Der Hörspielautor und Künstler Ofer Waldman
Bildrechte: Gal Mosenson

Ofer Waldman

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

"Schockstarre": Reaktionen aus der Kultur auf Hamas-Angriff

Israel befinde sich in einer "Schockstarre", sagt der israelische Buch- und Hörspielautor Ofer Waldman. Auch aus Hollywood kommen viele Zeichen der Solidarität und Anteilnahme. Bono von U2 widmet den Opfern des Musikfestivals eine Friedenshymne.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Am vergangenen Samstag habe sich für Israel das 9/11 und Pearl Harbour zugleich ereignet. So ordnen zahlreiche Beobachter die Zäsur ein, die der Terrorangriff der Hamas für das Land bedeutet: Die totale Verwundbarkeit wurde hier fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Beginn des Jom Kippur Krieges in Erinnerung gebracht.

Seit dem Holocaust nicht so viele Juden auf einmal ermordet

9/11 und Pearl Harbour zugleich sei leider eine zutreffende Beschreibung, wenn man auf die Zahlen schaut, sagt Ofer Waldman im BR-Interview: "Wir zählen bis heute Morgen 900 Tote, 100 Verschleppte und 2.700 Verwundete, zum Teil schwer Verwundete. Es gab keinen einzigen Tag in der israelischen Geschichte, der so schwer wog. Seit dem Holocaust sind nicht mehr nicht so viele Juden auf einmal ermordet worden wie an diesem Tag."

Israel ist ein kleines Land, und dort treffe es eigentlich jeden, der dort lebt, sagt Waldman. Fast jeder kennt jemanden, der bei diesem blutigen Angriff ums Leben gekommen ist, verletzt oder verschleppt wurde.

Empörung und Trauer weltweit

Auch nicht beteiligte Zuschauer ganz fern von Israel bekunden ihr Mitgefühl und ihr großes Entsetzen über diesen harten Zivilisationsbruch der islamistischen Terrororganisation. Ihr Herz sei "gebrochen", schreibt beispielsweise die in Jerusalem geborene israelisch-amerikanische Schauspielerin Natalie Portman, die unter anderem für ihre Hauptrolle im Ballett-Thriller "Black Swan" bekannt ist. Und weiter: "Kinder, Frauen und ältere Menschen wurden ermordet und aus ihren Häusern entführt, ich bin entsetzt über diese barbarischen Taten und mein Herz schlägt mit Liebe und Gebeten für die Familien der Betroffenen."

Autorin Zeruya Shalev: "Ich bleibe in Israel"

Sprachlos sei sie, sagte die 64-jährige Bestsellerautorin Zeruya Shalev ("Liebesleben") im Interview dem "Stern". "Es gibt keine Buchstaben, um diese Gefühle zu beschreiben. Den endlosen Schmerz. Die Wut. Die Angst." Sie werde jetzt im Land bleiben, obwohl sie sofort nach Beginn der Angriffe von Freunden nach Berlin eingeladen worden sei. "Ich will teilhaben an dem, was in meinem Land passiert. Hier ist mein Platz." Shalev kritisierte auch Ministerpräsident Netanjahu, der das Land gespalten und so verletzlich gemacht habe.

Bildrechte: dpa-Bildfunk/Ilia Yefimovich
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Nach Hamas Großangriff - Musikfestival in Re'im, wo die Terrormilizen der Hamas mindestens 260 Junge Leute hingerichtet haben.

Die aus den "Wonder Woman" Filmen bekannte Israelin Gal Gadot, die vor Beginn ihrer Hollywood-Karriere zwei Pflichtjahre bei der israelischen Armee abgeleistet hatte, rief in mehreren Posts zur Solidarisierung mit Israel auf. Auf Instagram postete sie die israelische Flagge und schrieb "Die Welt kann nicht tatenlos zusehen, wenn diese schrecklichen Terroranschläge passieren!"

"Irrt Euch nicht: Die Hamas ist eine Terrororganisation"

Unter den Prominenten aus der US-Film- und Entertainment-Welt, die sich zu dem Angriff der Hamas auf Israel zu Wort meldeten, sind auch viele Juden und Jüdinnen, die persönliche Verbindungen nach Israel haben. Etwa US-Schauspielerin und Komikerin Sarah Silverman. Auf X, früher Twitter, schrieb sie: "Meine Schwester, Nichten und Neffen sind da. Sie protestieren seit Monaten gegen BIBI (Benjamin Netanjahu, Anm.d.Red.), kämpfen für eine Zwei-Staaten-Lösung. Israelis sind Juden und Araber aller Hautfarben. Das ist so komplex. Irrt euch nicht: Die Hamas ist eine Terrororganisation, deren Leitbild darin besteht, alle Juden zu töten. Diese verdammte Welt bricht mir das Herz."

Stimmen des Entsetzens auch aus der Arabischen Welt

"Das Entsetzen, das wir alle spüren, ist kein israelisches Entsetzen. Es ist kein deutsches Entsetzen. Es ist ein menschliches Entsetzen", sagt Ofer Waldman im BR-Interview. "Wie kann man Mütter mit Babys auf dem Arm in den Jeep schleppen und in den Gazastreifen bringen? Wie kann man auf Kinder mit verbundenen Händen schießen? Was geht einem solchen Menschen durch den Kopf?" All das entsetze ihn nicht, weil er Israeli sei, sondern als Mensch. Und die Stimmen des Entsetzens kommen aus der ganzen Welt, "auch aus der arabischen Welt", wie Waldman betont. Er befürchtet, dass das für die palästinensische Sache ein Riesenschlag war, und dass das Entsetzen mit jeder Minute des Schweigens von palästinensischen Menschenrechtsaktivisten immer schwerer wiege.

Jubelfeiern in Berlin - von Ruangrupa gelikt

Bei der Unterstützung und Solidarität weltweit gibt es aufsehenerregende Ausnahmen, auch von prominenten Künstlern: Reza Afisina und Iswanto Hartono, zwei leitende Mitglieder des Künstlerkollektivs Ruangrupa, das schon bei der vergangenen documenta mit Antisemitismusvorwürfen kämpfen musste und für viel Kritik gesorgt hat, haben Video-Aufnahmen von propalästinensischen Jubelfeiern in Berlin gelikt. Inzwischen hat sich die documenta-Leitung von den beiden Künstlern distanziert.

Waldman hat zu den Bildern und Videos der palästinensischen Jubelfeiern, die in den sozialen Medien ein entsetzliches Echo finden, eine klare Meinung: "Die Bilder aus Berlin – und das sage ich als jemand, der viele, viele palästinensische Freundinnen und Freunde und Weggefährten hat – die Bilder aus Berlin sind eine Schande für jeden Palästinenser und für die Palästinenser dieser Welt. Sie beflecken die palästinensische Sache, sie beflecken den palästinensischen Willen nach Gerechtigkeit, nach Freiheit und nach eigener Staatlichkeit. Es ist mir nicht begreiflich, wie Menschen in der Lage sind, bei allem Frust und bei aller Richtigkeit des Kampfes um einen unabhängigen Staat Palästina: Wie man Süßigkeiten verteilen kann als Zeichen der Freude. Welches Zeichen einer welchen Kultur ist es? Und ich kann es kaum mit Worten beschreiben, was es mit einem macht, vor allem mit einem, der in der Tat viele arabische Freundinnen und Freunde, viele palästinensische Freundinnen, Freunde hat."

Nach den Kampfhandlungen

Die Solidarität von Seiten der Weltgemeinschaft und von Deutschland empfindet Ofer Waldman als sehr bewegend. Aber ob es sinnvoll ist, wegen der Gräueltaten die Hilfsgelder für die palästinensische Zivilgesellschaft zu streichen, weiß er nicht. Der Autor blickt stattdessen – als israelischer Staatsbürger mit vielen palästinensischen Freunden – entschieden weiter in die Zukunft, in der es gelte, auch nach dieser blutigen Zäsur, die in den kommenden Kriegstagen mit Sicherheit noch viel blutiger wird, wieder zusammen zu leben mit den Palästinensern. "Aber so hart das auch ist und so sehr das Blut jetzt auch kocht, müssen wir uns fragen: Was wird an dem Tag danach passieren? Weil, nachdem die Kampfhandlungen vorbei sind, werden wir jüdische Israelis und Palästinenser hier in diesem Land leben."

Waldman fragt sich, wie man Räume schaffen kann, in Israel, in Palästina, aber auch in Deutschland und anderswo, für Gespräche, die geführt werden müssen, "weil sonst kommen wir aus dieser Lage nicht raus, dass man jetzt den Gazastreifen noch mal bombardiert, mit noch größerer Härte. Ich kann nur mit den Worten von Albert Einstein antworten: Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."

U2: Bonos Friedenshymne

Nach diesen Gräueltaten der Hamas ist es wahrscheinlich nicht erstaunlich, dass der Israeli Ofer Waldman das Wort "Friedensverhandlung" im Interview nicht ausspricht. Aber ein prominenter Künstler hat für künftige Verhandlungen schon mal den Sound geliefert: Bono hat den U2-Song "Pride" inzwischen zu einer Friedenshymne umgedichtet, die klar Bezug nimmt auf die Terrorattacke der Hamas. Zuvor hatte er schon auf einem Konzert den Opfern des Massakers vom Musikfestival in der Negev-Wüste den Song "Pride (In the Name of Love)" gewidmet.

Im Video: Bono ändert Text von U2-Hymne "Pride"

Von Ofer Waldman erschien Im Wallstein Verlag der Erzählband: "Singularkollektiv"

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!