Einmal Kind, immer Kind? Wie eine gute Beziehung zu euren Eltern gelingen kann

Von: Constanze Alvarez

Stand: 07.08.2023

Leidet ihr öfter unter den Erwartungen eurer Eltern? Habt ihr manchmal das Gefühl, es ihnen nicht recht machen zu können? Es gehört zum Erwachsenwerden, dass wir uns Schritt für Schritt davon befreien und unsere eigene Wege gehen.

Eine Mutter und ihre erwachsene Tocher schauen glücklich in die Kamera. Wir erklären, wie erwachsenen Kindern eine gute Beziehung zu ihren Eltern gelingt. | Bild: picture-alliance/dpa

Eltern-Kind-Beziehung: Wie Eltern ihre Kinder prägen

Kaum etwas prägt uns so sehr, wie die Beziehung zu unseren Eltern. Und nicht nur uns, sondern auch alle anderen Beziehungen, die wir als Erwachsene zu anderen Menschen führen. "In unserer Kindheit entwickeln wir im Zusammenspiel mit unseren Eltern unsere Bindungssicherheit, unser Selbstwertgefühl und auch unsere Konfliktfähigkeit", erklärt Psychologin und Autorin Sandra Konrad. In ihrem Buch Nicht ohne meine Eltern hat sich die Therapeutin eingehend mit der Frage beschäftigt, wie eine gesunde Ablösung von den Eltern gelingen kann.

"Wenn die Eltern gute, also sichere Bindungspartner sind, entsteht Vertrauen in die Eltern, ins Leben, in die Zukunft und Selbstvertrauen." Menschen, die genug Liebe und Geborgenheit in ihrer Kindheit erfahren haben, stehen häufig in einem besseren Kontakt mit ihren eigenen Wünschen, finden leichter ihren eigenen Weg in der Welt und halten eher einen Konflikt mit den Eltern aus, weil sie wissen, dass die Beziehung trotzdem trägt.

Nur ein gewisser Teil dessen, was unsere Gefühlswelt ausmacht, ist bewusst

Kinder, die sich von ihren Eltern nicht geliebt fühlen, suchen die Schuld oft bei sich und verbiegen sich, um die Liebe der Eltern zu gewinnen. "Das kann auch im Erwachsenenleben noch der Fall sein, bis hin zur Selbstaufgabe." Solche Menschen stellen die Erwartungen ihrer Eltern über ihre eigenen Bedürfnisse. Und innerlich stauen sich dann Ärger und Groll auf, der dann in bestimmten Konflikten explodiert.

Wie sehr uns die Beziehung zu unseren Eltern prägt, ist uns zu einem großen Teil gar nicht bewusst. "Viele Paarkonflikte rühren daher, dass man unbewusst hofft, dass einem in der Liebesbeziehung geschenkt wird, was einem in der eigenen Kindheit gefehlt hat", erklärt Familientherapeutin Ursula Frischkorn. "In fast allen Beziehungen ist der Partner damit restlos überfordert."

Bei wiederkehrenden Konflikten lohnt es sich also, diese unterbewussten Muster anzuschauen. Manchmal ist dazu eine Therapie hilfreich. Die gute Nachricht ist: Eltern-Kind-Beziehungen können sich im Laufe der Zeit auch ändern und verbessern, "wenn alle Beteiligten reflektieren, reparieren und sich weiterentwickeln", sagt Sandra Konrad.

Entscheidungen treffen: Einfluss der Eltern auf ihre erwachsenen Kinder

Kinder loslassen: Wie die Ablösung von den Eltern gelingt

Die Ablösung von unseren Eltern beginnt im Grunde genommen mit der Trennung der Nabelschnur bei unserer Geburt. Jeder darauffolgende kleine Entwicklungsschritt ist ein Schritt hin zu wachsender Autonomie: Krabbeln, eigenständig die ersten Schritte machen, Sprechen lernen, der Eintritt in den Kindergarten, später in die Schule. Wenn die Kinder ausziehen, einen Beruf wählen und einen Partner gefunden haben, ist rein äußerlich betrachtet, die Ablösung von den Eltern vollzogen.

Manche Kinder haben jedoch auch als Erwachsene das Gefühl, dass die Eltern immer noch einen großen Einfluss auf ihr Leben haben. Sei es materiell, weil sie noch finanziell von den Eltern unterstützt werden. Oder moralisch, weil die Eltern bestimmte Dinge von ihnen erwarten: Aufmerksamkeit, einen bestimmten beruflichen Erfolg, oder weil sie sich in die Partnerwahl einmischen.

"Die emotionale Ablösung von den Eltern ist ein lebenslanger Prozess“, erklärt Psychologin Sandra Konrad. "Zu den existentiellen Ablöseschritten gehört, dass wir uns von unpassenden elterlichen Erwartungen befreien und dass wir auch unsere eigenen Erwartungen an unsere Eltern hinterfragen." Es sei zwar schmerzhaft, aber es gehöre zum Erwachsenwerden dazu, irgendwann aufzuhören, sich etwas von den Eltern zu wünschen, was sie uns noch nie geben konnten, sagt die Therapeutin. Statt weiter in der Kind- oder Opferrolle den Eltern gegenüber zu verharren, sollten wir lieber beginnen, uns selbst zu versorgen, uns selbst also ein guter Vater oder eine gute Mutter sein.

In der Theorie hört sich das leicht an. In der Praxis ist das nicht immer einfach umzusetzen. Vor allem nicht, wenn man als Kind nicht erfahren hat, dass die eigenen Bedürfnisse und die eigenen Grenzen geachtet wurden. Trotzdem ist es möglich, Schritt für Schritt zu lernen, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und sie zu formulieren. Was fühlt sich richtig an? Wann fühlen wir uns unwohl? "Die einzige Möglichkeit, etwas in einer Beziehung zu ändern, ist, die eigene Situation zu reflektieren", erklärt Familientherapeutin Ursula Frischkorn. "Dass man sich traut, die eigene Gefühlslage zu spüren, und sich dann überlegt, wie kann ich damit umgehen, dass ich mich wohler fühle?"

Konflikte im Erwachsenenalter:  Wenn beide Seiten zu viel voneinander verlangen

Sandra Konrad: Emotionale Abnabelung als Chance

"Ablösung von den Eltern bedeutet keinen Verlust, sondern einen Gewinn: Die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben."

Aus:`Nicht ohne meine Eltern´ von Sandra Konrad, Psychologin und Sachbuchautorin

Kontakt halten: Kommunikation zwischen Eltern und erwachsenen Kindern

Sandra Konrad: Erwachsenwerden heißt auch, gut für sich zu sorgen

"Das Allerwichtigste bei der Abnabelung von den Eltern ist allerdings nicht die neu gestaltete Beziehung zu den Eltern, sondern die liebevolle Beziehung zu uns selbst."

Aus `Nicht ohne meine Eltern´ von Sandra Konrad, Psychologin und Sachbuchautorin

Wichtig für erwachsene Kinder: Abschiednehmen von unerfüllten Wünschen

Viele Menschen hoffen im Erwachsenenalter immer noch, von ihren Eltern das zu bekommen, was ihnen in der Kindheit verwehrt wurde: Liebe, Anerkennung, Respekt. Und werden dann immer wieder enttäuscht. In einem solchen Fall hilft es, zu akzeptieren, dass unsere Eltern nicht so sind, oder uns nicht das geben können, was wir uns wünschen. "Ich glaube, dass man sich als erwachsener Mensch irgendwann leichter tut, wenn man begreift, dass man nicht mehr alles direkt in der Beziehung mit den Eltern klären oder lösen kann", sagt Familientherapeutin Ursula Frischkorn. "Es braucht so etwas wie eine bestimmte buddhistische Gelassenheit, zu sagen: OK, ich kann meine Eltern nicht ändern." Sandra Konrad formuliert es so: "Was hilft, ist eine radikale Akzeptanz der Realität." Denn erst, wenn wir falsche Hoffnungen aufgäben, könnten wir unsere Enttäuschung irgendwann loslassen. Statt gegen Windmühlen zu kämpfen, können wir lernen, die dadurch freigewordene Energie in einen positiven Umgang mit uns selbst zu investieren.

Video: So gelingt eine gute Beziehung zu euren Kindern

Blick nach vorne: Was wir unseren Kindern mitgeben sollten

"Zur gesunden Ablösung gehört, zu reflektieren, was die eigenen Eltern gut gemacht haben, aber auch, was man nicht an die nächste Generation weitergeben möchte", erklärt Therapeutin und Autorin Sandra Konrad. Sich darüber im Klaren zu sein, helfe beim Finden der eigenen Vater- und Mutter-Rolle. Fehler sind allerdings nicht zu vermeiden, Eltern können nicht perfekt sein. Hinzu kommt: Vieles, was wir von unseren Eltern übernommen haben, geben wir unseren Kindern unterbewusst mit. "Wir Menschen sind sehr gut darin, uns etwas vorzumachen", erklärt Ursula Frischkorn. "Doch die eigenen Scheuklappen legen wir nie ganz ab." Das sollte uns bewusst sein: Eltern sein bedeutet, dass man immer in der Gefahr ist, nur Bestimmtes wahrzunehmen und anderes, was auch wichtig ist, eben nicht.

"Worum man sich bemühen kann, ist, so offen wie möglich zuzuhören", rät Ursula Frischkorn. "Das bedeutet aber auch, die Sachen zu hören, bei denen man merkt, man reagiert empfindlich." Es sei wichtig, diese Empfindlichkeit zu registrieren und zuzulassen. Und sich dann zu fragen: Warum trifft mich das so? Woher kenne ich das? Und wie kann ich anders damit umgehen?

"Gute Eltern sind in der Lage, die Beziehung zu ihren Kindern zu reparieren, also Fehler einzugestehen, sich zu entschuldigen und neue Wege einzuschlagen, die für das Kind passender sind", sagt Sandra Konrad. Die Kunst liegt darin, den eigenen Kindern ausreichend Geborgenheit und Nähe zu geben und sie gleichzeitig auf ihrem Weg in die Autonomie zu unterstützen. In dem man Vertrauen in sie setzt.

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