Blick auf die Bühne der Freien Wähler im Weissbierstadl vor Beginn des Politischen Frühschoppen Gillamoos.
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Blick auf die Bühne der Freien Wähler im Weissbierstadl vor Beginn des Politischen Frühschoppen Gillamoos.

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Als wäre nichts gewesen: Söder und Aiwanger beim Gillamoos

Markus Söder erwähnt die Flugblatt-Affäre gar nicht, Hubert Aiwanger spricht nur von "schwierigen Zeiten". Bayerns Regierungschef und sein Stellvertreter setzen am Gillamoos einfach ihren Wahlkampf fort – aber die Opposition will das nicht hinnehmen.

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Es dauert nur 20 Sekunden, bis Hubert Aiwanger "diese schwierigen Zeiten" erwähnt – und jeder im komplett gefüllten Weissbierstadl in Abensberg im Kreis Kelheim dürfte nach dieser turbulenten Woche verstehen, was er damit meint. Unter "Hu-bert, Hu-bert"-Sprechchören ist der Freie-Wähler-Chef und bayerische Wirtschaftsminister ans Mikrofon getreten und bedankt sich "herzlich für dieses wunderbare Vertrauen, für diese Rückenstärkung" – dafür, "dass ihr nicht sagt, heuer gehen wir mal nicht hin". Im Gegenteil: 50 Meter lang hätten die Menschen angestanden "und konnten nicht mehr rein".

Doch hatte Aiwanger noch vergangene Woche bei Bierzelt-Auftritten die Vorwürfe gegen ihn als "schmutziges Machwerk" und gescheiterte "Schmutzkampagne" gegeißelt, belässt er es beim politischen Frühschoppen am Gillamoos bei einer einzigen Erwähnung der "schwierigen Zeiten". Ansonsten ist von ihm zu den Ereignissen der vergangenen zehn Tage nichts zu hören. Und auch sonst ist an diesem Tag besonders das interessant, was Aiwanger nicht sagt.

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  • Typische Aiwanger-Mischung: Gegen die Grünen, für Winnetou

    Die einstündige Rede ist in weiten Teilen eine Aiwanger-typische Mischung aus Attacken auf die "ideologische" Ampel-Politik, auf die Grünen und eine angebliche "woke" Bevormundung. Und auf der anderen Seite eine Stilisierung als Anker für Meinungsfreiheit und klare Worte. Der Minister erinnert an seinen Einsatz für Winnetou und für die traditionelle Familie, in der man noch "Papa und Mama" sagen dürfe, statt "Elternteil eins und Elternteil zwei".

    Aiwanger beklagt ein "Zuwanderungschaos", fordert Steuersenkungen und verteidigt seinen viel diskutierten Auftritt auf der Erdinger Heizungsdemo im Juni. Er sei dort aufs Podium gegangen, "weil wir die tiefe Betroffenheit einer überwiegenden Mehrheit dieser Bevölkerung nicht ausblenden konnten". Zwar sei sein Auftritt im Nachhinein kritisiert worden, er bleibe aber dabei: "Wir müssen die Dinge beim Namen nennen." Zum eigentlichen Grund für die Kritik damals sagt Aiwanger nichts – nämlich seine Wortwahl in Erding ("Demokratie zurückholen"), die so manchen an die AfD und Donald Trump erinnerte.

    Und auch zur Debatte der vergangenen Tage ist von Aiwanger kein Wort der Distanzierung von Rechtspopulisten zu hören. Vielmehr bleibt er bei seiner bisherigen Strategie: Der Freie Wähler ist überzeugt, mit zugespitzten Formulierungen zu verhindern, "dass die Menschen an die radikalen Ränder gehen". Es gelte zu verhindern, "dass komische Parteien zu stark werden".

    Auch von Söder nichts zum Flugblatt und den Folgen

    Ein paar Schritte weiter, im CSU-Zelt, spricht zeitgleich Markus Söder, ebenfalls eine Stunde lang. Auch der Ministerpräsident kritisiert die Bundesregierung, wirft ihr vor, sich nicht genug um die "eigene und einheimische Bevölkerung" zu kümmern. Der CSU-Chef kündigt an, dass die Union im Falle einer Regierungsbeteiligung 2025 das Ampel-Heizungsgesetz rückgängig machen werde und die Atomkraftwerke reaktivieren will. Er schimpft auf den Länderfinanzausgleich, attackiert die Grünen, fordert weniger Geflüchtete und mehr Grenzkontrollen.

    Es ist eine klassische Söder-Wahlkampfrede – und auch von ihm ist nichts zu hören über die Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger zu dessen Jugend: zum antisemitischen Flugblatt und den Aussagen von Ex-Mitschülern über Juden-Witze und Hitlergruß. Nur kurz spielt Söder auf seine Entscheidung vom Sonntag an, Aiwanger im Amt zu belassen: "Am Ende kommt es dann doch auf den Ministerpräsidenten an." Von der AfD grenzt sich Söder - anders als Aiwanger - klar ab ("Fünfte Kolonne Moskaus"). Die Freien Wähler, seinen Koalitionspartner, erwähnt er mit keinem Wort.

    Söders Entscheidung: Aiwanger bleibt

    Ministerpräsident Söder hatte am Sonntag nach tagelanger öffentliche Debatte über Aiwanger seine Entscheidung bekannt gegeben, die Zusammenarbeit mit dem Freie-Wähler-Chef fortzusetzen. Zwar gab er seinem Stellvertreter noch mit auf den Weg, er solle Demut zeigen und in den jüdischen Gemeinden verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Söder betonte aber auch: "Damit ist die Sache aus meiner Sicht abgeschlossen."

    Vor Söder spricht bei der CSU-Veranstaltung der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz. Auch er will das Aiwanger-Thema erkennbar abgeräumt wissen. Inhaltlich äußert er sich nicht zu den Vorwürfen gegen Bayerns stellvertretenden Ministerpräsidenten. Stattdessen formuliert Merz in dem Zusammenhang eine "Bitte an die Medien" – dort müsse ein breites Meinungsspektrum zum Ausdruck kommen. Laut Merz hat Söder die Debatte um Hubert Aiwanger bravourös gelöst. Das sei "verdammt schwierig" gewesen.

    Freie Wähler reden weiter von "Schmutzkampagne"

    Doch trotz der Zurückhaltung von Söder und Aiwanger ist die Flugblatt-Affäre eines der dominierenden Themen des politischen Frühschoppens – auch bei den Freien Wählern. Aiwangers Vorredner greifen die Erzählung der "Schmutzkampagne" auf. Es werde versucht, den Freie-Wähler-Chef aus wahltaktischen Gründen in den Dreck zu ziehen, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der FW-Landtagsfraktion, Fabian Mehring. "Hubert Aiwanger hat mehr Demokratieverständnis im kleinen Finger als diejenigen, die dieses Kesseltreiben veranstalten, im ganzen Kerle."

    Mehring und auch Umweltminister Thorsten Glauber nehmen den früheren Lehrer ins Visier, der nach Aiwangers Rede in Erding mit dem antisemitischen Flugblatt aus der Schulzeit des Ministers an die Presse gegangen war. "Die Menschen in Bayern mögen keine Denunzianten", ruft Mehring. Und Glauber verkündet, Schule sei ein geschützter Raum, "und wer dort das Denunziantentum unterstützt, der hat in diesem Land nichts verloren".

    Schulze erwartet "klare Kante" gegen Antisemitismus und Rassismus

    Aiwanger hat nach anfänglichem Schweigen eingeräumt, vor 35 Jahren mit einem antisemitischen Flugblatt erwischt worden zu sein, das allerdings sein Bruder verfasst haben soll. Darüber hinaus warfen ihm Ex-Mitschüler – nicht nur anonym – unter anderem vor, als Jugendlicher judenfeindliche Witze erzählt zu haben.

    Für die bayerische Opposition ist das Thema jedenfalls längst nicht abgeschlossen. Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen, kritisiert Aiwanger und Söder bei ihrer Gillamoos-Rede abermals deutlich. Sie erwarte von allen Demokratinnen und Demokraten "klare Kante" gegen jegliche Form von Antisemitismus und Rassismus. "Auch, wenn sie an der Spitze des Freistaats stehen."

    Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann erinnert an Aiwangers Wortmeldung in Erding: "Wenn ein stellvertretender Ministerpräsident sagt, man müsse sich die Demokratie zurückholen, die ihn selber an die Macht gebracht hat, dann stimmt was nimmer, und dann ist das gefährlich", sagt Kretschmann. "In Krisen polarisiert man nicht, treibt nicht immer alles auf die Spitze."

    Von Brunn: "Das ist rechtsradikal und nichts anderes"

    Auch im SPD-Zelt gibt es massive Kritik an Aiwanger. Der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil hält Aiwangers Entschuldigung und den Umgang mit der Flugblatt-Affäre für unglaubwürdig. "Wenn ich demütig da draufgucke und mich ernsthaft entschuldige, dann lass’ ich mich nicht zeitgleich in Bierzelten dafür feiern und zum Opfer stilisieren." Bayerns SPD-Spitzenkandidat Florian von Brunn stellt klar: "Das ist kein dummer Jungenstreich. Das ist nicht normal. Das ist rechtsradikal und nichts anderes."

    Von einem "Chaos in der Landesregierung", spricht derweil AfD-Parteichefin Alice Weidel. Markus Söder habe "seinen Laden nicht mehr im Griff". Die bayerische AfD-Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner sieht es so: "Aiwanger ist der brüllende Bierzelt-Tiger, der als Schmusekätzchen bei Söder auf dem Arm landet."

    FDP-Spitzenkandidat und -Landeschef Martin Hagen analysiert die Lage so: "Er gibt jetzt den trotzigen Rebellen. Er stellt sich in die Bierzelte und schreit rum, als wäre er der bayerische Löwe." Das passe vielleicht ganz gut, "weil wir in Berlin gerade gesehen haben, als was sich so ein Löwe manchmal entpuppt", ergänzt Hagen in Anspielung auf eine vermeintliche Löwen-Sichtung in der Hauptstadt vor einigen Wochen. Der FDP-Landtagsabgeordnete Alexander Muthmann, früher selbst bei den Freien Wählern, sagt über Aiwanger: "Als Antisemiten habe ich ihn nicht kennengelernt. Er ist ein begnadeter, rücksichtsloser Populist."

    Söder vor einem Jahr: "Romanze" mit Aiwanger

    Vor genau einem Jahr hatte Söder zwar die Freien Wähler in seiner Gillamoos-Rede kritisiert und ihnen eine fehlende Linie vorgeworfen. Aber im Vergleich zur zerstrittenen Ampel-Koalition sei das, was ihn mit Aiwanger verbinde, "eine Romanze". Von einem harmonischen Miteinander ist allerdings spätestens seit Erding auch Schwarz-Orange in Bayern weit entfernt. Aiwangers Umgang mit den Antisemitismus-Vorwürfen hat die Spannungen nochmal verschärft.

    Die Christsozialen werden nach der Landtagswahl aller Voraussicht nach wieder den Ministerpräsidenten stellen – und könnten eigentlich zwischen mehreren Bündnisoptionen wählen. Söders Rede am Gillamoos aber zeigt, dass er fünf Wochen vor der Wahl seine Wahlkampfstrategie nicht ändern möchte: Attacken auf die Ampel, allen voran die Grünen. Und am Sonntag zusätzlich eine Koalitionszusage an die Freien Wähler. Das bedeutet für Söder allerdings, dass er hoffen muss, dass Aiwanger bei seiner am Gillamoos gezeigten Zurückhaltung bleibt – und ihm nicht bald eine neue Debatte beschert.

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