliche Covid-Impfung". Inzwischen geht es dort an selber Stelle um "wissenschaftliche Erkenntnisse zu 'tödlicher' Covid-Impfung". Am Ende des Artikels merkt die Autorin an, dass "bis zu einer endgültigen Beweisführung […] noch weitere Arbeiten notwendig" seien.

#2: Nein, die Pandemie ist noch nicht vorbei

Seit dem 11. März 2020 bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Covid-19-Erkrankung als Pandemie. Daran hat sich seitdem nichts geändert: Die WHO benutzt den Ausdruck der Pandemie nach wie vor und sieht kein nahes Ende, genauso wie andere Institutionen. Dennoch behaupten Gegner der Corona-Maßnahmen immer wieder fälschlicherweise, dass die Pandemie in Wahrheit beendet sei.

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Bodo Schiffmann, Arzt und Corona-Youtuber, schrieb bereits 2020 auf Telegram, dass es keine Pandemie gebe. Seitdem wiederholt er die Behauptung, die Pandemie sei vorbei oder ende bald, regelmäßig. In der Definition des RKI heißt es zwar auch, dass eine Pandemie “zeitlich begrenzt” sei. Kennzeichnend für eine Pandemie seien darüber hinaus aber auch die weltweite Ausbreitung, Erkrankungszahlen und Krankheitsverläufe:

"Eine neu, aber zeitlich begrenzt in Erscheinung tretende, weltweite starke Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und i. d. R. auch mit schweren Krankheitsverläufen." Robert Koch-Institut

Tatsächlich registrierte das RKI in Deutschland zuletzt immer wieder neue Höchstwerte an Neuinfektionen mit dem Coronavirus. Das Auswärtige Amt warnt aufgrund des Virus vor nicht notwendigen Reisen in zahlreiche Länder. Und auch die Lage in den Krankenhäusern ist weiterhin angespannt.

Auf diese Tatsachen reagieren die Verschwörungstheoretiker unterschiedlich. Oft werden die weiterhin steigenden Infektionszahlen einfach ignoriert. In Telegramgruppen werden nach wie vor Artikel geteilt, die behaupten, dass die Pandemie "praktisch vorbei" sei.

Verschwörungstheoretiker wollen Fehler nicht eingestehen

Doch warum fällt es Verschwörungsgläubigen so schwer, sich falsche Vorhersagen einzugestehen oder sie zuzugeben? Sebastian Koos ist Juniorprofessor an der Universität Konstanz und forscht auch im Umfeld von Querdenkern. Er sagt: "Zurückzurudern, nachdem man das schon behauptet hat: Das wäre ja ein Eingeständnis des eigenen Versagens." Die Verschwörungstheoretiker wollen ihre eigene Glaubwürdigkeit also nicht infrage stellen. Diese Taktik ist auch im Verschwörungskult QAnon verbreitet.

#3: Teilweise eingetreten: Eine allgemeine Impfpflicht wird diskutiert

Schon lange mobilisieren Impfgegnerinnen und -gegner gegen eine mögliche Impfplicht. Auch auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen waren schon früh Schriftzüge zu sehen, die sich gegen eine Impfpflicht aussprachen. Die Einführung einer solchen Impfpflicht ist in der Politik tatsächlich umstritten. Im November 2020 schrieb der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf Facebook: "Es wird keine Impfpflicht geben".

Tatsächlich aber trifft die Vorhersage, dass es eine Impfpflicht geben wird, inzwischen zu: Im Gesundheitswesen gilt diese ab Mitte März. Und auch eine allgemeine Impfpflicht, unabhängig vom Beruf, könnte kommen: Der jetzige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält sie bis spätestens Mai für notwendig – beschlossen ist sie aber bislang nicht.

Wissenschaftler: Diskussion über Impfpflicht war erwartbar

Für Kommunikationswissenschaftler Ralf Hohlfeld ist es wenig überraschend, dass eine Impfpflicht von Seiten der Querdenker-Bewegung vorhergesagt wurde. "Man konnte im Juni vergangenen Jahres schon absehen, dass wir niemals auf freiwilliger Basis auf eine ausreichend hohe Impfquote kommen werden", erklärt Hohlfeld. Die Diskussion über eine Impfpflicht sei daher erwartbar gewesen.

Die Prophezeiungen zur Impfpflicht hätten weniger das Ziel gehabt, Angst und Schrecken zu verbreiten, sagt Hohlfeld. Stattdessen sei es darum gegangen, "den politischen Gegner zu stellen. Das Umkehrmanöver vieler Politiker spielt ihnen nun in die Hände", erklärt Hohlfeld.

Wohl keine Impfpflicht für Schulkinder

Dennoch haben Impfgegnerinnen und -gegner nicht mit all ihren Vorhersagen zur Impfpflicht Recht behalten. Auf Telegram behauptete etwa Eva Rosen, Mitglied der Querdenken-Partei "dieBasis", im November 2020, dass die Impfpflicht schon im gleichen Monat eingeführt werden sollte. Das ist nicht passiert. Auch die Einführung einer Impfpflicht für Schulkinder, die in einer Telegram-Gruppe im Mai 2021 für die Zeit vor der Bundestagswahl vorhergesagt wurde, hat sich nicht bewahrheitet. Politikerinnen und Politiker betonten immer wieder, dass es bei der Diskussion um eine Impfpflicht für Erwachsene gehe.

#4: Nein, Strom und Internet wurden nicht abgestellt

Eine weitere Vorhersage, die nie eintraf, beschäftigt sich mit der Grundversorgung: Strom und Internet sollten angeblich abgestellt werden. Immer wieder war auch diese Behauptung auf dem Telegram-Kanal von Michael Wendler zu lesen. Ein Facebook-Nutzer sprach ganz konkret davon, dass das Internet ab dem 01. Mai 2021 für zehn Tage abgeschaltet werden solle. Als Anfang Oktober 2021 für mehrere Stunden Facebook, WhatsApp und Instagram ausfielen, sahen manche darin das Startsignal für die "Zehn Tage Dunkelheit". Der #Faktenfuchs hat sich hier mit der Theorie beschäftigt und gezeigt, wie sich die Szene mit solchen Behauptungen radikalisiert.

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Doch auch wenn die Vorhersagen zu einem konkreten Termin nicht eingetroffen sind, halten Querdenker und Verschwörungsideologen weiter daran fest. Eine Internetseite, die für verschwörungsideologische Inhalte bekannt ist, behauptete im September 2021, dass ein "Internet-Stillstand für Monate" drohe.

Der Unterschied zu anderen Prophezeiungen: Die Seite nennt kein konkretes Datum für diesen angeblichen Internet-Ausfall. Somit lässt sich die Behauptung auch nie endgültig widerlegen.

Für Sebastian Koos ist es nicht überraschend, wenn Verschwörungstheorien ungenau formuliert werden. Er sagt: "Indem man die Aussagen ungenauer fasst, kann man sie noch ein Stück weit retten." Denn wenn Vorhersagen nicht eintreten, so der Wissenschaftler, "werden Menschen irgendwann doch skeptisch".

Sekten-Experte Pöhlmann ergänzt: Solche Verschwörungstheorien habe es auch schon vor der Pandemie gegeben. Doch durch den Kontrollverlust während der Pandemie sei es für manche attraktiver geworden zu sagen: "Das kann kein Zufall sein, da müssen andere Pläne eine Rolle spielen", sagt Pöhlmann. Auch, wenn es dafür keine Belege gibt.

#5: Nein, ein Börsencrash bedeutet nicht das Ende des Wirtschaftssystems

Eine Prophezeiung, die in der verschwörungstheoretischen Szene immer wieder auftaucht, beschäftigt sich mit einem angeblichen Börsencrash. So könne der "größte Crash der Weltgeschichte" noch "diesen Monat" stattfinden, schrieb eine Internetseite im Oktober 2021. In der Nachricht eines Telegram-Nutzers, die mehr als 13.000 Abrufe hat, wurde ein Börsencrash gleich zweimal vorhergesagt: Für den 29. Oktober und den 01. November 2021. Der deutsche Aktienindex stürzte an diesen Tagen allerdings nicht ab, sondern legte sogar an Wert zu.

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Schon im Februar 2020 prophezeite ein Telegram-User einen "Matrix-Börsencrash", durch den das alte Währungssystem durch ein neues ersetzt werde – allerdings ohne ein konkretes Datum zu nennen. Tatsächlich verlor der EURO STOXX 50, in dem die 50 größten börsennotierten Unternehmen des Euro-Raums zusammengefasst sind, allein am 12. März 2020 über 12 Prozent seines Werts. Das bedeutet aber nicht, dass der Telegram-User mit seiner Prophezeiung in die Zukunft sehen konnte.

An der Börse sind Schwankungen normal

Für Franz-Josef Leven war der Kurseinbruch im Frühjahr 2020 ein ganz "natürlicher Vorgang". Leven ist stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Aktieninstituts und vertritt zahlreiche börsennotierte deutsche Unternehmen. Er sagt: "Wenn die gesamte politische, wirtschaftliche und soziale Lage unsicher wird, gehen Aktienkurse in der Regel erstmal in den Keller".

2020 habe man nicht gewusst, ob die Infrastruktur aus Krankenhäusern, Rettungsdiensten und Polizei zusammenbrechen würde, ergänzt Leven. "Die Börse ist ein Barometer für die wirtschaftliche Stimmung, und wenn die schwankt, schwankt auch die Börse."

Die Aktienkurse erholten sich schnell von ihren Verlusten

Der Crash im März 2020 hat auch nicht zu einem Wechsel des Wirtschafts- oder Währungssystems geführt, wie es auf Telegram prophezeit wurde. Stattdessen erholten sich die Kurse wieder: "Es hat im Prinzip nur wenige Wochen gedauert, bis der vorherige Stand wieder erreicht war", sagt Börsen-Experte Leven. Der Grund: Es habe sich gezeigt, dass das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zwar belastet war, aber nicht zusammenbrach.

Fazit

Rund um die Corona-Pandemie kursieren zahlreiche Vorhersagen aus Kreisen von Corona-Maßnahmen-Gegnern. Die meisten sind nie eingetreten: An den Impfstoffen starben nicht massenhaft Menschen, die Pandemie ist noch nicht vorbei und die Stromversorgung wurde nicht abgestellt. Es gab auch keinen gigantischen Börsencrash, der einen Kollaps des Währungssystems verursacht hätte.

Lediglich bei der Impfpflicht treffen die Vorhersagen teilweise zu, weil ab Mitte März eine Impfplicht im Gesundheitswesen gilt. Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wird außerdem zurzeit diskutiert. Allerdings kam die Impfpflicht deutlich später, als es den Vorhersagen teilweise zu entnehmen war.

Treten die Prophezeiungen der Querdenker und Impfgegner nicht ein, reagieren sie unterschiedlich. Teilweise schwächen sie ihre Forderungen ab oder ändern den Zeitraum, in dem ihre Prophezeiung eintreffen soll. Manche Vorhersagen werden aber immer wiederholt, obwohl sie klar zu widerlegen sind. Das hängt laut Experten damit zusammen, dass Verschwörungsideologen nicht einfach eingestehen können, dass sie falsch lagen, ohne ihre vermeintliche Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.

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