Kreuzotter
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Artenschutz: Wo die Kreuzotter lebt, ist die Natur intakt

Die Kreuzotter ist in Deutschland dem Aussterben nahe. Der Mensch hat sie gejagt und verdrängt. Inzwischen weiß man: Wo die Kreuzotter lebt, funktionieren die Nahrungsketten. Im Bayerischen Wald erfährt das Reptil gerade neue Wertschätzung.

Über dieses Thema berichtet: UNKRAUT am .

Das Zickzackband auf dem Rücken hat ihr den Namen gegeben: die Kreuzotter. Sie kann mit der Zunge riechen, und Männchen erscheinen bei der Balz im schwarz-weißen Hochzeitskleid. Ansonsten weiß man aber nur sehr wenig über das Verhalten der Kreuzotter, sagt Paul Hien. Der Straubinger bezeichnet sich selbst – etwas schelmisch – als den "weltweit einzigen hauptberuflichen Kreuzotterexperten".

Die Kreuzotter zählt zu den unbeliebtesten und vielleicht auch unterschätztesten Tieren Bayerns. Vom Menschen ist sie radikal aus ihren Lebensräumen verdrängt worden, man habe sie für "Unkraut" gehalten, sagt Paul Hien, der schon lange für die heimische Giftschlange kämpft und langsam Erfolge sieht.

Zum Fürchten: eine Welt ohne Schlangen

Für Hien ist vor allem eine Erkenntnis in der Diskussion über Artenvielfalt bedeutsam: Da, wo die Kreuzotter sich wohlfühlt, ist ein ganzer Lebensraum intakt. Nicht eine Welt mit, sondern eine Welt ohne Kreuzottern sollte uns das Fürchten lehren. Denn wenn sie weg sind, fehlt auch eine wichtige Stütze in einem ganzheitlichen Ökosystem. Je mehr Stützen fehlten, so Hien, desto instabiler ist das große Ganze – mit ungewissem Ausgang für die Menschheit. Dabei sind Reptilien nicht weniger als unsere Lebensgrundlage. Doch der Druck auf sie steigt stetig weiter. Mittlerweile sind 50 Prozent der Reptilien und Amphibienarten stark bedroht, beziehungsweise kurz vor dem Aussterben. "Und momentan geht es halt rapide schnell. Das ist natürlich besorgniserregend", so Paul Hien.

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Schlangenforscher Paul Hien

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Die Kreuzotter ist von Bedrohungen umzingelt

Auch darum hat er ein Kreuzottergehege in Neuschönau im Nationalpark Bayerischer Wald mit aufgebaut. Er will Jugendlichen und Einheimischen einen Zugang zur Kreuzotter ermöglichen und mehr Verständnis für die seltenen Tiere schaffen.

Denn die Schlange ist aus sehr vielen Richtungen bedroht: große, einheitlich bewirtschaftete Felder, Pestizideinsatz, immer mehr Flächenversiegelung, vor allem Straßen, und nicht zuletzt der Klimawandel machen ihr das Leben schwer.

Trockenheit zerstört die Laichgewässer

Hinzu komme die zunehmende Dürre: "In benachbarten Bundesländern im Norden sind in nur ein, zwei Jahrzehnten zum Teil 80 Prozent der Amphibien und Reptilien schon verschwunden, weil sie keine Laichgewässer mehr haben." Die Gefahr besteht, dass dies auch auf Bayern zukommt – zumindest in Franken ist die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre erschreckend: Grasfrosch-Populationen zum Beispiel, die jährlich mehrere tausend Eier abgelegt haben, sind auf eine Handvoll zusammengeschrumpft. Damit schrumpft aber auch die Nahrung für die Kreuzotter massiv. Doch die Hauptherausforderung für die Schlange ist, fit zu bleiben für den Klimawandel, sich also anpassen zu können. Das aber kann sie nur, wenn sie wandern kann und sich genetisch vermischen. In Bayern ist der Lebensraum dafür inzwischen zu klein – außer an der Grenze zu Tschechien.

Eines der letzten Kreuzotterparadiese

Nur ein paar Kilometer südlich von Neuschönau, am ehemaligen bayerischen Zonenrand bei Haidmühle und Bischofsreut: Hier hat sich eines der letzten bayerischen Schlangenparadiese erhalten. Ein kleinräumiger, vielfältiger Lebensraum ohne flächendeckende Bewaldung hat sich hier gebildet – so wie die Kreuzotter ihn braucht.

Dabei galt sie auch hier früher eher als lästiger Störenfried im ohnehin beschwerlichen kleinbäuerlichen Leben. Wo die Kreuzotter auftauchte, wurde sie einfach erschlagen. Martin Zellner ist stellvertretender Bürgermeister von Haidmühle und leidenschaftlicher Schlangenfreund. Für ihn sind es zerbrechliche Wesen, die ihren vielen Feinden aus der Luft und am Boden meist wehrlos ausgesetzt sind. Normalerweise flüchten sie oder verteidigen sich mit giftigen Bissen. Für den gesunden Menschen seien die aber nicht gravierender als ein Wespenstich, sagt Zellner.

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Schlangenschützer Martin Zellner

Vom Schlangensaulus zum Paulus

Martin Zellner war nicht immer Schlangenfreund. Als Bub versetzten ihn unzählige Ammenmärchen in Angst und Schrecken: Legenden von der "schwarzen Höllennatter", die besonders aggressiv sei oder der besonders giftigen "braunen Kupfernatter": "Alles Blödsinn", findet Zellner heute. Schon eine Weile sammelt er überfahrene Schlangen, legt sie in Spiritus ein und zeigt sie seinen Feriengästen, um aufzuklären. Bei einem Exemplar ist am offenen Bauch die letzte Mahlzeit zu sehen: eine Maus. Sein Weg zum Schlangenversteher begann im Wald neben seinem Wohnhaus, als sein Sohn beim Spielen ein ganzes Schlangennest fand. Doch weil Schlangen und Bub sich gegenseitig in Ruhe ließen, hüteten Vater und Sohn das Geheimnis gegenüber der Mutter.

Besonders angetan hat Zellner das früher natürliche Miteinander zwischen Mensch und Schlange in der Landschaft rund um Haidmühle: Der Mensch türmte einst die Steine aus dem Acker am Feldrand auf, wo Schlangen ein Zuhause fanden. Dafür fraßen die Kreuzottern die Erzfeinde der Bauern, die Mäuse. Vieles wirkte in der Natur unbewusst zusammen.

Bewusstsein übers Artensterben hilft der Kreuzotter

Immer mehr wird das auch den Menschen bewusst. Hilfreich sind dafür auch die geförderten Artenschutzmaßnahmen. Bischofsreuter helfen dabei mit, eine artenreiche und schlangenfreundliche Landschaft zu pflegen: Wiesen mähen, Moore wieder vernässen, Fichtenwälder auflichten, Laichgewässer anlegen oder neue Steinriegel anlegen.

Auch Martin Zellner betreibt solche Artenschutzmaßnahmen und hat beim Mähen schon viele Schlangen entdeckt und gerettet. Die Augen hat ihm Schlangenforscher Paul Hien geöffnet. Und sein Sohn Jakob hat bei Hien sogar einen Kurs in fachgerechtem Schlangenfang absolviert. Damit steht er jetzt im Dienst der Freiwilligen Feuerwehr: Mit einem Haken befördert er verirrte Schlangen in Haus und Hof in einen blickdichten Sack und setzt sie an einem Steinriegel wieder aus.

Keine Angst mehr vor der Schlange

Zur großen Überraschung wird er nur noch selten gerufen. Martin Zellner stellt nicht ohne Befriedigung fest, dass das "den Einheimischen schon ein bissl an die Ehre geht" und sie die Schlangen nun oft selbst schonend einfangen und wieder aussetzen. Der sonst eher kritische Kreuzotterforscher Paul Hien strahlt indes über diesen kleinen Erfolg für den Artenschutz. Das gebe ihm Hoffnung, für seinen Liebling, die Kreuzotter.

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