Dieser Artikel ist der dritte Teil einer #Faktenfuchs-Serie zur Windkraft. In diesen Wochen erscheinen wöchentlich Faktenchecks zu Behauptungen rund um die Windkraft.
Die Ampelkoalition will die Windkraft in Deutschland stark ausbauen. In einem Gesetzespaket, das sich derzeit noch in der Planung befindet, soll festgelegt werden, dass bis 2026 im Bundesschnitt 1,4 Prozent und bis 2032 zwei Prozent Fläche für Windkraft für die Bebauung mit Windrädern ausgewiesen werden müssen.
Das ruft Kritiker auf den Plan. Denn Windkraft ist umstritten. Eines ihrer Argumente: Durch die rotierenden Rotorblätter kämen zu viele Vögel und Insekten zu Tode. So schreibt etwa ein User unter einem Twitter-Thread: "Ich würde auf Wasserstoff setzen, die Windräder sind zu schädlich für die Natur! Vögel, Fledermäuse und Insekten werden tonnenweise geschreddert!"
Doch stimmt das? Steht hier wirklich Klimaschutz gegen Artenschutz?
Vögel sterben durch Windräder - aber auch durch Glasscheiben und Strommasten
Ja, Vögel können durch Windkraftanlagen sterben. Besonders gefährdet sind dabei Greifvögel wie der Rotmilan, der Mäusebussard oder der Seeadler. Aber: Es ist unklar, wie viele Vögel durch Windräder sterben, denn sowohl die Zahl der Todesfälle als auch die Todesursachen sind schwer messbar.
Während des Fluges haben Vögel ihren Blick nach unten gerichtet, etwa auf der Suche nach Beute, sagt Andreas Lindeiner, Landesfachbeauftragter Naturschutz vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV). Dadurch können sie mit Windrädern oder anderen Hindernissen kollidieren. Bei Windrädern kommt hinzu: Die Flügelspitzen von Fünfzig-Meter-Rotoren erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu 340 Kilometern pro Stunde. Das ist so schnell, dass die Vögel nur schwer reagieren können.
Angaben zur Anzahl der getöteten Vögel variieren
Allerdings: Wie viele Vögel jedes Jahr durch Windkraft getötet werden, lässt sich nicht genau sagen. Es kursieren zum Teil unbelegte Zahlen darüber. Beispielsweise schätzt der Naturschutzbund Deutschland (NABU), dass pro Jahr 100.000 Vögel durch Windkraftanlagen getötet werden.
Sowohl der LBV als auch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) halten die bislang veröffentlichten Zahlen jedoch für unzuverlässig. Aus mehreren Gründen.
So erklärt etwa Ruth Birkhölzer, Sprecherin des Bundesamtes für Naturschutz, dass die Zahlen stets nur geschätzt werden könnten: "Die Vögel, die jährlich in Deutschland sterben, können nicht systematisch gezählt werden. Es können nur Zahlen der gefundenen Vogelkadaver dokumentiert werden. Diese geben aber eben lediglich die gemeldeten Fälle wieder, nicht das tatsächliche Ausmaß des Problems."
Ähnliches gilt auch, wenn man versucht zu vergleichen, wie viele Vögel alljährlich an anderen Hindernissen sterben, etwa durch Glasscheiben, durch Katzen oder im Straßenverkehr. Solche Zahlen miteinander zu vergleichen - wie es Pro-Windkraft-Aktivisten gerne tun - ist nach Angaben von LBV und BfN nicht zielführend. Denn die Schätzungen beruhen, wie bereits erklärt, auf Zufallsfunden. Sie geben also nicht die tatsächliche Anzahl der getöteten Vögel wieder. Sondern nur die, die von Forschern gefunden wurden, wenn die Vogelleiche nicht zuvor von einem anderem Tier gefressen oder einem anderen Menschen beseitigt wurde.
Hinzu komme, dass die Schätzungen, je nachdem wie ein Vogel wahrscheinlich verendet ist, unterschiedlich gut funktionierten. Und dass nicht alle Vogelarten durch dieselben Gefahrenquellen gleichermaßen gefährdet sind. So verunglücken etwa "Rotmilane nie an Scheiben, während die Kohlmeise nie an Windräder gelangt", sagt Andreas von Lindeiner.
Vogelschützer wollen ein Monitoring der durch Windkraft gefährdeten Arten
Die Vogelschützer, beispielsweise der LBV, plädieren deshalb für ein regelmäßiges Monitoring der Arten, die durch Windkraftanlagen gefährdet sind.
So solle geprüft werden, ob sich die Arten noch ausreichend vermehren könnten. Zur Arterhaltung verpflichtet die EU-Vogelschutzrichtlinie alle Mitgliedstaaten.
Trotz Gefahren: Auch Vogelschützer sprechen sich für Windkraft aus
Windräder sind also tatsächlich eine Gefahr für einige Vogelarten. Dennoch sprechen sich inzwischen auch Vogelschützer für die erneuerbare Energiequelle aus - etwa der Landesbund für Vogelschutz (LBV). Die Interessengruppe war früher gegen Windräder, heute plädiert sie für Windkraft. Denn: "Die Klimakrise ist eine noch viel größere Gefahr für die Artenvielfalt", sagt Andreas von Lindeiner.
Inwiefern, das erläutert er auf Nachfrage. Es gebe Modellrechnungen, die belegen, dass der Klimawandel zu einem Artensterben führen wird, dass das durch Windräder bei weitem übertrifft. Für viele Arten werde es durch den Klimawandel schlicht zu trocken oder zu heiß, sodass sie nicht mehr ausreichend Nahrung finden oder in andere Regionen weiterziehen.
Ein Problem sei das zum Beispiel für die Bekassine: Diese Vogelart habe einen langen Schnabel, um damit in feuchten Böden nach Nahrung zu bohren. Wenn nun der Boden austrocknet, kommt sie nicht mehr an Nahrung. Andere Arten seien davon betroffen, dass bestimmte Baumarten bei steigenden Temperaturen absterben. Ihnen fehlt dadurch der Lebensraum.
Windräder sind möglich - wenn der Standort gut gewählt ist
Es mache deshalb wenig Sinn, Klimaschutz und Artenschutz gegeneinander auszuspielen. Vielmehr sei der Standort der Windräder entscheidend, sagt Andreas von Lindeiner vom LBV. So könne man bei der Planung bereits untersuchen lassen, ob das Windrad sich in den Flugbahnen bestimmter Vogelarten befinden würde.
Welche Kriterien genau das seien, sei je nach Art sehr unterschiedlich, sagt von Lindeiner. Doch dazu gebe es zahlreiche Studien. So lasse sich etwa zeigen, dass der Rotmilan sich meist nicht weiter als 1,5 Kilometer von seinem Horst entfernt. Insofern sinke das Risiko schon erheblich, wenn beim Windradbau dieser Mindestabstand eingehalten werde.
Fläche gibt es genug
Doch macht die Einhaltung solcher, teils spezifischer, Abstände es womöglich schwierig, überhaupt noch genügend Fläche für Windkraft zu finden? Flächen, die Artenschutz-Kriterien erfüllten, gebe es in Deutschland genug, sagt von Lindeiner. Zumindest dann, wenn man nicht über ganz Deutschland verteilt einzelne Windräder baut - sondern auf gut geeigneten Flächen konzentriert ganze Windparks aufbaut.
Ähnlich sieht das auch das Bundesamt für Naturschutz (BfN): Um Beeinträchtigungen für den Bestand von Vogel- oder auch Fledermausarten zu minimieren, sind entsprechende Gutachten vorgeschrieben. Nach Ansicht des BfN sollten einige Landschaftsarten grundsätzlich von Windrädern freigehalten werden:
- naturnahe Wälder mit altem Baumbestand,
- bestimmte Schutzgebiete (Natura-2000-Gebiete, Naturschutzgebiete, Nationalparke, Nationale Naturmonumente, Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten),
- Schutzzonen um bekannte Vogelhorste,
- gesetzlich geschützte Biotope,
- Flusstäler und Wiesen, die Nahrungs- und Bruthabitate für Wiesenbrüter darstellen,
- Zugkorridore von Vögeln und Fledermäusen (zwischen Brut- und Nahrungsplätzen und zwischen Winter- und Sommerquartier).
Fazit
Ja, Vögel sterben durch Windräder. Allerdings ist unklar, wie viele das sind. Schätzungen gehen von ca. 100.000 im Jahr aus. Diese Schätzungen werden jedoch aus verschiedenen Gründen angezweifelt. Auch Vergleiche, wie viele Vögel durch Windkraft im Vergleich etwa zu Glasscheiben oder Strommasten sterben, halten Experten nicht für zielführend. Die Schätzungen seien zu wenig solide und je nach Gefahrenquelle seien sehr unterschiedliche Arten betroffen.
Doch: Auch Vogelschützer sprechen sich für die Windkraft aus. Denn die Bedrohung durch den Klimawandel sei für viele Vogelarten weitaus größer als durch Windkraft. Wichtig sei aber, dass bei der Planung neuer Windräder Artenschutzrichtlinien eingehalten würden, um das Risiko für gefährdete Vogelarten zu minimieren. Nutzbare Fläche dafür gebe es genug.
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