Mein Leben mit Rami // Teil 1 Kennenlernen und Kriegsbilder am Frühstückstisch

Über eine halbe Million Menschen sind allein dieses Jahr nach Deutschland geflohen. Einer von ihnen wohnt seit Kurzem bei PULS-Moderatorin Diane Hielscher in Berlin. Hier schreibt sie über ihr Leben mit Rami.

Von: Diane Hielscher

Stand: 16.11.2015 | Archiv

Diane und Rami | Bild: Moritz H'lawatscheck

Rami steht vor der Tür und kommt nicht rein. Er steht im Hausflur und zögert, fragt, ob die Frau des Hauses weiß, dass ein Gast kommt. Die Frau bin ich und ich bin nicht da. Mein Freund hat mir erzählt, dass Rami nicht einfach so in die Wohnung gekommen ist. Ich war in der Woche in München, um meine Sendung BAYERN 3 PULS zu moderieren.

"In Syrien betritt man nicht einfach das Haus. Man wartet zuerst vor der Tür und geht sicher, dass die Frau des Hauses weiß, dass ein Gast da ist. Außerdem bin ich sowieso schüchtern, deswegen habe ich gewartet. Wenn man wartet, kann man sicher gehen, dass die Frau verschleiert ist, dann hat sie Zeit, sich ein Kopftuch anzuziehen."

Rami

Diane und Rami | Bild: Moritz H'lawatscheck zum Artikel Mitbewohner aus Syrien Mein Leben mit Rami

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Mein Freund und ich hatten schon länger darüber gesprochen, unser riesiges Arbeitszimmer für einen Flüchtling zur Verfügung zu stellen. Wir haben uns dann aber doch nicht getraut, uns bei einem Vermittlungsportal zu registrieren. Was, wenn eine zwölfköpfige Familie kommt? So groß ist unser Zimmer dann doch nicht. Was ist, wenn junge Männer kommen, die nachts immer die Kinder wecken? Was, wenn wir uns nicht verstehen? Über Facebook kam dann die Anfrage eines Freundes von einem Freund: Rami braucht einen Ort zum Schlafen. Wir haben uns spontan gemeldet.

"Ich wusste ja nicht, dass Diane nicht da ist. In Syrien gehen die Frauen auch selten raus, um zu arbeiten. Dass eine Frau sogar in einer anderen Stadt arbeitet, kommt quasi nie vor. Erst als ich sicher war, dass keine Frau da ist, bin ich eingetreten. Es ist komisch für mich, in die Wohnung einer fremden Familie zu ziehen - auch das gibt es bei uns nicht, normalerweise. Aber jetzt ist Krieg in Syrien und ich bin hier, jetzt ist sowieso alles anders, als ich es gewohnt bin."

Rami

Das erste Treffen

Ein paar Tage später lerne ich Rami kennen, an unserem Frühstückstisch. Wenn ein Stuhl mehr dran steht, wird es schon eng. Nach dem Frühstück räume ich die Geschirrspülmaschine ein und frage ihn nach seinen weiteren Plänen, Rami erzählt, dass er zunächst mal seine Aufenthaltsgenehmigung braucht. Erst dann kann er seine Familie holen. "Und dann? Wollt ihr in Deutschland bleiben?" Irgendwie komme ich mir blöd vor bei dieser Frage. Was geht’s mich an?

"Ich will hier in Deutschland arbeiten. Ich will etwas tun und sinnvoll sein für das Land, ich will meine Familie ernähren. Und ich möchte nicht, dass meine Söhne im Krieg groß werden. Irgendwann wird sie jemand fragen: Für welche Seite kämpfst du, für welche Seite bist du? Und dann müssen sie sich entscheiden. Davor habe ich Angst. Sie sollen für keine Seite sein, sondern unbeschwert aufwachsen können, ohne Bomben und all das."

Rami

"Aber wirst du dein Land nicht irgendwann vermissen?", frage ich. "Es gibt in Syrien nichts zu vermissen, alles ist zerbombt, meine Straße ist komplett zerstört." Ramis Stimme klingt bitter. "Was soll ich vermissen, Ruinen?" Er zeigt mir ein Foto seiner Straße auf seinem Smartphone. Autos liegen auf dem Rücken, überall Schutt. Es ist unfassbar, dass ein Mann in unserer Küche sitzt, der vor Kurzem dort gewohnt hat. Seine Frau und seine Söhne sehen dieses Bild jeden Tag, wenn sie aus dem Fenster schauen. Abends zeigt er mir Musikvideos von arabischen Künstlern auf seinem Smartphone, seine Augen leuchten. Ich denke, es gibt mehr zu vermissen als Ruinen.