Ein rotes Dreieck mit einem Ausrufezeichen blinkt hektisch; der Post in einem Channel des Messengerdienstes Telegram heischt um Aufmerksamkeit. "Die Befreiung startet!" steht darunter, und weiter: "Es kommt die Wahrheit ans Licht!"
Ein anderer User schreibt auf Telegram: "Es würde dem Aufwachprozess der noch schlafenden Schafe sehr entgegen kommen - und dem Wechsel in eine andere, bessere Zeit sehr helfen." Auch er bezieht sich auf den Ausfall von Facebook, Instagram und Whatsapp.
Dieser zwischenzeitliche Kollaps der sozialen Netzwerke sowie des Messengerdienstes wird von manchen als Beginn einer neuen Welt betrachtet. Genauer: Als Beginn einer "neuen Weltordnung". Dahinter steckt eine Verschwörungstheorie. Denn das eine - Ausfall sozialer Netzwerke - hat mit dem anderen - angeblicher Weltuntergang - überhaupt nichts zu tun. Der #Faktenfuchs beleuchtet, was es mit der Sehnsucht nach dem “Ende der Welt” auf sich hat, und warum das gefährlich sein kann.
Die Welt hinter der Welt
Weltuntergangsfantasien haben in der Szene der Verschwörungsgläubigen schon immer eine Rolle gespielt. Das liege daran, dass sie "eine Welt hinter der Welt" sähen, sagt Christian Schiffer, Netz-Experte des Bayerischen Rundfunks und Co-Autor des Buchs "Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien". Es gebe für Verschwörungsideologen nicht nur "die Welt, die wir sehen", sondern eine weitere, verborgene Welt, in der das "ultimative Böse" herrsche, sagt er. Verschwörungserzähler vermuteten ein Netzwerk aus Politikern, Wirtschaftsgrößen, einflussreichen Menschen weltweit, die "die Fäden ziehen" und die Macht in den Händen hielten. Oft zeigt sich darin auch der antisemitische Charakter der Verschwörung: Juden allgemein oder einzelne prominente jüdische Personen, wie der Investor George Soros, werden dieser angeblich geheimen Elite zugerechnet. Einer geheimen Elite, die ihren eigenen, großen Plan verfolge.
Es sind vor allem die Anhänger von QAnon und der Verschwörungstheorie zum "Great Reset", die an dieses Narrativ glauben. Die beiden Bewegungen sind nicht deckungsgleich in ihren Ansichten und Zielen, haben aber Schnittmengen.
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Für jene, die an die Verschwörung einer "Welt-Elite" glaubten, gebe es letztendlich nur eine Möglichkeit, ihr zu entkommen, sagt Christian Schiffer: "Der Weltuntergang, der alles einreißt." Übrig blieben nur die, die "das Wahre und Gute" schon immer vertreten hätten, also jene, die dieser Erzählung glaubten. Der Weltuntergang als Erlöser- und Säuberungsphantasie: Er habe eine zwingende Logik im Verschwörungsglauben, da "die Verschwörer", die "Geheimregierung", der "Deep State", im Hier und Jetzt unbesiegbar seien. Der "Weltuntergang" werde die Welt befreien von der angeblichen "Welt-Elite", so die Überzeugung.
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Zehn Tage Dunkelheit
Auch dies steht im Telegram-Post mit dem hektisch blinkenden Dreieck: "Totalausfall der Deep Staate (sic!) Netzwerke. Danach Blackout mindestens für 10 Tage." Dunkelheit, zehn Tage lang. Oder anders gesagt: "Es könnten die 10 Days of Darkness beginnen". Letzteres schreibt der durch sein Engagement in der Querdenken-Bewegung bekannt gewordene Arzt Bodo Schiffmann in seinem Telegram-Kanal, und mahnt: "Wenn an Q was dran ist, dann sollte man jetzt cool bleiben."
Die "zehn Tage der Dunkelheit": Mit ihnen beginnt nach Ansicht der Veschwörungsideologen der "Weltuntergang". Wobei die Anhänger des Narrativs damit keine Apokalypse meinen, kein Auseinanderbrechen der Erde oder des Weltalls. Der Weltuntergang wird - so beschreibt es Christian Schiffer - als "Phase der Katastrophen, aber auch der Säuberung" betrachtet.
Dunkelheit gleich Bürgerkrieg - glauben manche
Josef Holnburger ist Experte für Verschwörungstheorien und Co-Geschäftsführer des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Er sagt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs: "Es ist nicht der Weltuntergang, den sie da prophezeien, es ist nahe am Weltuntergang."
Diese "10 Tage Dunkelheit" sei - so die Ansicht der Verschwörungsgläubigen - eine Zeit, in der es Bürgerkrieg gebe, kriegsähnliche Zustände, Armeen auf den Straßen. Es sei eine "Zeit der Rache", so formuliert Holnburger die Verschwörungserzählung; Rache an konkreten Personen, die die Verschwörungsgläubigen der "geheimen Weltregierung" zuordnen. Zum Beispiel Hillary Clinton, Barack Obama oder Bill Gates, die Rockefellers oder Rothschilds.
Diese Menschen sollen nach dem Willen der QAnon-Bewegung in dem Bürgerkrieg "zur Verantwortung gezogen" werden. Es sei kein Zufall, dass darunter Menschen jüdischer Abstammung seien, sagt Holnburger. Die Verschwörungsmythen orientierten sich gezielt daran. Holnburger hält deshalb die QAnon-Erzählung für gefährlich: "Weil sie strukturell antisemitsich ist."
Die Ziele: antisemitisch, antidemokratisch, rassistisch
Nach den "10 Days of Darkness", so der Glaube der Verschwörungsanhänger, sei die Welt "bereinigt", es beginne "The Great Awakening", das "große Erwachen".
Dies geht laut Holnburger einher mit antidemokratischen oder rassistischen Vorstellungen darüber, wie die Welt konstruiert werden sollte. "Da geistern Ideen herum, dass dann jedes Volk in seinem Land existieren würde", sagt Holnburger, "als gebe es eine Blut und Boden-Ideologie."
Das "Great Awakening", von dem bei QAnon erzählt werde, sehe den früheren US-Präsidenten Donald Trump als Erlöserfigur. Trump werde nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland eine Führungsposition übernehmen. Und das Makabre an dieser Ideologie sei: "Es geht damit einher, dass das Böse in Form von Menschen vernichtet worden wäre." Dieser menschenfeindliche Aspekt sei das Gefährliche an dieser Ideologie, sagt Holnburger: "Es geht wirklich darum, dass Menschen in dieser Zeit umgebracht werden würden."
Schiffer spricht gar von einer "Bürgerkriegs-Sehnsucht", die mit dem Narrativ des Weltuntergangs einhergehe. Manche Anhänger bereiteten sich auf diesen Zeitpunkt sogar konkret vor, durch Waffenkäufe, das Anlegen von Vorräten und ähnliches.
Zeichen, überall Zeichen
In ihrem Warten auf den "Weltuntergang" und die "Zehn Tage Dunkelheit" "werden alle möglichen Zeichen interpretiert, die darauf hindeuten könnten, dass dieses Zeitalter nun bevorsteht", sagt Christian Schiffer. So wurde etwa auch die Hochwasser-Katastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz als solch ein Zeichen angesehen. "Und dazu gehört auch der Ausfall von Facebook, der zwar sehr gravierend war und teilweise auch Teile des Internets mitgerissen hat, aber vermutlich kein Weltuntergang war für die meisten Leute."
Auch Holnburger spricht davon, dass die Szene überall Zeichen sehe, die sie als Beginn von Untergangsszenarien deute - und da reiche es, dass Facebook einige Stunden "down" sei. Holnburger nennt das eine "Verselbstständigung in der Bewegung".
Der Frust wächst - und damit die Gefahr
Doch was geschieht, wenn all diese vermeintlichen Zeichen sich als falsch entpuppen, es nicht dunkel wird, kein Bürgerkrieg ausbricht und die Welt nicht untergeht? Der Facebook-Ausfall dauerte zwar einige Stunden, die "Zehn Tage Dunkelheit" wurden jedoch offensichtlich nicht damit eingeläutet. Das seien "Frust-Momente", sagt Josef Holnburger von CeMAS - und die erlebe man derzeit in der Szene sehr häufig.
Die Gefahr dabei: Die Anhänger könnten sich radikalisieren. "Weil sie möglicherweise selbst Dinge in die Hand nehmen, um diese 10 Days of Darkness herbeizuführen", sagt Holnburger. In Großbritannien wurden bereits Medienhäuser gestürmt, beim Sturm auf das Kapitol in der US-Haupstadt Washington, D.C. im Januar starben fünf Menschen. Auch beim versuchten Sturm auf den Reichstag in Berlin im Sommer 2020 hat nicht viel gefehlt und die Menschen wären womöglich in das Gebäude eingedrungen.
Bei jedem Ereignis, das die Szene als möglichen Startpunkt erkenne, werde es einen neuen Aufschrei geben, sagt Holnburger. Immer wieder werde für die nächsten "10 Days of Darkness" mobilisiert. Dies könne man als "stochastischen Terrorismus" beschreiben: "Irgendwann wird es jemand selbst in die Hand nehmen." Christian Schiffer definiert "stochastischen Terrorismus" so: Wenn nicht Einzelpersonen radikalisiert werden, sondern eine ganze Gruppe – mit dem Ziel, dass eine Person aus dieser Gruppe die rote Linie überschreitet, zur Waffe greift und zum Mörder wird.
Auch Schiffer geht davon aus, dass zwar der Q-Kult insgesamt abnehmen werde, sich aber diejenigen, die sehr stark daran glaubten, radikalisierten. Für jene, die fanatisiert seien, spielten die Prophezeiungen, dass irgendwann der "Tag der Abrechnung" komme und danach "alles besser" werde, "eine sehr große Rolle".
Zweitgrößte “Community” in Deutschland
Die Szene im Blick zu behalten, dürfte nicht einfach sein - denn sie ist groß. In den USA stimmten laut einer Untersuchung des Public Religion Research Instituts 15 Prozent der Befragten den Ansichten von QAnon zu. Jeder fünfte Amerikaner (20 Prozent) stimmt laut der repräsentativen Studie der Aussage zu, dass es "bald einen Sturm geben werde, der die mächtigen Eliten wegfegen und rechtmäßige Führer" bringen werde. Der größte QAnon-Kanal auf Telegram im englischsprachigen Raum hat laut Holnburger 330.000 Abonnenten. Nach den USA lebten die meisten Menschen, die an den QAnon-Kult glauben, in Deutschland. Der größte QAnon-Kanal auf Telegram im deutschsprachigen Raum hat laut Holnburger 150.000 Abonnenten. Die Zahl der deutschsprachigen Anhänger sei groß, und das, so Holnburger, sei "beängstigend". Er sagt: Man müsse sehr genau beobachten, was da geschehe - und sich überlegen, wie man diese Menschen de-radikalisieren könne.
Fazit:
Den Ausfall sozialer Plattformen haben manche verschwörungstheoretischen Kreise als "Zeichen" gedeutet, wonach die "Zehn Tage der Dunkelheit" begännen. Diese Phase sei der Beginn eines "Weltuntergangs", nach dem die Zeit der "großen Erwachung" folge, eine "schönere und bessere Welt".
Anhänger der QAnon-Verschwörungstheorie sehen in den "Zehn Tagen der Dunkelheit" einen Bürgerkrieg, in dem die Eliten getötet würden, die laut ihrer Überzeugung in einer "geheimen Weltregierung" ihre eigenen Ziele verfolgten. Tatsächlich dauerte der Ausfall von Facebook, Instagram und Whatsapp mehrere Stunden und führte nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen. Solche "Frustmomente" aus Sicht der Verschwörungsgläubigen erhöhen laut Experten die Gefahr, dass sich Anhänger radikalisierten und selbst zur Waffe griffen.
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