Darum geht's:
- In einem Video werden Sturmgewehre gezeigt. Ein Mann bedankt sich in der Tonspur, die über dem Video liegt, bei ukrainischen Behörden für die Waffen.
- Ein Waffenexperte sagt, dass es sich bei den Waffen in dem Video um Beutewaffen handele. Ein Militärexperte spricht von "russischer Desinformation".
- Aktuelle Nachrichten nach dem Hamas-Angriff auf Israel im News-Ticker
AfD-Politiker und der russische Ex-Präsident verbreiten das Video
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel verbreiten sich in den sozialen Netzwerken zahlreiche Videos und Bilder, die angeblich aus dem aktuellen Konflikt stammen sollen. Vieles davon ist falsch, aus dem Zusammenhang gerissen oder kann nicht belegt werden. So auch eine Behauptung, die offenbar seit dem 7. Oktober 2023 in sozialen Netzwerken verbreitet wird: Waffen, die westliche Länder an die Ukraine geschickt haben, seien bei der Terrormiliz Hamas im Gazastreifen gelandet. Als angeblicher Beweis wird dazu oft ein Video gepostet.
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In diesem elf Sekunden langen Clip sind verschiedene Waffen und Munitionskisten zu sehen. Das Video ist mit einer Tonspur unterlegt. Auf dieser ist ein Mann zu hören, er spricht Hocharabisch. Der #Faktenfuchs hat einen arabischen Muttersprachler den Text übersetzen lassen. Die Aussprache des Mannes lässt laut der Einschätzung des Muttersprachlers keinen Rückschluss auf seine Herkunft zu. Der Mann in dem Video sagt: "Wir danken den ukrainischen Behörden, dass sie uns diese Waffe verkauft haben. Wir werden diese Waffe gegen euch Feinde einsetzen*. Wir werden sie gegen Israel einsetzen".
Die früheste Verbreitung fand der #Faktenfuchs in Telegram-Gruppen am 07. Oktober 2023. An diesem Tag griffen die islamistischen Hamas-Terroristen vom Gazastreifen aus Israel massiv in der Luft, am Boden und vom Meer aus an.
Das Video wird seitdem von verschiedenen Kanälen in sozialen Netzwerken geteilt. So kommentierte ein AfD-Bundestagsabgeordneter das Video auf X, vormals Twitter, mit den Worten: "Wir haben immer gewarnt: Wo verbleiben die vom Westen gelieferten Waffen aus der Ukraine? Hier bedankt sich die Hamas dafür. #Israel".
Ein Reporter einer staatlichen russischen Medienholding kommentierte das Video auf einer Propagandaplattform und behauptete, dass schon lange bekannt sei, dass die Ukrainer die gelieferten Waffen verkaufen würden.
Auch Eva Herman, die bis 2006 Tagesschau-Sprecherin war und sich zuletzt in Querdenker-Kreisen einen Namen gemacht hat, teilte einen Artikel zum Thema auf Telegram. In diesem heißt es in Bezug auf das Video, die Ukraine sei ein "Schwarzmarkt-Drehkreuz für westliche Waffen".
Und auch der ehemalige russische Ministerpräsident und Putin-Vertraute, Dmitri Medwedew, verbreitete das Narrativ und schrieb auf X: "Die dem Nazi-Regime in der Ukraine übergebenen Waffen werden nun aktiv gegen Israel eingesetzt." Medwedew ist seit 2020 stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrats.
Doch das Video ist kein Beleg dafür, dass die Waffen aus der Ukraine stammen.
Waffen-Experte: "Es handelt sich um typische Beutewaffen"
Im #Faktenfuchs-Interview erkennt der Waffenexperte Lars Winkelsdorf mehrere Sturmgewehre in der kurzen Filmsequenz, "darunter ein amerikanisches M16-System und ein offensichtlich deutsches G36". Winkelsdorf selbst recherchiert seit Jahren zu Waffen, erstellt waffenspezifische Gutachten und tritt als Sachverständiger auf.
Er sagt, bei den Waffen in dem Video handele es sich um "typische Beutewaffen, die im Nahen Osten von Terrorgruppen verwendet werden", das sei "sehr eindeutig identifizierbar". Beutewaffen sind Waffen und Ausrüstungsgegenstände, die in kriegerischen Auseinandersetzungen erbeutet werden.
Diese Waffen sind ihm zufolge aufgrund technischer Merkmale als israelische Waffen identifizierbar: "Ganz charakteristisch ist die Variante des M16 mit einem gekürzten Lauf. Es ist eine Lauflänge von etwa 10,5 bis elf Zoll, und das ist typisch für israelische Streitkräfte, die ältere Waffen für Polizeikräfte auf eine solche kurze Lauflänge nachträglich gekürzt haben". Diese Waffen seien in den Achtzigern und Neunzigern nachträglich gekürzt worden. Das lasse sich dem Waffenexperten zufolge "verhältnismäßig einfach auch zuordnen".
Im Video gibt es keine Hinweise zum Drehort, es ist auch nicht klar, von wem dieses Video aufgezeichnet wurde. "Man kann aber tatsächlich sagen, dass aufgrund der Beutewaffen, dieser offensichtlich israelischen M16, eine Zuordnung in den Nahen Osten hochwahrscheinlich ist", so Winkelsdorf. Solche M16-Gewehre seien seit "etwa den 1970er Jahren auch als Rüstungshilfe nach Israel gegeben worden, in unterschiedlichsten Varianten".
Geschichte über verdeckte Waffenlieferungen "nicht zutreffend"
Vor allem die M16-Gewehre im Video seien das "Indiz dafür, dass diese Geschichte mit der Ukraine in dieser Geschichte über verdeckte Waffenlieferungen nicht zutreffend ist", so Winkelsdorf.
Ein Sprecher der Nato teilte dem #Faktenfuchs mit: "Wir haben keinen Nachweis dafür, dass Waffen, die an die Ukraine geliefert wurden, in andere geografische Gebiete gelangt sind". Das westliche Verteidigungsbündnis gehe davon aus, dass "die Waffenlieferungen der Alliierten an die Ukraine ihr Ziel erreichen."
Militärexperte: "Klassisch russische Desinformation"
Der Militärexperte Nico Lange sagte dem #Faktenfuchs, es handele sich bei dem Video und den verbreiteten Behauptungen um eine "klassische russische Desinformationsoperation". Lange war Leiter des Leitungsstabs im Bundesministerium der Verteidigung und ist nun Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Weil gleichzeitig zum Video über unterschiedliche Kanäle die Behauptung verbreitet werde, dass die Ukraine Waffen an die Hamas liefere und der ehemalige Präsident Medwedew einen Tweet dazu abgesetzt habe, seien "die klassischen Mechanismen der russischen Desinformation" erkennbar.
Lange zufolge will Russland "natürlich die Waffenlieferungen, insbesondere die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine diskreditieren". Solche Desinformationskampagnen gab es laut Lange schon des Öfteren. "Und dass das von AfD und von anderen aufgegriffen wird, ist auch nicht ungewöhnlich. Das ist sozusagen eine typische Verbindung der russischen Desinformation", sagt Lange. Seinen Angaben zufolge werde diese Desinformation "gezielt in Kanäle gespielt, die von den AfD-Leuten frequentiert werden". So komme die Desinformation dann in die deutsche Öffentlichkeit.
Dem Militärexperten zufolge gibt es in den russischen Nachrichtendiensten eine Abteilung, die sich nur mit Desinformation beschäftigt. "Und man versucht, die Situation jetzt in Israel für seine Zwecke auszunutzen. Das ist ganz typisches russisches Vorgehen." Lange prognostiziert, dass es noch weitere Desinformationskampagnen geben werde. Die russische Seite probiere solche Kampagnen immer wieder aus: "Und was wir auch erlebt haben, ist, selbst wenn man es (die Desinformation, Anm. d. Red) fünfmal widerlegt hat, wird es trotzdem noch irgendwen geben von der AfD oder anderswo, der das trotzdem weiter behauptet."
Fazit:
Es ist nicht klar, wo ein Video aufgenommen wurde, das angebliche Waffen aus der Ukraine im angeblichen Besitz der Hamas zeigen soll. In der Sequenz sind mehrere Sturmgewehre zu sehen, darunter amerikanische M16-Gewehre. Ein Waffenexperte sagt, es handele sich um "typische Beutewaffen, die im Nahen Osten von Terrorgruppen verwendet werden". Ursprünglich könnten diese Gewehre aufgrund ihrer technischen Merkmale den israelischen Sicherheitskräften zugerechnet werden.
Ein Militärexperte sieht in dem Video und dessen Verbreitung eine "russische Desinformationskampagne", mit der Russland "insbesondere die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine diskreditieren" wolle.
Disclaimer 13.10.23, 09:20h: Es wurde ein Übersetzungsfehler korrigiert. Ursprünglich lautete die Übersetzung fälschlicherweise: "Wir werden diese Waffe gegen eure Feinde einsetzen." Korrekt ist: "Wir werden diese Waffe gegen euch Feinde einsetzen."
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