Ministerpräsident Markus Söder bei der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am 3. September 2023 zur Causa Aiwanger
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Ministerpräsident Söder hält an seinem Vize Aiwanger fest

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Ministerpräsident Söder hält an seinem Vize Aiwanger fest

Bayerns Ministerpräsident Söder hält trotz der Vorwürfe an seinem Stellvertreter Aiwanger fest. Der Minister müsse aber Demut zeigen und Vertrauen zurückgewinnen, sagte Söder. Aiwanger selbst betonte: "Die Kampagne gegen mich ist gescheitert."

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Ungeachtet der Antisemitismus-Vorwürfe gegen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger setzt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Zusammenarbeit mit dem Freie-Wähler-Chef fort. Bei einem Pressestatement in München sagte Söder, Aiwanger habe sich entschuldigt, von dem antisemitischen Flugblatt distanziert und auch Reue gezeigt. Einen Beweis, dass er das Flugblatt verfasst oder verbreitet habe, gebe es bis heute nicht.

Der Vorfall liege zudem 35 Jahre zurück und seither gebe es "nichts Vergleichbares". In der Gesamtabwägung wäre dem Ministerpräsidenten zufolge eine Entlassung aus dem Amt "nicht verhältnismäßig". Aiwanger begrüßte Söders Entscheidung, von der Opposition kommt scharfe Kritik.

  • Söders Statement zum Nachschauen finden Sie oben im Video

Söder: Aiwanger sollte Reue und Demut zeigen

Ein "Weiter so" wäre aber der falsche Weg, betonte Söder. "Natürlich sind viele Gefühle verletzt, zu viel Schaden entstanden und zu viel Glaubwürdigkeit verloren." Sein "ernst und gut gemeinter" Rat an Aiwanger laute: Es sei wichtig, Reue und Demut zu zeigen. "Es ist nicht entscheidend allein, was man mit 16 sagt, sondern wie man als 52-Jähriger heute damit umgeht."

Bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses seien alle der Auffassung gewesen, dass Aiwanger daran arbeiten müsse, "verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen". So solle er das Gespräch mit jüdischen Gemeinden suchen und vieles erklären. Der Minister sehe das persönlich ebenfalls so. Dies sei am Morgen auch mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, besprochen worden.

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  • "Antisemitismus hat keinen Platz in Bayern"

    Aiwanger hatte dem Ministerpräsidenten am Freitagabend seine Antworten auf 25 Fragen zu Vorwürfen wegen seines Verhaltens als Jugendlicher zukommen lassen, die Söder anschließend prüfte. Der CSU-Politiker betonte, er habe sich die Entscheidung nicht leichtgemacht. "Es ging und geht um schwere Vorwürfe." Antisemitismus habe keinen Platz in Bayern. Leider sei Aiwangers Krisenmanagement in der vergangenen Woche nicht sehr glücklich gewesen. Doch es habe "spät, aber nicht zu spät" eine klare Entschuldigung und Distanzierung gegeben.

    Die Antworten des Ministers seien nicht alle befriedigend gewesen. Sie enthalten laut Söder wenig Neues, vieles sei Aiwanger "nicht erinnerlich". Zu seinen Gunsten müsse man auslegen, dass er sich erneut von dem Flugblatt distanziert und in einem sehr langen persönlichen Gespräch versichert habe, dass es nicht von ihm sei. Man merke, "wie sehr ihn die ganze Sache belastet und persönlich anfasst". Neu sei Aiwangers Aussage, dass er den Vorfall aus seiner Schulzeit insgesamt als ein "einschneidendes Erlebnis" betrachte, das bei ihm "wichtige gedankliche Prozesse" angestoßen habe.

    Söder: Es bleibt bei Koalition mit Freien Wählern

    Für Söder ist die Sache damit abgeschlossen. Daher stehe auch fest, dass die CSU die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen könne. "Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben. Und alle Angebote der Opposition, die dazu gemacht werden, laufen ins Leere." Seine Aufgabe als Ministerpräsident sei, Schaden vom Land abzuwenden und eine stabile Regierung zu gewährleisten.

    Seine Stellungnahme verlas Söder vor Journalisten. Fragen waren anschließend keine zugelassen. Aus "Gründen der Transparenz" veröffentlichte die Staatskanzlei die Fragen und die Antworten Aiwangers - den Wortlaut finden Sie hier.

    Aiwanger: "Kampagne gegen mich gescheitert"

    Aiwanger selbst schrieb im Kurznachrichtendienst X (früher Twitter), jetzt bestätige sich, was er von Anfang angesagt habe. "Es gibt keinen Grund, mich zu entlassen, die Kampagne gegen mich ist gescheitert." Es gelte nun, wieder zu Tagesarbeit für Bayern zurückzukehren.

    Am Rande eines Wahlkampfauftritts in einem Bierzelt in Grasbrunn (Landkreis München) betonte der Freie-Wähler-Chef er freue sich nach Söders Entscheidung auf die Weiterarbeit. Zur Forderung nach Gesprächen mit den jüdischen Gemeinden sagte er: "Das muss ich jetzt prüfen, um in den nächsten Tagen hier die Gespräche zumindest vorzubereiten."

    Die bayerische FW-Generalsekretärin Susann Enders teilte mit, es wäre "ein Skandal" gewesen, Aiwanger aufgrund einer Kampagne aus dem Amt zu entlassen, "die auf einer Zahl von falschen Anschuldigungen basierte". Die Freien Wähler stünden hinter Hubert Aiwanger.

    Opposition: "Bitterer Tag für Bayern"

    Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze sprach von einem "bitteren Tag für Bayern". Söder habe es heute versäumt, Haltung zu zeigen, Klarheit zu schaffen und Schaden von Bayern abzuwenden. "Denn es geht hier um etwas Grundsätzliches, nämlich die Frage, ob der demokratische Grundkonsens unserer Erinnerungskultur verankert bleibt." Der Co-Fraktionsvorsitzende Ludwig Hartmann betonte, die schwerwiegenden Vorwürfe seien nicht ausgeräumt. Söder toleriere weiterhin einen Vize-Ministerpräsidenten, an dessen demokratischer Gesinnung Zweifel bestünden. "Taktik geht bei Markus Söder vor Haltung."

    Ähnlich äußerte sich auch SPD-Landeschef Florian von Brunn: "Heute ist ein trauriger Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt." Aiwangers Entschuldigungen seien zu spät, zu unvollständig und auch zu uneinsichtig gewesen. "Die Angriffe und Vorwürfe gegen Medien sind unvereinbar mit der Pressefreiheit und mit der bayerischen Verfassung", kritisierte der SPD-Politiker. "So jemand ist kein Stellvertreter, sondern eine Schande Bayerns."

    Sondersitzung des Landtags am Donnerstag

    Nach Meinung des FDP-Landesvorsitzenden Martin Hagen überzeugen Aiwangers Antworten nicht: "Statt Aufrichtigkeit und Reue erleben wir Erinnerungslücken und trotzige Medienschelte." Söder fehle offenbar die Kraft für eine klare Entscheidung. "Alles, was Aiwanger künftig sagt und tut, wird nun auf ihn zurückfallen. Ich bin gespannt, wie sehr Hubert Aiwanger diesen Freifahrtschein ausreizen wird." Am Donnerstag befasst sich auf Antrag von Grünen, SPD und FDP der Landtag in einer Sondersitzung mit den Vorwürfen gegen Aiwanger.

    Die AfD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, Katrin Ebner-Steiner, sagte auf BR-Anfrage, Söders Schritt sei "absehbar" gewesen: "Ohne Freie Wähler als Mehrheitsbeschaffer ist Söder machtlos."

    Antisemitismusbeauftragter: Schaden durch Aiwanger

    Rückendeckung für sein Vorgehen erhält Söder von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer. Er sprach von einer "richtigen und gut abgewogenen" Entscheidung. Dass die Opposition weiter Aiwangers Entlassung fordere, sei "Parteipolitik und allein dem Wahlkampf geschuldet".

    Der Antisemitismusbeauftragte der Staatsregierung, Ludwig Spaenle (CSU), teilte mit, er respektiere die Gesamtabwägung des Ministerpräsidenten. Zugleich beklagte er, Aiwanger sei vergangene Woche seiner Vorbildfunktion als Staatsminister nicht gerecht geworden. "Er hat damit Bayern und der Bekämpfung des Antisemitismus Schaden zugefügt." Der Freie-Wähler-Chef sei nun aufgefordert, "mit seinem Handeln dem von ihm herbeigeführten Schaden entgegenzuwirken".

    Aiwanger wegen Vorwürfen zu seiner Jugend unter Druck

    Der Wirtschaftsminister war vor mehr als einer Woche wegen eines antisemitischen Flugblatts aus seiner Schulzeit unter Druck geraten. Er bestreitet, es geschrieben zu haben. Stattdessen gab sein älterer Bruder Helmut an, er sei der Verfasser. Hubert Aiwanger räumte aber ein, dass ein oder mehrere Exemplare des Papiers damals in seiner Schultasche gefunden worden seien und er eine Strafe seines Gymnasiums akzeptiert habe. Ob er einzelne Exemplare des "ekelhaften" Flugblatts weitergegeben habe, wisse er nicht mehr.

    In einem Pressestatement wies er am Donnerstag Vorwürfe von Ex-Mitschülern zurück, als Schüler Hitler-Reden einstudiert und den Hitlergruß gezeigt zu haben. Zur Anschuldigung, judenfeindliche Witze erzählt zu haben, sagte der Minister: Er könne das aus seiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigten. Mit Blick auf mögliche "Verfehlungen" sagte er: "Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit." Zugleich beklagte der Freie-Wähler-Chef eine "politische Kampagne gegen mich und meine Partei". Er solle politisch und persönlich fertiggemacht werden.

    Hubert Aiwanger
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    Hubert Aiwanger

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